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Fahrradfahrer-Alltag: Wir haben aber Pandemie!

9. März 2021

Lassen Sie mich mal wieder einen aus dem Cycler-Alltag erzählen, das macht die Stimmung hier immer so schön heimelig!

Wir leben ja im zweiten besonderen Jahr. An meiner Mobilität hat das nichts geändert: Die meisten Wege erledige ich schon immer mit dem Esel – auch die Einkäufe für meine vierköpfige Familie. Weil ich wöchentlich nur ein Mal losreite, können Sie sich bestimmt vorstellen, wie schwer bepackt ich heimwärts den Berg raufschnaufe. 

Auf dem Hinweg geht es noch. Da flitze ich als dynamische junge Bikerin auf der Straße. Im Laden altere ich um 50 Jahre und deswegen schleiche ich dann wie eine orientalische Gewürzkarawane auf dem Weg durch die Wüste meiner Hütte entgegen. Ich und meine Säcke schwanken auch so ähnlich. 

Versteht sich von selbst, dass ich dabei die Straße meide! Will ich schließlich auch nicht, dass – wenn ich schon mal das Auto nehme – vor mir ein altes Mütterchen auf der Straße lang japst und dabei fast das Zeitliche segnet! 

Auf dem Heimweg vom Laden muss ich auch ein paar Kreuzungen mit Fußgängerampeln überwinden. Im April ’20, also mitten im ersten Lockdown, fiel mir auf, dass eine Fußgängerampel nach der anderen vom symbiotischen Schaltzyklus sämtlicher Verkehrsampeln abgekoppelt wurde und am Schaft einen gelben Anforderungstaster erhielt.

Jetzt habe ich schon immer etwas dagegen, solche Tatsch-Dinger anzufassen. Ich finde das ekelig, auch ohne Corona!
Selten draufzuhauen, kann ich mich ja noch überwinden – aber pro Fahrt zigmal so ein Ding abzufingern: Das schaffe ich nicht.  
So verlegte ich mich zuallererst einmal aufs Warten, im Vertrauen darauf, dass die Ampel sich von selber ihres ehemals normalen Zyklus erinnerte. Tat sie nicht.
Als ich kalte Finger kriegte, hielt ich nach weiteren Passanten Ausschau. Fußgänger wären auch willkommen gewesen.
Passierte aber ebenfalls nicht. (Das liegt daran, weil ich als dauerhaft Homeoffice-Schaffende es raus habe, wann sich die wenigsten Mitbewerber draußen rumtreiben.)
Heim kam ich irgendwann trotzdem, behalte das Procedere aus Gründen aber für mich.

Wo ich nun selber bekennende Fahrradfanatikerin bin, zwinge ich natürlich auch meine Kinder, den Drahtesel zu benutzen. Ob die das wollen oder nicht: Bei Wind und Wetter wird Fahrrad gefahren! (Also fast bei Wetter! Bei Wolkenbruch, Schneefall und Blitzeis habe ich ein Einsehen. Kommen aber zum Glück alle drei Sachen selten vor – Klimawandel hat halt auch was für sich.)

Letztens goss es bei uns im Pott mal wieder heftig. Es war Freitagnachmittag und bereits den dritten Tag am Schiffen. Das Kleine war mit der Freundin zum Shoppen geradelt, denn im weiteren Verlauf des Nachmittags wollten sie backen. Sie besorgten eilig die Zutaten und befanden sich durchgeweicht auf dem Heimweg. Voll der Vorfreude. 

Doch zwischen den Mädchen und der Küchensause lag voraus noch eine große Kreuzung. Hochfrequentiert, Freitagnachmittag noch mal mehr als unter der Woche. In Fahrtrichtung geht es zweispurig drauf zu, im Kreuzungsbereich verbreitert sich das bergan um zwei weitere Spuren für die Linksabbieger. Dort sortieren sich auch grundsätzlich fast alle ein, denn geradeaus weiter geht es zur Stadt. Was will man schon da?

Befindet man sich mitten auf der Kreuzung und hat die erste Insel mit den schönen, immergrünen Sträuchern hinter sich gebracht, kommen noch ein paar Spuren aus anderen Richtungen und ein paar hochfrequentierte Ausfahrten aus Sammelparkplätzen hinzu – ein heilloses Durcheinander! Weil das so unübersichtlich ist, bin ich mit dem Fahrrad noch nie über diese Kreuzung gefahren. Das ist mir zu gefährlich! Stattdessen biege ich immer einen Kilometer früher in die Pampa ab. Ich bike ja eh gerne.

Nun war das Ziel der Mädchen aber die Küche der Freundin! Mein Prärieweg machte da fahrtechnisch keinen Sinn. Deswegen beschlossen die kleinen Damen, die Kreuzung vermittels Fußgängerampel zu queren.

Sie verließen also den Radweg, rollten hintereinander um die Fußgängerampel herum und stellten sich ordentlich nebeneinander auf. Eine drückte auf den Taster, dann warteten sie. 

Wie sie da so standen, scherte plötzlich ein Polizeiauto aus dem fließenden Verkehr aus. Es hielt auf dem Bürgersteig an, ein Polizist stieg aus: „Was treibt ihr denn hier? Was soll das denn hier werden?“
„Wir waren einkaufen, wir wollen heim.“ Sind halt ehrliche Mädchen und brave noch dazu.
„Aber doch wohl nicht auf dem Bürgersteig! Das ist verboten!“
„Wir haben Angst, über die große Kreuzung zu fahren.“
„Ab dem neunten Lebensjahr müssen Radfahrer die Straße benutzen! Ihr seid ja wohl schon lange älter als neun! Wer Fahrrad fahren will, muss sich an die Regeln halten!“
„Ist gut.“ Hätte ich an der Stelle auch gesagt. 
„Das will ich nicht noch einmal sehen!“ Die Fußgängerampel schaltete auf Grün, der Polizist wendete sich zu seinem Auto, die Mädchen stiegen auf. „UND ÜBER DIE AMPEL WIRD GESCHOBEN!“

Natürlich hat der Polizist recht: Das Angetatsche am Schalter zur Grünforderung gehört sich echt nicht! 
Gerade jetzt in Pandemiezeiten gilt es das dringend zu vermeiden!
Am sichersten wird es sein, ich mache das wieder wie früher: Ich chauffiere die Kinder einfach wieder überallhin mit dem Auto! 

Der wahre Freund trägt sein Bike Huckepack!

From → Kolumnen

60 Kommentare
  1. Frank Immisch permalink

    Wie immer sehr schön geschrieben. Ich mag die Kurzgeschichten. LG Franky

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  2. 😃 Die Polizisten haben eindeutig auch keinen Bock mehr auf Pandemie und Maskenüberprüfung und üben an den Kleinen schon mal, wie das nochmal im Straßenverkehr ging.
    PS: ich sah Dich förmlich schnaufend vor mir 😂

    Gefällt 5 Personen

  3. Mit D’dorfer Verweilverbot sind rote Ampeln ungültig.

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  4. „Heim kam ich irgendwann trotzdem, behalte das Procedere aus Gründen aber für mich.“ – Wie ich dich und deine Sportlichkeit einschätze, hast du es mit dem Fuß gemacht 🙂
    Wenn ich deine Spurenbeschreibung so lese, muss ich doch fragen, ob ihr kürzlich nach New York oder einer anderen unsympathischen Großstadt wie Berlin oder so umgesiedelt seid??? – Muss wohl doch Berlin sein, denn in York könnten die Polizisten gar nicht so unfreundlich sein – mit dem wechselnden Präsidenten hat sich auch die Weltanschauung der Polizisten geändert – hofft man jedenfalls. Bei uns war es doch nach der Wende so, oder warst du da noch Quark im Schaufenster, na ja fast.

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  5. Ich vergaß noch, dich zu loben für deine Schwerstarbeit – für 4 Personen einmal pro Woche auf dem Fahrrad schleppen – BEWUNDERNSWERT – ich schaffe das für mich allein mit dem Hackenporsche gerade so, die 8 Stufen vom Fahrstuhl bis zur Wohnung den Wagen zu ziehen – falls ich hier nicht mehr schreibe, bin ich dabei die Treppe runter gefallen.

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  6. Ich drücke solche Ekeltasten immer mit dem Knöchel.
    Auch am Pfandautomaten. Aber den Spleen hatte ich schon vor Corona.

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  7. Es glaubt einem kein notorischer Autofahrer, aber es ist so: Bin 25 Jahre jeden Tag 9 km zur Arbeit geradelt (hin- und zurück, nicht eine Strecke) – die Tage, an denen es ernsthaft regnet oder schneit sind selten. Und was die Kollegen auch immer nicht glauben wollten: bei so kurzer Strecke frieren die in ihren Autos, bei denen die Heizung erst langsam arbeitet, mehr als der sich warm strampelnde Radler (man darf nur nicht frierend losfahren). …

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  8. also Kindern auf hochfrequentierter AUTOkreuzung das Radeln auf dem Fußgängsterweg zu verbieten gehört meiner Meinung nach verboten. Dieser Freund und Helfer sollte lieber Innendienst machen und die Geschehnisse in der freien Wildbahn freundlicheren Kollegen überlassen.
    Sollnse halt mehr Radwege bauen! Und Kreuzungen so einrichten, dass man auch als nichtmotorisierter Mitmensch ohne Erfrierungen oder Moosansatz (ha!, so ein archaischer Quatsch … Feinstaublunge!!) zügig rüber kommt.
    Remscheid schmückt sich auch mit einigen solcher Monumente der Städteplanung.

    Besonders schmunzelte ich übrigens über die Gewürzkarawane. Mangel an Fantasie ist eindeutig nich Ihr Problem! 🙂

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    • Da muss ich mal nach Remscheid kommen! Das muss ich mir mal ansehen! 😂💪🏼
      Ich verstehe auch nicht, was es so aufs Gesetz zu pochen gibt. Sollen doch lieber froh sein, dass sich sämtliche Verkehrsteilnehmer klaglos mit der Misere arrangieren. 🙂

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  9. Ansammlungen an Ampeln sind doch verboten, oder mit Maske und Lächeln möglich?? Radlersituationen vom Feinsten 😉

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  10. Schön geschrieben. Mein Hund erledigt mittlerweile die Sache mit den Ampelschaltungen für mich, macht ihm auch noch Spaß

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  11. Hihi, wunderbar. Hatte ich erwähnt, dass ich im Herbst mit den schweren Einkäufen auf dem Fahrrad einen kleinen Abflug gemacht habe, weil sich nasses Laub unter trockenem Laub verbarg und ich meine schmale Bereifung beim Start noch extra fest für den nahenden Schwerlasttransport besonders gut aufgepumpt habe? 😉
    P.S. Natürlich ohne Helm, ich erinnere mich da noch gut an deinen Beitrag 😀

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    • Hattest du erwähnt! Ich erinnere mich ebenfalls sehr gut an deinen Flug! 😆
      Hast es verdaut? 🤩
      Ich habe vor drei Wochen fast Doppelflug mit dem Rennrad geprobt. Über unbekanntem Land wegen zu viel Verkehr auf der Straße. Auf einmal langgezogene Schlaglöcher voraus im ansonsten nudelholzglattgewalzten Teer. Hab icv zu spät gesehen und bin von der Straße abgekommen. Zu viel Zahn zum bremsen, kriegs auch noch irgendwie abgefangen und will auf die Straße zurück springen – da ist der scheiss Asphalt zu hoch 🙀
      Lange Meter Drama 😆
      Sitzt mir immer noch in den Knochen. Ich fahr dort jetzt immer noch schon vorsichtig 😂💪🏼

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  12. Oh nein 😮 Boah, die Schlaglöcher haben es echt in sich. Hier haben sich nach Schnee und Eis auch so ein paar ganz Gemeine aufgetan: Sie liegen im Baumschatten und wenn du sie siehst, ist es schon zu spät. Ganz fiese Dinger.
    Danke, bei mir ist alles wieder ok und das Training, bei dem ich mit viel Kraft oder Druck auf den Handflächen arbeite, klappt endlich auch wie vor dem kleinen Flieger.
    Pass auf dich auf, inzwischen ziehe ich auch den Helm wieder in Erwägung 😉 Liebe Grüße, Annette

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  13. Witziger Text, der für uns wie eine Dystopie wirkt. Wir leben in einem kleinen Dorf direkt am Meer, Ampeln sind hier ein Fremdwort und da jeder hier geimpft ist, fühlen wir uns ziemlich sicher. Es gab ja seit sechs Wochen keinen Coronafall in unserem Verwaltungsbezirk North Norfolk Coast. Fahrrad fahren hier sehr wenige, naja die Touristen, die uns zum Glück gerade nicht heimsuchen.
    Herzlichen Frühlingsgrüße vom kleinen Dorf am großen Meer
    The Fab Four of Cley
    🙂 🙂 🙂 🙂

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    • Das liest sich so schön friedlich, da kriege ich gleich richtig gute Laune 🤩👌🏼
      Bei mir hier auf dem Berg ist es auch schön ruhig, nur beim Einkaufen geht die Post ab. Zum Glück 😊
      Viele Grüße in das kleine Dorf am großen Meer 😻🌲

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  14. Lustig, die orientalische Gewürzkarawane. Ich hab jetzt aber zum Glück ne richtig gute Ausrede: Mein Fahrrad wurde gestohlen. Da muss ich jetzt eben doch das Auto nehmen. Mein Mitgefühl jedenfalls bezüglich solch unsensibler Ordnungshüter. Ich hoffe, das Backen ist noch gelungen!

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  15. Ja, ja, schwanke, Anke, Du bist mir so’ne olle Gewürzkarawane 😂😂😂

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