
Wo wir gerade so stramm aufs große Eierlegen zusteuern, gibt es mal wieder was aus meiner Nachbarschaft zu berichten. Dreht sich um Stoffwechselendprodukte; wie die Überschrift verheißt: Es geht ums Kacken. Reagieren Sie bezüglich der Frucht oder des Vokabulars empfindlich, lesen Sie heute hier besser nicht weiter!
Mein Nachbar jedenfalls beherbergt eine Menge echter Osterhasen. Die hoppeln den ganzen Tag durch den Garten und bereiten sich aufs große Fest vor – oder sie erholen sich davon. Eine zauberhaft puschelige Idylle.
Zwei Ställe betreibt der Nachbar mit etlichen Wohneinheiten. Als gemütliche Lage streut er zuunterst Sägespäne rein: Die dienen auch dem Aufsaugen, denn der Has nutzt kein Klosett. Seine Verdauung funktioniert nach dem Stopfdarmprinzip: Mümmelt er oben was rein, fällt unten was raus. Er kackt also ohne Ende.
Nun weiß ich nicht, wie oft man so einen Karnickelstall putzt, der Nachbar kennt sich da besser aus. Bis dato scheppte er beim Großreinemachen die Sägespäne mit den Flüßigkeiten und den pelettierten Kötteln in die Bio-Tonne. Die wurde wöchentlich abgeholt und der Kompostieranlage zugeführt.
Aber eben nur bis dato.
Letztens trug sich Folgendes zu:
Die Müllabfuhr polterte verspätet den Berg herauf. Der Nachbar kam gerade heim und weil er zeiteffizient veranlagt ist, ging er statt zuerst ins Haus, hilfsbereit den Jungs und seiner Bio-Tonne entgegen. Der eine Typ hängte die gerade in die Hebevorrichtung des LKWs, als der Nachbar freundlich grüßend daneben trat. In dem Moment entlud sich die Tonne und beiden Herren bot sich freie Sicht in den Kleinvieh-Abort.
„Wie oft muss ich dir eigentlich noch sagen, dass Hasenkacke kein Biomüll ist!“, regte sich der Müllwerker auf. „Guck dir an, wie ekelhaft das aussieht! Die ganze Zeit guck ich jetzt auf Scheiße und auf Pisse! Und das stinkt auch genau so!“
„Was für eine Sorte Sondermüll soll Hasenkacke denn sein?“ Der Nachbar vermutete einen Scherz.
„Ist jedenfalls verboten! Beim nächsten Mal lass ich deine Tonne stehen!“ Der Müllmann sprang auf den Tritt und der LKW fuhr ab.
Indes trieb die rüde Androhung meinen Nachbarn dermaßen um, dass er umgehend zum Telefon griff und bei den Städtischen anrief.
Fürbass erstaunt erfuhr er, dass seine Osterhasen tatsächlich gefährlichen Sondermüll ausschissen und in die braune Tonne zu kacken, auf jeden Fall verboten war. Ließe sich sogar auf der Homepage nachlesen.
Im Zuge der Recherche meines Artikels habe ich mir die korrekte Befüllanleitung der braunen Tonne dann auch mal reingezogen. Da stehen echt spannende Sachen drin!
Es ist nämlich ebenfalls verboten: „Erde aus Balkonkästen und Blumentöpfen, sowie Mutterboden“ einzufüllen und auch „kompostierbare Müllbeutel“ haben nichts in der Bio-Tonne verloren.
Hätten Sie das gewusst?
Schluss mit Erde zu Erde – bei der Müllentsorgung gelten andere Regeln!
Allerdings kommt es wie üblich darauf an, in welcher Gegend Sie wohnen. Unser Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (kurz: BMUV), hat auf seiner Homepage nämlich ebenfalls einen Waschzettel online gestellt. Gehts nach denen, gehören auch alte Fischgräten rein und das abgenagte Skelett vom Hühnchen. Hier macht dann aber meine Mülheimer Kommune nicht mehr mit, das stinkt denen wohl zu sehr.
Von den Vorschriften ab, will ich sie natürlich nicht im Unklaren lassen, wie der Nachbar künftig mit seiner Hasengülle verfahren soll! Das hat er die Städtische am Telefon nämlich auch gefragt.
Auf den Komposthaufen umlagern darf er nicht, das verseucht das Grundwasser. Offiziell und mit behördlichem Segen soll er die triefenden Sägespäne und die Köttel im stinknormalen Hausmüll entsorgen.
Dafür haben die ihm jetzt eine riesengroße XXL-Tonne vermietet, so eine für Mehrfamilienhäuser.
Letzte Woche wurde die nun zum ersten Mal abgeholt. Zufällig stand ich an der Kaffeemaschine, als die Müllabfuhr den Berg heraufgerumpelt kam. Während meine Maschine den letzten Gourmet-Tropfen ausspuckte, wurde des Nachbarn Karnickelabort maschinell in die Höhe gehievt, auf Kopf gedreht, sodass den Deckel abflog, um die Schoße planmäßig ins Müllauto zu gießen. Warum das schief lief, weiß ich nicht – vielleicht stürmte der Wind zu heftig, vielleicht klemmte die Justierung vom Zielwurf – jedenfalls platschte der Inhalt der halben Tonne in großen feuchten Flocken auf die Straße. Augenblicklich stand der Müllwerker bis zu den Knöcheln in einer Schneeverwehung, viel dunkler Graupel war auch dabei. Das Gesicht des Mannes, seine erstarrte Haltung, alles spiegelte seinen heftigen inneren Kampf wider. Dann obsiegte das Pflichtbewusstsein: Der Werker bückte sich, raffte den Misthaufen mit den bloßen Händen zusammen und warf ihn portionsweise ins Loch.
Jetzt ist das ja wirklich unschön.
Da weiß ich gar nicht, welches dezente Wort des Trostes und der Anteilnahme ich schreiben könnte und ob sich eine Beobachtung zu äußern geziemt.
Es traf denselben Müllmann, der den Köttel ins Rollen gebracht hatte.
Manchmal tritt das Schicksal einen, wenn man ihm die Zunge herausstreckt.


Ich will Euch mal wieder einen vom Gärtnern erzählen!
Da schreckt schon gleich der 1. Satz ab – stimmt’s?
Mich auch. Handelt sich nicht um meine Kernkompetenz.
Nichtsdestotrotz machen wir seit Jahren in Tomaten. Im ersten Jahr dermaßen erfolgreich – meine Urlaubsvertretung versorgte die halbe Nachbarschaft.
Im Jahr darauf lief die Zucht genauso grandios, allerdings ging es mir zunehmend auf den Sack, dass sich wegen der riesengroßen Pflanzen ab Ende Juli die Markise nicht mehr schließen ließ. Vor allem zur Mittagszeit nervte die verdammte Hitze!
Also beratschlagten mein Mann und ich über einen alternativen Standort für die roten Schätze.
Und damit ging die Kacke eigentlich los …
Im Frühjahr ’20 zogen zarte Jungpflanzen ganz nach hinten unters Dach vom Holzstapel. Dort waren sie so weit ab vom Schuss: Ich vergaß, sie zu gießen. Aus den Augen, aus dem Sinn – leider nahmen sie das krumm.
Meine Leute ebenfalls und ich versprach, mich fürs Jahr ’21 zu bessern. Täglich mit der Kanne nach hinten zu latschen, das Versorgen in die Morgenroutine einzubauen, wie Vögel füttern: Das klappte schließlich auch.
Weil ich aber aufgrund der Schelte und der Missernte besonders motiviert war, beschloss ich: Ab jetzt züchte ich alles selber!
Schön aus winzigen Samenkörnern – von Anfang an dabei sein! –
da kriegt man einen ganz anderen Bezug!
Zwecks des Eisprungs befragte ich das Internet. Bei zu früher Aussaat bestünde die Gefahr, dass sie vergeilen.
Vergeilen? Hilfe!
Ich wühlte abermals im Netz und erfuhr, dass es sich dabei keineswegs um einen anrüchigen Zustand handelte, sondern dass man das bei Pflanzen so nennt, wenn es zu dunkel ist. Sie suchen dann mit lange, dünnen Triebe nach der Sonne, deswegen sei es ratsam, erst Anfang März zu säen.
Um auf Nummer Sicher zu gehen, dass die Samen mit der Erde zu kräftigen Tomatenbabys kopulierten, säte ich erst am 31. März aus.
Und dass auch nur, weil mich meine Mutter daran erinnerte.
Hätte sie das nicht früher machen können?
War jedenfalls alles viel zu spät, die ersten Tomaten reiften Ende Oktober – das war kurz vorm ersten Frost.
Wenn etwas schief geht, gebe ich aber nicht auf, sondern will es im nächsten Anlauf besser machen! Also nicht nur die Lücken schließen, sondern obendrein noch kräftig steigern.
Mittlerweile befinden wir uns im Jahr ’22: Mein Mann kaufte im Internet Samen von alten Sorten.
Bei alten Sorten spricht man von alteingesessener Nutzpflanzen, die sowohl klimatisch angepasst sind, als auch (und das vor allem!): samenecht. Man kann sie selber aussamen und sich so sein Saatgut für das kommende Jahr selber züchten. Schluss mit dem alljährlich Kauf von F1-Hybriden – unabhängig sein. So der Plan.
Jedenfalls orderte mein Mann einen Satz mit 100 verschiedenen Sorten. Eigentlich schon dämlich, wir betreiben ja hier keine Gärtnerei. Die Samen kamen in einem kleinen Päckchen mit der Post. Jede Sorte in einem winzigen Tütchen, mini-futzelige Bildchen drauf, 6 Samenkörnchen pro Stück.
Mir schwante es schon …
Ich legte bereits Ende Januar los. Damit in meinen Mini-Gewächshäusern auf den Fensterbänken kein Platz verschwendet wurde, schnippelte ich Eier-Kartons zurecht. Ich füllte Erde ein – und wo ich einmal im Rausch war: die Samenkörner gleich hinterher. Weil ich dem Internetkauf nicht traute, gab ich auch ein paar F1-Hybriden mit in den Mutterboden.
Um die ganze Vielfalt auseinanderhalten zu können, steckte ich kleine Schildchen in jede Mulde und malte zusätzlich noch Lagepläne. Für den Laien sehen Tomatenpflanzen ja alle gleich aus.
Zuerst lief auch alles prima. Nach zwei Wochen spitzen die ersten zarten Blättchen und so erblickte ein Pflänzchen nach dem anderen das Licht meiner Küche. Ich versorgte sie liebevoll, ich sprach mit ihnen, wie man das halt so macht mit kleinen Kindern.
Dann kam der Moment, da ihnen ihre Wiegen zu klein wurden.
Draußen war alles zugeschneit und es dauerte ein paar Tage, bis ich genügend Töpfchen ausgebuddelt hatte.
Weil die Laufställchen nun aber verdammt viel Platz benötigten, passten sie im Verbund nicht mehr in meine Küchenfenster. Andere geeignete Zuchtfenster besitze ich aber leider nicht. Bereits nach zwei Tagen ging das mit dem Vergeilen los. Schwippelige hellgrüne Triebe, eindeutig: Die brauchten Licht!
Glücklicherweise setzte draußen Tauwetter ein, die Sonne kam zurück. Tagsüber trug ich die kleinen Pflanzen nun an eine windgeschützte Stelle hinters Haus, nachts holte ich sie in die warme Stube. Bereits am 2. Tag brachte ich die Namensschilder der alten Sorten durcheinander, am 3. Tag dann zusätzlich noch die Trennung von alten Sorten und F1. Egal: Kinder sind allesamt Kinder.
Ab da lief es recht gut. Etwa die Hälfte der kleinen Pflanzen überlebte die Tortour und wuchs kräftig heran. Dann kam der Mai: Zeit sie ins Freiland zu entlassen. In Kübeln unters Dach auf die Längsseite vom Haus.
Wie die Zinnsoldaten standen sie nun zitternd tagaus, tagein vor der Haustür, in einer langen Reihe bis zur Garage.
Nun erschloss sich mir auch, warum es gut war, dass die andere Hälfte es nicht geschafft hatte: Platz ist endlich.
Und dann ging der typisch deutsche Sommer los.
Ein Sommer, wie in meiner Kindheit: kalt, nass, Regen. Regen.
Die Tomatenzüchter unter Euch wissen, was das bedeutet.
Machen wir es kurz: Braunfäule, Krautfäule – alles, was Tomaten befällt, wenn das Wetter ist, wie es war, machte sich auf meinen Pflanzen breit. Ich war jeden Abend lange damit beschäftigt, schadhafte Früchte rauszuschneiden und von den Pflanzen die kranken Stellen zu entfernen, bevor die sich ausbreiten konnten.
Aufgrund meiner Daily Routine schafften es trotz der feindlichen Bedingen ab und an Tomaten bis zur Reife.
Alles in allem konnte man die Ernte jedoch vergessen und ich erkannte: Alte Sorten scheinen auch nicht widerstandsfähiger zu sein als Neuzüchtungen.
Bis auf eine Ausnahme. Galina! Die verhielt sich vom ersten Sproß an anders. Die runden Blätter sahen aus, wie die einer Kartoffel. Der Stamm wuchs kerzengerade in die Höhe, die Blätter blieben auch beim Reiben geruchsneutral und verströmten nicht den Geruch von frisch aufgeschnittenen Tomaten. Außerdem gab es nur einen schlanken Haupttrieb, es war nicht nötig, wilde Triebe auszugeizen.
Als sich endlich Blütenansätze zeigten, legte sich auch meine Sorge, es habe sich ein Unkraut unter mein Potpourri aus dem Internet gemischt. Blockierten schließlich drei Kübel an der Hauswand.
Die Früchte klein und gelb, stramm an einer Traube, ähnlich Cocktailtomaten. Galina opferte der Braunfäule zwar ihre Blätter, verteidigte aber ihren Nachwuchs.
Ganz dem ursprünglichen Plan folgend, beschloss ich, Galina weiterhin anzubauen. Zum Samennehmen war trotzdem Eile geboten, nicht dass auch Galina noch überrannt wurde.
Ich spähte drei besonders kräftige Exemplare aus, leider waren die noch ein bisschen grün. Besser ich gab ihnen noch zwei Tage am Strauch.
So weit kam es aber nicht – am nächsten Nachmittag waren die drei verschwunden.
Auf der Stelle trennte ich die nächsten drei Tomaten von ihrer Nabelschnur – auch wenn sie kleiner von Wuchs und grüner waren. Ich nahm die drei mit in die Küche und versteckte sie hinter der Mikrowelle. Sicher ist sicher.
War nicht sicher genug, am nächsten Tag waren die drei ebenfalls weg.
Langsam wurde ich ärgerlich, zumal draußen nur noch grasgrüne Kullern hingen. Ungeeignet für Saatgut.
Ich sprach ein ernstes Wort mit meinen Mitbewohnern und erklärten ihnen lautstark, warum es wichtig war, dass sie meine Pläne nicht weiterhin durchkreuzten!
Mein Pubi fand das unnötig; mein Kleinstes meinte, es würde auch Gurken mit zur Schule nehmen. Nur mein Mann unterstützte mich.
Als letzte Woche endlich wieder drei Früchte nachreiften, passte eigentlich alles. Sonnengelb, kräftig und makellos trug ich sie vorsichtig in die Küche. Doch als ich gerade das Messer ansetzen wollte – klingelte das Telefon. Für den Rest der Woche war ich mit einem Job beschäftigt. Die Tomaten versteckte ich: An drei verschiedenen Plätzen im Erdgeschoss!
Jetzt hatte ich nun letzte Woche so konzentriert gearbeitet – ich erinnerte mich schlicht nicht mehr der sicheren Plätze. Nur eine Einzige ist wieder aufgetaucht!
Die liegt gerade neben mir auf der Tastatur!
Die begleitet mich jetzt so lange, bis ich mich gleich um sie kümmere!
Die lass ich jetzt nicht mehr aus den Augen!
Ich geh noch kurz mit ihr aufs Klo, dann stöpsel ich das Telefon aus und auch die Türklingel!
Selbst wenn Feueralarm losjault: Ich bin nicht da!


In Deutschland ist alles intensiv beregelt und selbstverständlich bleiben auch im Mülleimer keine Fragen offen. Wir sortieren in kunterbunte Eimer – Farblegende nebst Erklärung schenken wir uns, wir Bürger können das!
Die Familie meiner Kollegin geht sogar besonders sorgfältig vor: Die putzen ihren Müll, bevor sie ihn wegschmeißen! Da wird der Joghurtbecher gespült und der Aludeckel vom Plastik gezupft: Soll ja beim Recycling keine Verunreinigungen geben!
Im Moment überlegt die Kollegin allerdings, ob es nicht ratsamer sei, künftig gleich ganz auf Joghurt verzichten. Die Familie sammelt noch die Argumente.
Nun haben wir uns ein wenig auf den Stoff eingestimmt, kommen wir zu dessen Abfuhr. Auf die Zeiten ist Verlass, da muss schon höhere Gewalt passieren, damit was außer der Reihe läuft.
Oder was Entzückendes: Feiertage! (HURRA!) – da verschiebt sich’s auch schon mal. Dann allerdings geplant und anscheinend mit System, der kundige Müllmacher kann das irgendwo einsehen.
Also anscheinend, der Kundige und irgendwo!
Merken Sie schon: ich nicht. Kann die Pfingstsamstage gar nicht zählen, an denen ich früh aus dem Tiefschlaf gerissen aufrecht im Bett saß, weil die Müllabfuhr draußen die Tonnen durch die Gegend schmiss. Unsere nicht dabei: so eine Scheiße.
Indes wunderte ich mich immer mehr, wieso mein Nachbar das mit den Tonnen drauf hatte und seine immer passgenau auf Termin am Bordsteig platziert. „Musst du App runterladen, da steht alles drin!“, meinte er. „Oder du fragst mich.“
Ich entschied mich fürs Fragen, das ist auch geselliger.
In der Theorie klingt der Plan gut, praktisch scheiterte er daran, dass, wenn mir gar nicht in den Sinn kommt, dass ich eine Frage stellen müsste, ich die auch nicht anbringe. Ging also alles im gewohnten Trott weiter: Feiertag, Müllabfuhr – Mischpoke und Eimer pennen.
Jetzt werde ich aber auch älter und lerne dazu. Innerlich war ich fast bereit, mir die schlaue MüllApp aufs Handy zu ziehen – mir war nur nicht klar, wo ich die herkriege. Den Städtischen schien das Problem auch zu dämmern, denn eines Tages hing dieses durchdachte Erinnerungsschildchen an meiner geleerten Tonne, mit QR-Code für den direkten Zugriff:

Ich also flugs die App installiert. An den nächsten drei Wochenenden klingelten die mich jeden Sonntag früh um 7:00 wach, um mich zu erinnern, dass ich ja nicht vergessen sollte, Montag den Eimer an die Straße zu rollern!
Ey …
Das habe ich mir deswegen drei Ruhetage lang gefallen lassen, weil ich nicht fand, wo man das abstellen konnte. Jeden Sonntag – während draußen der Hahn plärrte – fummelte ich an einem anderen Knopp. Einschließlich „Stumm-Schalten“ – brachte alles nichts: Sonntag drauf, Schlag Sieben: neuer Terror.
Nach besagten drei Arbeiterfeiertagen war ich drauf und dran, die App wieder zu löschen. Natürlich unter reger Kommunikation mit der Familie, in deren Verlauf auch ein paar Beleidigungen ausgetauscht wurden, woraufhin sich mein Kleinstes der Signaltöne annahm.
Jetzt spricht die App jedenfalls nicht mehr. Optische Erinnerungen gab es schon vorher keine, jedoch kann ich jetzt gezielt nachlesen, wenn ich mir unsicher bin. Theoretisch war ich mit der halben App also nur einen winzigen Schritt weiter, in der Praxis hatte ich mich aber so intensiv mit dem feiertäglichen Sonderleerturnus befasst, dass ich es jetzt drauf habe: Ich gucke einfach immer, wenn ein Feiertag ansteht, ob sich was ändert!
Wäre ja nun eigentlich alles gesagt und man könnte meinen heutigen Beitrag als Werbung für die App der Städtischen betrachten …
Doch Montag trug sich Folgendes zu:
Die Müllabfuhr traf pünktlich um 8:00 Uhr zum Mülleimer-Halma ein. Es goss in Strömen und laut meiner WetterApp sollte das auch den ganzen Tag lang so bleiben. Ich also in der Kaffeepause kurz raus, gelbe Tonne von neben der Haustür unter den Arm geklemmt und damit zur Straße gesaust, um die Gelbe statt der Grünen dort zu lassen.
Die Braune würde zwar am nächsten Tag auch dran sein, aber das konnte ich später erledigen. Hauptsache schon mal einen nassen Weg erledigt!
Schnell wieder rein und genüsslich eine Runde den Hintern auf dem Schreibtischstuhl plattgesessen. Keine zehn Minuten später dürstete mich erneut nach einem Kaffee und ich begab mich zur Tränke. Während der eintröpfelt, schaue ich immer aus dem Fenster, weil Gucken ins Grüne entspannt die Augen. Auch die Nachbarn gegenüber hatten die Eimer schon gewechselt. Die grüne Tonne war von der Straße verschwunden, stattdessen standen die Gelbe und die Braune einträchtig nebeneinander im Regen. Ich beugte mich ein wenig vor, um weitere Häuser ins Blickfeld zu bekommen. Bei den schrägen Nachbarn rechts und links lümmelten auch komplett durchcolorierte Eimerreihen am Bordstein.
Da hatte ich gleich früh richtig schön für Stimmung gesorgt und den Nachbarn die Schrittzähler hochgescheucht.
Wohl weil das so nett von mir war, hörte es kurz darauf auf zu pissen.
Das freute mich, ich hatte einen Termin in der Stadt, jetzt konnte ich das Fahrrad nehmen. Packte also fix meine Plörren zusammen und schwang mich in den Sattel. Ich war schon den halbe Berg hinunter geritten, da fiel mir plötzlich auf, dass vor fast jedem Haus der gelbe und der braune Eimer standen. Hatte ich etwa die ganze Straße verrückt gemacht? Diese Woche beglückte uns doch gar keinen Feiertag. Oder doch? Seit wir Pandemie haben, weiß ich nicht mal, in welchem Jahr wir leben. Sollte ich umkehren und sicherheitshalbe auch meine Grünzeug-Tonne platzieren?
Mittlerweile war ich unten angekommen. Runter gehts halt schnell. Kurz vor der Kreuzung stoppte ich: die MüllApp befragen. Handy raus – kein Netz. So viele Leute konnten sich nicht irren! Also strampelte ich den Berg wieder rauf. Das dauerte eine Weile, die Sonne kam raus, ich schwitzte schön.
Vorm Haus im Wlan dann doch noch die App gecheckt: Abfuhr selbstverständlich erst morgen!
Hatte ich den ganzen scheiß Berg für die Katze bezwungen!
War ich vermutlich die Einzige, die meine Pisswetter-Aktion vom Morgen wirklich gestresst hatte.
Wo wir das Lehrbeispiel mit der Schadenfreude nun auch behandelt haben: Was will sie denn jetzt noch?
Leute, das ist halt immer noch nicht alles!
Heute kündet der Kalender jedenfalls von Dienstag: dem reguläre Abholtag der zwei strittigen Mülleimer. Ist auch schon ein paar Stunden her, dass die Müllabfuhr draußen randalierte.
Gerade wollte ich meine beiden Tonnen reinholen, was mussten meine Augen schauen?
Nur eine Tonne leer!
Die braune Tonne noch randvoll!!
Da hatte ich mich so intensiv mit dem Müllthema auseinandergesetzt, wie mit Sicherheit kein Zweiter hier auf meiner beschaulichen Straße – und dann lassen die Hornochsen ausgerechnet meinen Eimer stehen?
Es dankt einem einfach keiner. Am besten, ich lasse es wieder laufen wie früher.
Da rege ich mich auch weniger auf!

Hi Leute,
ich will Euch noch mal einen vom Gärtnern erzählen! Hatte mich ja letztens mit den Tomaten so schön ins Beet reingedacht. Außerdem muss man auch manchmal seine Standbeine neu kreuzen, kann ja nicht immer nur vom Fahrradfahren und vom Einkaufen erzählen. Per Dekret überstandene Pandemie hin oder her.
Ich esse nicht nur gerne Tomaten, ich mag auch gern Salat. Da ich nur ein Mal wöchentlich zum Shoppen aufbreche – und das noch dazu mit dem Fahrrad – liegt es auf der Hand, das Grünzeug selber anzubauen.
(Dass auch heute trotz thematischen Wechsels Fahrradfahren und Lebensmittelbeschaffung untergebracht sind, beschert mir im Herzen eine warme Zufriedenheit)
Konkret dreht sichs heute um Schnecken.
Wie man die aus dem Gemüsebeet fernhält, habe ich noch nicht herausgefunden. Der theoretischen Ansätze gibt es reichlich: Von Sägespäne ausstreuen oder Kaffeepulver, über Bierfalle, Zerteilen, bis hin zum Auslegen von Schneckenkorn. Von rückwärts betrachtet alles sehr brutale Unterfangen. Die Mittel hingegen, die keinem der Phlegmatiker an die Schleimhaut gehen, „helfen“ dafür nichts. Zumindest nicht, wenn sich solche Massen zum großen Fressen versammeln wie bei mir.
Ich jedenfalls kann keine Schnecke töten. Ich spreche sogar mit denen. Also ich schimpfe, während ich sie am Schlafittchen aus der Nervzone verfrachte, dass sie gefälligst Gras spachteln sollen.
Evolutionär ist das auch nicht zu viel verlangt, das begründet sich schon damit, dass Schnecken seit 500 Millionen Jahren über die Erde kriechen, hingegen sich erst 200 Millionen Jahre später der Mensch dazugesellte. Und da betrieb der noch lange keinen Ackerbau!
Mittlerweile haben uns die Schnecken dermaßen überrannt: Nicht mal mehr Schnittlauch und Zwiebeln gedeihen in meinem Hochbeet.

Doch der personalisierten Werbung in den sozialen Netzen sei es gedankt: Letztes Frühjahr las ich einen Artikel über die ultimative Schneckenbarriere: Eine Beeteinfassung aus Kupfer!
Kupfer könnten Schnecken angeblich nicht überwinden; wenn sie feucht drüber schleimen, würde ihnen das eine Art Mini-Stromschlag verpassen.
Klang logisch. Wenn man mit der Zungenspitze sacht gegen die Gießkanne titscht, kribbelt das auch so komisch.
Kupfer, das Fort Knox des Gemüsebeets!
Flugs dem Gatten erzählt und der stante pede recherchiert, wo man eine Einfassung aus der Wunderwaffe ohne Blutvergießen herkriegt.
Leider scheiterte das Unterfangen gleich während der nächsten Viertelstunde am Preis. Für 600 Oken ließe sich der Salat vermutlich für die nächsten Jahre bis auf den Küchentisch liefern lassen.
Doch dann fiel der Blick meines Mannes plötzlich auf unser Carportdach. Das ist rundherum mit Kupfer verkleidet. Konnte es etwas Passenderes geben?
Weil wir mal wieder im Lockdown lebten, graste ich im Internet nach schwarzen Maurerkübeln. Die sind viel günstiger als riesige Blumenkästen. Ich bestellte einen 10er Satz, der wurde auch zügig per Spedition geliefert. Eine Woche später kam die gleiche Fuhre noch einmal – weil der Rückversand aber so teuer gewesen wäre, durfte ich alle behalten.
Das freute mich, trotzdem wollte ich mich nicht gleich zu Anfang übernehmen und platzierte nur das Starterset auf dem Dach.
Die Beschaffung der Erde gestaltete sich ebenfalls schwierig: Pro Kübel gingen drei 40l-Säcke drauf. Ins Auto passten aber nur zwölf je Fahrt. Weil alles zusammen kräftig ins Geld ging, mischten wir die Befüllung selber. Unten rein kleingeschnittenen Zweige, dann eine Lage Grünschnitt und Kompost, gefolgte von einer dicken Schicht Mutterboden aus dem Garten und nur zuoberst, für die zarten Wurzelchen am Anfang, ein paar Zentimeter Blumenerde aus dem Sack. Samen in den Boden, fertig.
Alles klappte prima, selbst die zwei Freischwimmertage infolge des Unwetter vom Juni verkraftete mein buntes Salatgemisch besser als mein Keller.
Kurz darauf begann die Ernte und wir schwelgten bis zum Urlaub in den feinsten Salaten. Es gab Ruccola, Kopf-, Eisberg- und Pflücksalat und noch ein paar andere, deren Namen ich vergessen habe. Ein grünes Gedicht!
Pünktlich zu Urlaubsbeginn waren die Wannen abgeerntet. Als ich mit dem letzten Kopfsalat im Arm vom Dach steigen wollte und über die halb zugewachsenen Trittsteine balancierte, die zum Schutz der klassischen Dachbegrünung auf Höhe des Fensters liegen, knackte plötzlich etwas laut unter meinem Schuh. Klang wie das Haus einer Weinbergschnecke, fühlte sich auch so an. Mich durchzuckte es.
Sacht hob ich meinen Fuß. Die Szenerie glich einem Massaker: Die arme Schnecke total zermatscht. Das tat mir fürchterlich leid, wenigstens hatte sie nicht gelitten. Aber wie, zur Hölle, war die aufs Kupferdach gekommen??
„Wird vom Baum gefallen sein“, meinte mein Mann.
„Oder eine Krähe hat sie hingetragen“, überlegte mein Kleinstes.
In dem Moment rauschte mein Pubi in die Küche, er war auf Nahrungssuche. „Wo wir gerade beim Thema sind! Du könntest die Schnecken auch kochen. Aber würz gescheit!“
Das Kleinste schüttelte sich. „Ich will keine Schnecken essen!“
„Muscheln isst du doch auch! Schlabberzeug zwischen harter Schale. Ist auch nichts anderes.“
„Die gucken aber nicht so süß.“
„Wenn die Mutter nicht wieder am Salz spart, schmecken die bestimmt lecker!“
Nach den Sommerferien kletterte ich erneut aufs Dach und vollzog die Nachsaat: prognostiziertes Ernteglück für in sechs Wochen .
Weil es unterdessen ständig regnete, sodass ich mir das Gießen sparen konnte, kümmerte ich mich nicht. Lediglich nach vierzehn Tagen spitzte ich kurz von der Leiter, ob die Samen aufgegangen waren. In sämtlichen Maurerwannen sprießte es gleichmäßig zart und grün: Mir tropfte im Voraus der Zahn.
Irgendwie hatte ich dann mal wieder eine Menge um die Ohren und erst nach mehr als zwei Monaten fiel mir der Salat wieder ein!
Mitten im Satz sprang ich vom Schreibtisch auf, schnappte mir in der Küche eine Schüssel und kletterte aufs Dach. Voll der Vorfreude.
Wohl weil ich den Job gedanklich mitgezerrt hatte, peilte ich das Übel erst, als ich mit der Schere in der Hand vor der ersten Wanne niedergekniete. Die war voller Schnecken!
Die zweite auch!
In allen Wannen! Kriechende Heerscharen!
Mit Haus und ohne! Kein einziges grünes Blatt!
Kupferblech hält jedenfalls keine Schnecke auf!
Das habe ich gerne für Euch ausprobiert, Leute ❤


Gestern habe ich früh mal wieder kräftig prokrastiniert. Anstatt mich mit einer Neuausrichtung auseinanderzusetzen, schwatzte ich online mit meiner Freundin Sonja.
Wir tauschten uns interdisziplinär auf Threema aus und zur Verdeutlichung ihres Standpunkts schickte sie mir irgendwann ein Foto, auf dem sie die wichtigsten Passagen eines Textes mit grünen Pfeilen markiert hatte.
Ich war überrascht. „Wie hast du das mit der Bildbearbeitung hingekriegt? Das will ich auch können! Erklär mal!“
„Hä?“, fragte Sonja. „Ich verstehe nicht, was du nicht verstehst.“
„Ich kann Bilder nur über Whatsapp verzieren.“
„Na und? Reicht doch.“
„Nein, reicht nicht! Ist umständlich.“
Danach passierte erst mal eine Weile nichts, Sonja schien abgetaucht.
War sie aber nicht! Ein halbe Stunde später – ich hatte endlich in meine Arbeit gefunden – rumpelte meine Telefonzelle. Eine Meldung nach der anderen rauschte rein: Sonja hatte mir eine detaillierte Dokumentation erstellt!
Im Geiste sah ich mich sogleich als jubilierenden Crack der Threema-Bildbearbeitung! Ich schickte Sonja 1000 Küsse durchs www.
Gleich nach meiner Liebesbekundung probierte ich den Leitfaden aus.
Funktionierte aber nicht. Ich konnte keinen einzigen Screen umsetzen.
Sonja reichte es schließlich. „Du mit deinem bescheuerten IPhone! Kauf dir endlich was Gescheites!“
Wir debattierten kurz, das lasse ich aber weg – bei Handys kommt es eben darauf an, welchem Lager man angehört.
Sonja wäre nicht Sonja, hätte sie nicht noch einen weisen Ratschlag für mich gehabt. Einen, den ich wirklich gar zu gern in die Tat umsetze! „Schreib einen Blogbeitrag und frag deine Leute! Die wissen immer Rat!“
So wende ich mich nun vertrauensvoll an Euch.
Liebe Leute,
Kann mir einer erklären, wie ich bei Threema ein Bild befummele, ohne es vorher umständlich einem aus der Familie per Whatsapp zu schicken? Das führt nämlich häufig zu Missverständnissen, gerne schlimmer. Meinem Pubi habe ich beispielsweise letztens eines in die Schule gesandt. Während der Mathe-Klausur. Das regte ihn ziemlich auf, vor allem aber den Lehrer. Zusätzlich sorge ich mich nun auch noch ums Zeugnis …
Kann mir jemand helfen?

Mein Pubertikel fährt seit einer Weile jeden Morgen mit dem Auto nach Düsseldorf. Wie das bei jungen Menschen häufig ist, braucht er viel Schlaf. Deshalb reizt er seine Abfahrtszeit bis zum Gehtnichtmehr aus. Gerne auf unter Null – aber das muss er selber wissen, er ist alt genug.
Weil er nun frühmorgens so gestresst ist, frühstückt er im Stau. Eine Schale Müsli mit viel Milch – lagert während der Fahrt im Flaschenhalter der Konsole. Wegen der Balance eignet sich dafür nicht jede Schüssel: Es muss eine mit einem kleinen Standfuß sein! Dann schwappt das auch in der Kurve nicht über. Außer bei Vollbremsung – gegen so viel Schwung ist kein Fuß gewachsen.
Weil mein Youngster es außerdem als überflüssig ansieht, abends seine Tasche mit rein ins Haus zu nehmen, hat er morgens auf dem Weg zum Parkplatz schwer zu schleppen. Tagesaktueller Buchbedarf, Brotdose, unterm Arm zwei Trinkflaschen- oben auf dem Turm trohnt sportlich die Müslischale.
Da geht schon mal was schief. Kurz vorm letzten Lockdown fiel dem Knaben alle paar Tage eine runter. Wir kamen porzellanmässig zwar noch klar, aber weil ich mich sorgte, erstand ich am allerletzten offenen Tag in einem Ramschladen, als ich noch eilig Acrylfarben für das Kleinste einkaufte, zwei Schüsseln. Erst mal nur zwei, sollte sich stilistisch ja in unseren Haushalt einfügen.
Daheim angekommen kriegte ich bald einen zuviel. Die dickärschigen Hochwänder passten mit den Füßen nicht in das Nest vom Flaschenhalter – und was noch viel schlimmer war: deren moderne Schlammfarbe ganz und gar nicht zu meiner alten Holzküche!
Ließ sich aber leider nicht mehr korrigieren, die Läden waren ja nun alle dicht.
Nichtsdestotrotz veränderte mein Pubertikel nichts an seinen Lastenwegen und so schrumpfte unsere Schüsselbestand weiter zusammen. Das ging so weit, dass der Bengel eines Morgens die Lieblingsschüssel vom Gatten aus der Spülmaschine fischte.
„Was wird das?“, ranzte der ihn auch sogleich an.
„Du willst ja wohl nicht, dass ich in der Schule vor Hunger nicht denken kann!“, blaffte der Knabe zurück.
„Wehe du schmeißt meine Schüssel runter!“ Villeroy & Boch übrigens, Farbe Tannengrün.
„Doch. Am besten ich werf sie zum Auto!“
Der Gatte ließ ihn trotzdem ziehen, Eltern fühlen sich eben für den schulischen Erfolg ihres Nachwuchses verantwortlich. Ging auch alles gut, bis zum Abend.
Der Scheinwerferkegel schwenkte in die Einfahrt, mein Pubi stieg aus und suchte seine Plörren zusammen. Er stapelte seinen obligatorischen Turm, den trug er so, dass er die Schüssel unterm Kinn festklemmen konnte.
Er schwankte zur Tür und kriegte auch den Schlüssel heil aus der Hosentasche gefummelt. Dann machte er mit ausgestrecktem Arm einen Schritt auf den Abtreter zu – als plötzlich etwas schrill aufkreischte. Gleichzeitig spürte mein Pubi einen scharfen Schmerz in der Wade.
Erschreckt sprang er aus der Gefahrenzone, weswegen er mit der Schulter gegen den Türrahmen krachte, woraufhin es auch sogleich heftig schepperte und klirrte. Modell Tannengrün und der Löffel, beide mehr oder weniger im Eimer. (Die schwarze Nachbarskatze ist seitdem auch noch nicht wieder aufgetaucht!)
Ich tat jedenfalls so, als hätte ich nichts mitbekommen; der Vatter des Knaben weilte, Gott sei es gedankt, noch beim Broterwerb.
Am nächsten Morgen fuhr mein Pubi hungrig zur Schule.
Aber nur für eine Stunde. Den übernächste Sitznachbarn ereilte die Pandemie und so war es das erstmal für meinen Sohn.
Wohl weil ich das mit den Schüsseln to drive eh nicht hätte lösen konnte, machten die die Bildungsanstalt zu.
Die Institutionen meiner restlichen Familienmitglieder auch und so frühstückten wir nun jeden Morgen gemeinsam zu Hause. Müsli gab es aus Suppentellern oder wer wollte, gleich aus der Salatschüssel. Je nach Befindlichkeit und Fassungsvermögen der Personen.
Und dann geschah etwas für mich Unerwartetes.
Ich guckte mir die beiden vom kürzlichen Fehlkauf schön!
Jeden Morgen gefielen mir die Schlammfarbenen nun besser. Nach der vierten Woche fühlte ich mich dermaßen verzückt, dass ich zu meinem Mann sagte: „Wenn der Lockdown vorbei ist, fahr ich als allererstes wieder in den Ramschladen! Dort kaufe sämtliche Schüsseln auf, die die noch haben! Alle nehm ich!“
Hätte ich das mal besser für mich behalten!
Oder hätte ich mich zumindest wegen der Mengenangabe sozialer geäußert und dabei solidarisch an die Mitmenschen gedacht, denen sich unterm Lockdown ebenfalls ein Bestandsproblem an Müslischalen entwickelt hatten!
In der folgenden Nacht brannte der Laden nämlich ab!
Lichterloh!
Der ganze Gebäudekomplex!
Traurig betrachtete ich am nächsten Tag die Bilder vom Brand in der Tageszeitung. Weiter hinten lag ein Prospektbeileger drin. Ein einziger nur, lohnte sich ja im Moment nicht. War die Printreklame von ebenfalls einem Ramschladen, aber einem für Restposten. Weil der auch Lebensmittel im Sortiment hat, blieb der auch während des Lockdowns offnen. Gepriesen im Prospekt wurden Leinwände und Mist – ich interessierte mich nur für das Erste. Muss ja immer an Beschäftigungsnachschub für mein Kleinstes denken.
Ich also freudig in den Laden gesaust – hatten die sämtliche Regale mit Malerplane verhüllt. Nur die Lebensmittel im Eingangsbereich und mit Flatterband markierte schmale Gänge zu den Angeboten waren frei zugänglich.
Schnell ratterte ich mit meinem Einkaufswagen bis ganz nach hinten zu den Leinwänden. War ich aber die Einzige, Kunst ist eben nicht jedermanns Sache.
Auf dem Rückweg mit den Dingern ließ ich mir dann Zeit, die Schlange an der Kasse reichte bis weit in den Laden hinein. So kam es, dass ich auf eine gelupfte Malerplane aufmerksam wurde. Sie hing halb offen zwischen Gang und Flatterband, so als wenn einer sein Tippi zum Durchlüften aufgesperrt hätte. Was war hier los? Ich bückte mich, um reinspähen zu können:
Drei Müslischalen! Kunterbunt! Ganz allein! Aus Steingut!
Mein Herz machte einen freudigen Satz!
Wenn das kein Zeichen war!
Vorsichtig angelte ich die Schalen raus und setzte sie in den Einkaufswagen. Dann schön gemächlich damit zur Kasse gerattert, nicht dass noch was kaputt ging.
„Wo haben Sie die denn her?“, fauchte mich die Kassiererin an. „Das ist verboten!“
„Die Plane war offen, ich hab nichts gemacht!“, verteidigte ich mich erschrocken.
„Dann hat jemand anders die Plane aufgerissen. Ist aber trotzdem verboten. Darf ich Ihnen leider nicht verkaufen, junge Frau.“
„Aber ich brauch die so dringend. Mein Sohn hat alle paar Tage eine fallen gelassen. Wir haben keine einzige mehr! Und die Läden sind doch schon ewig zu“, brach es aus mir heraus.
„So einen habe ich auch daheim! Packen Sie sie schnell ein, damit das keiner mitkriegt!“
Ich hätte die Kassiererin küssen können! War aber ebenfalls verboten. Vielleicht hol ich das nach, wenn der ganze Spuk vorbei ist.
Die Schalen jedenfalls: ein Gedicht. Fügen sich farblich harmonisch in meine alten Küche ein, Standfuß genau im richtigen Flaschenhalter-Durchmesser fürs Auto – als gehörten die schon immer zu unserem Interieur.
Normalerweise wäre hier jetzt Ende gewesen, sind ja alle zufrieden.
Doch das neue Schuljahr hat begonnen. Und mein Pubi tuckert morgens wieder nach Düsseldorf. Als er heute Morgen am Fenster vorbeifuhr, stand die Müslischale auf dem Autodach …
Wenn der Bengel heute heimkommt! Dem zieh ich die Hammelbeine lang!


Kann die eigentlich auch mal von was Anderem erzählen als vom Fahrradfahren und Einkaufen?
Kann die.
Wird aber eher mau, passiert ja immer noch nicht wieder so viel.
Bis auf letzten Feiertag, da war hier fett was los!
Los ging es damit, dass die WetterApp auf einmal 100% Gewitter verkündete.
Ich voll den Schreck gekriegt! Alle paar Minuten erneut das Wetter gecheckt: Nichts tat sich. Auf dem Bildschirm blieb es dabei: ab 22:00 Uhr Blitze und Schiffstauregen, die ganze Nacht lang.
Ich kriegte das Flattern und mein Mann sagte den Grillabend mit seinen Jungs ab. Meine Freundin Moni fragte irritiert, weswegen wir uns so übers Wetter aufregen würden. Gewitter wären doch eine gemütliche Naturerscheinung, sofern man im trockenen Haus säße.
Doch genau da hakt es bei uns!
Trotz dass wir auf einem Berg wohnen, laufen hier in den umliegenden Häuser bei Unwetter die Keller voll. Das Wasser, das drinnen landet, stürzt nicht etwa als Lawine durchs Fenster – nein: Es kommt von unten. Aus der Kanalisation, aus den Kabelschächten, den Wänden …
Woran liegt das?
In unserer beschaulichen Stadt wird das mit dem Abwasser offensichtlich von Schildbürgern geregelt. Eine grüne Fläche nach der anderen wird bebaut und versiegelt. Schön mit Häusern, Garagen und Nebengelass und drumherum alles gepflastert, wie man das heute gerne hat. Das Niederschlagswasser, das ursprünglich im Boden versickerte oder sich sonst wo seinen Weg suchte, wird schön geordnet der Kanalisation zugeführt.
Die Abwasserrohre sind in weiten Teilen aber noch die der urspünglich spärlichen Besiedelung der Gegend. Bei Starkregen ist die maximale Durchflussmenge in den Rohren schnell erreicht – und dann drückt das Wasser eben da raus, wo der Widerstand geringer. Wir und unsere Nachbarn sind somit Teil der städtischen Kläranlage, oder vielleicht werden wir auch als eine Art Staustufe betrachtet. Wenn zu viel da ist, wird bei uns zu Hause zwischengelagert, bis die Städtischen wieder genügend Platz haben. Ehrenamtliche Maßnahme, versteht sich.
Aber lassen wir das Theoretische mal beiseite und finden wir uns gemütlich zur Show in meinem Kellergeschoss ein!
Das letzte heftige Unwetter lag schon ein paar Jahre zurück und wir waren leichtsinnig geworden. Wir hatten zusätzliche Wohnbereiche in den Keller verlagert: Mit dem Schlafzimmer waren wir runter gezogen (Im Sommer ist das megageil!) und mein Mann hatte seinen Probenraum in den breiten Flur verlegt. Die Kinder werden eben größer, die freuen sich über mehr Raum alleine unterm Dach. Gibt Dinge, die will man als Eltern auch besser nicht mitkriegen!
Jedenfalls setzte an jenem Feiertagsdonnerstag mit einer halben Stunde Verspätung stürmischer Regen ein. Er peitschte an die Fenster, er drosch aufs Dach – weil aber kein Blitz zuckte und auch kein Donner krachte, flätzten wir relativ relaxt auf dem Sofa. Nach einer Weile ging mein Mann die Kellerräume überprüfen.
„Alles ruhig“, kam er kurz darauf zurück und nahm sich ein Bier.
„Muss das sein?“
Mein Mann nickte und entkronte die Flasche.
Der Regen drosch weiter ungebremst aufs Land. Plötzlich befahl mir eine klare Stimme im Kopf: „Marsch, in den Keller!“
Normalerweise höre ich ja nicht, wenn mir einer was anschafft – aber beim Keller krieg ich das große Rennen!
Zuerst sauste ich in die Waschküche. Da ist wenig zu tun, das geht schnell: Teppich einrollen, der da zum Höhenausgleich über der Sickergrube liegt; Bügelbrett und Bügeleisen raus auf die Kommode und zum Schluss die riesige schwarze Baumarktwanne so unterm Waschbecken positionieren, dass sie das überlaufende Wasser auffängt!
Anschließend in den Vorratskeller!
Da lagerte alles – schön wie beim Sitzkreis – auf dem Fußboden.
Ich stieß einen fäkalen Fluch aus. Solchermaßen motiviert begann ich dann eilig, Türme aus Sport- und sonstigen Taschen zu schichten, die meine Leute – einschließlich meine Wenigkeit – für gewöhnlich dort bis zum nächsten Gebrauch zwischenlagern. Es galt, so viele textile Behältnisse wie möglich aus der bodennahen Gefahrenzone in Sicherheit zu schaffen!
Im Lauf der vergangenen Unwetter hat sich bei uns eine Routine im Handling der Situation eingespielt: Während ich mit den Plörren im Keller beschäftigt bin, beobachtet mein Mann die Straße. Sobald sich die Wassermassen, die rechts und links am Bürgersteig den Berg heruntergeschossen kommen, in der Straßenmitte vereinigen, begibt man sich besser mit allen verfügbaren Mann, bewaffnet mit Eimern, Schüsseln und Lappen, runter. Hatte ihm der Nachbar gleich nach der feuchten Feuertaufe in unserem ersten Sommer hier verraten.
Mir ist solche Beobachterei zu meditativ – zumal die Straße nachts stockfinster liegt.
Ich achte stattdessen lieber auf die Geräusche im Haus.
Gurgelt der Küchenabfluss, bleiben noch exakt drei Minuten, bis es zur Sache geht.
So auch dieses Mal.
Das Spülbecken rülpste. „Gleich kotzt es!“, rief mein Mann runter.
„Habs gehört!“, rief ich rauf.
Während ich noch geschwind die Fließbarrieren aus alten Bademänteln auslegte, die sich in der Vergangenheit bewährt hatten, damit sich die Suppe nicht unkontrolliert im ganzen Kellergeschoss ausbreitet, baute mein Mann seinen Proberaum ab. Weil ihm das so früh einfiel, quoll das Wasser bereits aus der Wand, als er gerade mal die am tiefsten stehenden Gerätschaften auseinandergenommen und in den Heizungskeller bugsiert hatte. In drei Minuten schafft man halt nicht viel.
Wie es dann in seinem Reich weiterging, weiß ich nicht genau, denn in der Waschküche setzte Plätschern ein!
Das Waschbecken lief über. Gleichzeitig richtete sich ein Springbrunnen aus der Sickergrube auf – ein echt schönes Schauspiel. Romantisch wie in Sanssouci, fehlten nur die Fanfaren.
Ich hielt es für besonders pfiffig – im Nachhinein entpuppte es sich als ziemlich doof: Diesmal wollte ich das Wasser daran hindern, die komplette Waschküche zu fluten und legte die schwere Mantel-Fließbarriere knapp hinter der Fontäne aus.
Schnell stieg der Pegel an und ich begann zu schöpfen. Mit der Rührschüssel in zwei Eimer, schnell waren beide voll.
Ich hievte sie auf und watete durch den Flur zur Treppe. Im Erdgeschoss kippte ich den ersten Eimer ins Klo – da lief die scheiß Brühe nicht mehr ab! Im Gegenteil!
Es kam noch mehr von unten hoch!
Braune Suppe!
Bis zum Schüsselrand!
HILFE!!
„WOHIN MIT DEM WASSER?“, brüllte ich. Zur Haustür raus ging nicht, davor stand es ebenfalls zentimeterhoch. Hatten wir bei unserer allerersten Überschwemmung nämlich mitleidig hereingelassen.
„Kipp in den Wirlpool! Wird der wenigstens endlich mal genutzt!“
Ich schleppte meine Ladung also wieder nach unten und watete den Gang nach hinten. Als ich die Sauerei auf Höhe der Waschküche blickte, erkannte ich, dass der Kampf dort eh verloren war und entschied, meinen Mann im vorderen Teil zu unterstützen, denn dort kam Wasser aus drei Räumen an. Deshalb ließ sich dort auch besser schöpfen, denn hinter dem künstlichen Bademantelstaudamm sammelte sich das Wasser 10 cm hoch.
Schnell hatten wir zu optimalen Arbeitsteilung gefunden. Mein Mann schöpfte und ich schleppte. Zwischen den dicken Mauern ist halt wenig Platz. Wir schwitzten beide wie die Tiere.
Endlich, als der Whirlpool schon eine gute Füllmenge aufwies (wäre das Wasser klar gewesen, hätte man nach getaner Arbeit gut darin baden können), hörte das Plätschern in der Waschküche auf. Der Springbrunnen im Waschbecken beruhigte sich und auch der in der Sickergrube nickte ein.
Nach einer weiteren halben Stunden floß auch bei uns im vorderen Teil kein Wasser mehr nach und wir inspizierten die restlichen Räume. Im Vorratskeller standen die üblichen Pfützen, zum Glück war der ehemalige Kühlraum – in dem meine hochgeschätzte und seit Generationen weitervererbte Weihnachtdeko lagert – wie gewöhnlich trocken geblieben. Heizungskeller und Schlafzimmer ebenfalls.
In der Waschküche war das Wasser mittlerweile durch die Sickergrube abgeflossen – die Eisentür zum Kriechkeller hielt mein Mann geschlossen: „Auf die Schweinerei hab ich heute keinen Bock mehr, da guck ich erst morgen rein!“
Mich freute das, denn normalerweise ergoss sich beim Öffnen von dort eine Schlammlawine.
Es war mittlerweile halb zwei Uhr, wir waren durch …
Am nächsten Morgen waren wir dermaßen mit Aufräumarbeiten und erweitertem Informationsaustausch mit der Nachbarschaft beschäftigt: Wir vergaßen den Kriechkeller völlig. Erst am 3. Tag fasste sich mein Mann ein Herz!
Die nur einen Meter dreißig hohe eiserne Tür, die sich unter der Treppe befindet, kreischte und schrappte fürchterlich. Sie ließ sich nur mit vollem Körpereinsatz bewegen. Feuchtmoderiger Gestank aus zehn Verliesen schlug uns entgegen. Nicht bloß ob des wallenden Dunstes hielt ich die Luft an!
„Das gibt es doch nicht!“ Mein Mann riss mir die Taschenlampe aus der Hand.
„Liegt einer drin? Sind Fische mitgekommen?“ Entsetzt versuchte ich, an meinem Mann vorbei zu spähen. Ich konnte nichts erkennen, sein zusammengefalteter Körper füllte den Hohlraum unter der Treppe nahezu vollständig aus. „Jetzt sag schon! Was siehst du??“
„Das machen wir jetzt immer so!“ Mein Mann schraubte sich aus dem Hohlraum. “Das Wasser ist weg, kannst deine Eimer wieder wegstellen.“
Manchmal gibt es eben nichts Besseres, als der alten Weisheit zu folgen: „Lass’ liegen, erledigt sich von selbst!“
Trotzdem ist uns mal wieder klar geworden: Wir müssen uns besser vorbereiten! Mein Mann hat nunSandsäcke geordert und eine Tauchpumpe.
Sandsäcke hatten wir zwar schon nach der letzten Überschwemmung gekauft – finden wir aber nicht wieder.
Dieses Mal werd ich sehr gut darauf aufpassen!
Bleibt bloß noch die Frage: Wohin dann mit den gefüllten Sandsäcken? Wo lagern wir die in Friedenszeiten?
Jetzt fällt es mir auch plötzlich wieder ein …
Genau das war der Grund, warum die letzten verloren gingen!

Ich war mal wieder Grundnahrungsmittel shoppen. Muss ich von erzählen, passiert ja noch nicht wieder so viel!
Jedenfalls ich zur wöchentlichen Schlacht in den Laden geschneit. Ging auch alles recht flott – ich hab’s eben raus, wann nicht so viele Mitbewerber draußen rumtouren.
Bis ich mich an der Kasse anstellte!
Vor mir fünf Leute – offensichtlich alle mit weniger Fressern daheim als ich: Sämtliche Wägen waren nicht mehr als bodenbedeckt gefüllt. Wegen des Mindestabstands reichte die Schlange aber bis zum Bier. Ich mich unauffällig beim Frankenheimer eingereiht und still verhalten. Quatschte auch ansonsten keiner, ist ja wegen der Aerosole immer noch gefährlich.
„HIER STIMMT WAS NICHT!“, kreischte plötzlich eine schrille Stimme.
Ich fuhr zusammen und peilte aus der Deckung die Lage. Besser man ist vorsichtig, man weiß ja nicht, was nicht stimmt. Zwischen Überfall, Klima und Ungeziefer explodiert einem schon mal die Phantasie.
War jedenfalls alles nicht richtig, die Kundin an der Kasse fuchtelte mit ihrem Bon: „Ich habe ja wohl nicht für 19 EUR eingekauft!“
„Zeigen Sie mal her!“ Hilfsbereit beugte sich die Kassiererin aus ihrem Plexiglasverschlag und streckte die Hand aus.
Die Dame wich erschrocken einen Schritt zurück. „19 EUR! Zählen Sie immer das Datum mit?“ Trotzdem rückte sie mit spitzen Fingern den Bon raus. Schön auf Abstand, Corona und so.
„Butter 1,49; Milch 1,10; Spargel 8,99 …“
„8,99? Nix da! Ich habe extra gefragt! Ihre Kollegin sagte 3,79!“
„Wenn ich den Spargel übers Kassenband ziehe, kostet er 8,99.“
„Das zahle ich nicht! Ihre Kollegin sagte: 3,79!“
„Da muss sich die Kollegin geirrt haben.“
„Mir egal, ich zahle das nicht!“
„Gut, dann nehme ich den wieder raus.“ Sie drückte den Knopf des Sprechfunkgeräts an ihrem Gürtel und bat um Schützenhilfe von der Chefin. Fingerabdruck einscannen, oder was die da immer authorisieren müssen, damit an der Kasse was rückboniert werden kann.
Nun dauert das natürlich ein Weile, bis so eine Authorisatorin bis zur Kasse vordringt. Ich vermute, sie ist im Markt noch mit anderen Aufgaben betraut und dreht nicht bloß Däumchen, bis mal einer schellt.
Die Wartezeit nutzten die Dame und die Kassiererin für ein kleines Pläuschchen. „Ich kauf doch keinen Spargel für 8,99! Letztes Jahr hat der 2,99 gekostet!“
„Gegen Ende der Spargelsaison kann das durchaus vorkommen. Aber, schauen Sie, jetzt beginnt die Ernte gerade erst. Da wollen alle Leute Spargel essen und es gibt noch nicht so viel. Jetzt verkaufen wir den natürlich nicht so billig!“
„Halsabschneider!“
In dem Moment tauchte leider die Chefin auf: „Tach!“ Die Kasse machte freudig „Pling!“ und die Kassiererin zählte 8,99 ab. Sie drückte der Dame die Münzen in die Hand und wendete sich mit einem freundlichen „Hallo!“ an den nächsten Kunden. Ganz Profi – ich könnte nicht so schnell umschalten.
Die Dame jedenfalls auch nicht, denn sie wetterte los: „Hallo? Was ist denn jetzt mit meinem Spargel? Ich gehe hier nicht ohne Spargel raus!“
„War Ihnen doch zu teuer.“
„Will ich heute Mittag kochen!“
Der Herr vor mir stöhnte und pochte auf seiner Uhr herum; die ältere Dame noch eins weiter vorne verlangte energisch nach einer zweiten Kasse.
Nun ist der Kassenbereich dort im Laden seit der Pandemie künstlich dermaßen verengt – selbst wenn ich mich bemüht hätte, wären die zwei Drängler nicht vor mir an der anderen Kasse drangekommen. Unsere Warteschlange ließ sich einfach nur nach hinten abstückeln und in den nächsten provisorischen Absperrgang zwischen süße Quängelware reinstopfen.
So kam es, dass ich, die ehemals Letzte, dann als Erste draußen vorm Laden stand – hingegen die Spargelliebhaberin weiter an Kasse 1 ihr Vorhaben darlegte.
Nun zieht sich das manchmal ein paar Tage, bis ich eine Story fertiggeschrieben habe und tageslichttauglich auffrisiert. Im Konkreten sprossen bereits zwei weitere Spargel-Saisonwochen ins Land, es waren eben etliche Feiertage zu verschlafen und ausgiebig Fahrradfahren will ich ja dann schließlich auch.
Gerade eben blätterte ich durch die Tageszeitung. Rechts unten preist eine Eckfeldanzeige: Spargel zum Schleuderpreis!
2,99!
Endlich!
Ich bin jetzt voll erleichtert!
Endlich wird die Dame mit Sack und Pack den Laden verlassen!
Endlich kann sie heimgehen und kochen!
Und nächstes Jahr wartet sie vielleicht einfach ein bisschen geduldiger.
Ende der Spargelsaison: jährlich am 24.6.!
Haut rein, Leute! ❤

Hauptsach gudd gess!

Lassen Sie mich mal wieder einen aus dem Cycler-Alltag erzählen, das macht die Stimmung hier immer so schön heimelig!
Wir leben ja im zweiten besonderen Jahr. An meiner Mobilität hat das nichts geändert: Die meisten Wege erledige ich schon immer mit dem Esel – auch die Einkäufe für meine vierköpfige Familie. Weil ich wöchentlich nur ein Mal losreite, können Sie sich bestimmt vorstellen, wie schwer bepackt ich heimwärts den Berg raufschnaufe.
Auf dem Hinweg geht es noch. Da flitze ich als dynamische junge Bikerin auf der Straße. Im Laden altere ich um 50 Jahre und deswegen schleiche ich dann wie eine orientalische Gewürzkarawane auf dem Weg durch die Wüste meiner Hütte entgegen. Ich und meine Säcke schwanken auch so ähnlich.
Versteht sich von selbst, dass ich dabei die Straße meide! Will ich schließlich auch nicht, dass – wenn ich schon mal das Auto nehme – vor mir ein altes Mütterchen auf der Straße lang japst und dabei fast das Zeitliche segnet!
Auf dem Heimweg vom Laden muss ich auch ein paar Kreuzungen mit Fußgängerampeln überwinden. Im April ’20, also mitten im ersten Lockdown, fiel mir auf, dass eine Fußgängerampel nach der anderen vom symbiotischen Schaltzyklus sämtlicher Verkehrsampeln abgekoppelt wurde und am Schaft einen gelben Anforderungstaster erhielt.
Jetzt habe ich schon immer etwas dagegen, solche Tatsch-Dinger anzufassen. Ich finde das ekelig, auch ohne Corona!
Selten draufzuhauen, kann ich mich ja noch überwinden – aber pro Fahrt zigmal so ein Ding abzufingern: Das schaffe ich nicht.
So verlegte ich mich zuallererst einmal aufs Warten, im Vertrauen darauf, dass die Ampel sich von selber ihres ehemals normalen Zyklus erinnerte. Tat sie nicht.
Als ich kalte Finger kriegte, hielt ich nach weiteren Passanten Ausschau. Fußgänger wären auch willkommen gewesen.
Passierte aber ebenfalls nicht. (Das liegt daran, weil ich als dauerhaft Homeoffice-Schaffende es raus habe, wann sich die wenigsten Mitbewerber draußen rumtreiben.)
Heim kam ich irgendwann trotzdem, behalte das Procedere aus Gründen aber für mich.
Wo ich nun selber bekennende Fahrradfanatikerin bin, zwinge ich natürlich auch meine Kinder, den Drahtesel zu benutzen. Ob die das wollen oder nicht: Bei Wind und Wetter wird Fahrrad gefahren! (Also fast bei Wetter! Bei Wolkenbruch, Schneefall und Blitzeis habe ich ein Einsehen. Kommen aber zum Glück alle drei Sachen selten vor – Klimawandel hat halt auch was für sich.)
Letztens goss es bei uns im Pott mal wieder heftig. Es war Freitagnachmittag und bereits den dritten Tag am Schiffen. Das Kleine war mit der Freundin zum Shoppen geradelt, denn im weiteren Verlauf des Nachmittags wollten sie backen. Sie besorgten eilig die Zutaten und befanden sich durchgeweicht auf dem Heimweg. Voll der Vorfreude.
Doch zwischen den Mädchen und der Küchensause lag voraus noch eine große Kreuzung. Hochfrequentiert, Freitagnachmittag noch mal mehr als unter der Woche. In Fahrtrichtung geht es zweispurig drauf zu, im Kreuzungsbereich verbreitert sich das bergan um zwei weitere Spuren für die Linksabbieger. Dort sortieren sich auch grundsätzlich fast alle ein, denn geradeaus weiter geht es zur Stadt. Was will man schon da?
Befindet man sich mitten auf der Kreuzung und hat die erste Insel mit den schönen, immergrünen Sträuchern hinter sich gebracht, kommen noch ein paar Spuren aus anderen Richtungen und ein paar hochfrequentierte Ausfahrten aus Sammelparkplätzen hinzu – ein heilloses Durcheinander! Weil das so unübersichtlich ist, bin ich mit dem Fahrrad noch nie über diese Kreuzung gefahren. Das ist mir zu gefährlich! Stattdessen biege ich immer einen Kilometer früher in die Pampa ab. Ich bike ja eh gerne.
Nun war das Ziel der Mädchen aber die Küche der Freundin! Mein Prärieweg machte da fahrtechnisch keinen Sinn. Deswegen beschlossen die kleinen Damen, die Kreuzung vermittels Fußgängerampel zu queren.
Sie verließen also den Radweg, rollten hintereinander um die Fußgängerampel herum und stellten sich ordentlich nebeneinander auf. Eine drückte auf den Taster, dann warteten sie.
Wie sie da so standen, scherte plötzlich ein Polizeiauto aus dem fließenden Verkehr aus. Es hielt auf dem Bürgersteig an, ein Polizist stieg aus: „Was treibt ihr denn hier? Was soll das denn hier werden?“
„Wir waren einkaufen, wir wollen heim.“ Sind halt ehrliche Mädchen und brave noch dazu.
„Aber doch wohl nicht auf dem Bürgersteig! Das ist verboten!“
„Wir haben Angst, über die große Kreuzung zu fahren.“
„Ab dem neunten Lebensjahr müssen Radfahrer die Straße benutzen! Ihr seid ja wohl schon lange älter als neun! Wer Fahrrad fahren will, muss sich an die Regeln halten!“
„Ist gut.“ Hätte ich an der Stelle auch gesagt.
„Das will ich nicht noch einmal sehen!“ Die Fußgängerampel schaltete auf Grün, der Polizist wendete sich zu seinem Auto, die Mädchen stiegen auf. „UND ÜBER DIE AMPEL WIRD GESCHOBEN!“
Natürlich hat der Polizist recht: Das Angetatsche am Schalter zur Grünforderung gehört sich echt nicht!
Gerade jetzt in Pandemiezeiten gilt es das dringend zu vermeiden!
Am sichersten wird es sein, ich mache das wieder wie früher: Ich chauffiere die Kinder einfach wieder überallhin mit dem Auto!

Genetisch stamme ich aus einer Familie von Fahrradfanatiker, das erzählte ich ja bereits. Die Einzige, die bei uns aus der Art schlägt, ist meine Mutter. Sie kann nicht einmal radfahren. Weil es jedoch ansonsten ganz gut passt mit ihr, stört sich keiner daran.
Jetzt verhält es sich aber so, dass noch nie einer von uns beim Fahrradfahren was gerissen hat. Keiner von uns strampelte jemals Tour de France mit, auch keiner bei der Friedensfahrt. Letztere verfolgte ich dafür aber frühere genauestens in der Zeitung. Und da landen wir auch stante pede beim Grund meines lebenslangen Freizeitradler-Statuses: Die Helme – früher auch viel treffender Sturzkappen genannt!
Breite Riemen aus Schwartenleder waren das damals, die längs und quer um den oberen Teil der Murmel rumgeschnürt die Kopfform solchermaßen eingequetscht betonten, dass ich immer an einen hölzernen Schraubstock in einem Folterkeller denken musste. Die Rennfahrerhelme meiner Jugend sahen total bescheuert aus!
Vor allem kannte man die bei uns im Städtchen in ganz anderem Zusammenhang! Fernab vom Radfahren trugen solche Dinger nämlich auch die Klienten des Hauptarbeitgeber des Städtchens – in der Geschlossenen.
Seit frühester Jugend hatte ich solche Bilder im Kopf: Ich durchquerte das Krankenhausgelände, um meinen Opa von seiner Arbeit in der Küchenverwaltung abzuholen. Manchmal standen in den Gebäuden vergitterte Fenster offen. Schon von weitem hörte man dann Schreie, die nicht von dieser Welt zu stammen schienen. Wenn das mit den Schreien war, wäre ich am liebsten umgekehrt, wusste ich doch, dass, wenn die mich drinnen entdeckten, wieder einer seinen Kopf gegen die Gitterstäbe hämmern würde. So lange, bis ihn ein Pfleger wegzog.
Wie die Lederhelme in der Psychiatrie aussahen, wusste ich deshalb so genau, weil meine Mutter den Friseurladen fürs Krankenhaus betrieb. Auch meine Mutter besuchte ich öfter in der Arbeit. Das war halt bei uns auf dem Land so. Einmal komm ich da hin, da wäscht sie gerade einer Patientin den Kopf. Der Kopfschutz liegt abgeschnallt daneben auf dem Frisiertisch. Ein Riemen baumelt ins offene Fach mit den Alulockenwicklern. Normalerweise begleitete ein Pfleger die mit Helm, weil sie unberechenbar waren. Heute hatte wohl keiner Zeit. Ich streckte den Kopf zur Tür rein, meine Mutter fauchte: „Geh heim!“
„Wieso denn?“ Gab ja keinen Grund abzuhauen und ich wollte von was Ungerechtem aus der Schule berichten. Gerade ließ ich mich in den Drehstuhl unter die Trockenhaube fallen, da entdeckte die unter der Brause mich. Ohne Vorwarnung tickte sie aus: Brüllte los wie am Spieß, drosch mit der Stirn auf den Waschtischrand, Blut spritzte, dann riss sie die Fäuste hoch und rannte mit Anlauf gegen den Spiegel. Die ganze Spiegelwand krachte runter, es klirrte und schepperte fürchterlich und in die Detonation hinein riss mich meine Mutter nach draußen auf die Straße. In ihrem weißen flatterdünnen Kittel sauste sie den Berg rauf zur Krankenhauspforte, Hilfe holen. Es war Winter.
Für mich sahen jedenfalls alle Helme gleich aus – bis auf die Farbe:
Die der Patienten waren braun, die der Radrennfahrer schwarz.
Meinen ältesten Freund Franky hielt der Broterwerb seiner Mutter als Krankenschwester im Ortsansässigen jedoch nicht davon ab, eine Karriere beim Radsport zu starten. Jungs sind modisch eben weniger anspruchsvoll.
Allerdings gab Franky sofort nach der Schule den Radsport dran, andere Dingen waren ihm wohl auf einmal wichtiger.
An der Stelle ein öffentlicher Appell an meinen alten Freund: Franky, befrei endlich Vatters Esel aus dem Keller!
Ich habe ihn damals beneidet, denn nur offizielle Radsportler gelangten an Rennräder. Für mich gab es bloß das Damenrad meiner Oma.
Sofort nach der Wende habe ich mir dann aber ein Rennrad im Katalog bestellt! Ein Traum von einem Rennrad – der Rahmen mit grün-gelb-blauem Regenbogen-Farbverlauf – ich taufte es Arpat.
Leider blieb Arpat und mir nicht viel gemeinsame Zeit – er ist mir in München gleich nach ein paar Monaten geklaut worden.
Weil ich deswegen – neben der Trauer! – von jetzt auf gleich ziemlich immobil im Münchener Stadtverkehr abhing, schenkte mir mein heute Angetrauter seinen schicken roten Faggin-Flitzer. Aus dem war er rausgewachsen und ich bin nun mal ein ganzes Stück kleiner als er. Trotzdem war mir das Rad etwas zu groß und so kaum es, dass ich im Lauf der nächsten Jahre ständig unter leichtem Nackenunwohlsein litt – weswegen ich die Rennradleidenschaft irgendwann in eine frischen Mountainbike-Liebe eintauschte.
Hielt 20 intensive Jahre – doch im letzten Jahr schwand mir die Lust …
Ich befürchtete schon, ich käme ins Alter, was mich echt mitnahm.
Eines Nachmittages – ich wollte mich eben zu meiner rituellen Radrunde um den See quälen – das Garagentor fuhr hoch und ein einziger leuchtender Sonnenfinger zeigte genau auf den roten Flitzer, der eingestaubt und verlassen an der Wand hing.
Augenblicklich durchflutete mich ein warmes Gefühl. Das floß mir vom Herzen direkt in den rechten Arm und ich wischte mit der bloßen Hand zwanzig Jahre Spinnweben und Vogelscheiße vom Rahmen. Was ein Zeichen! Das Rad blitze und funkelte im Sonnenlicht, es glich einer Wonne, es zu betrachten. Vorsichtig hob ich es aus der Halterung, pumpte Luft auf – und vom Tag an hat mich wieder die Leidenschaft gepackt!
Nun ist es jedoch so, dass die Technik auch beim Fahrrad im Lauf der Jahrzehnte Fortschritte macht. Die Laufräder drehen reibungsärmer, die Bremsen bremsen besser und die Schaltung zickt nicht nur weniger bei Temperaturunterschieden, man kommt überhaupt auch leichter an die Hebel, weil die nämlich umgezogen sind: vom Rahmen an den Lenker.
Das erzählte mir mein Mann alles, nachdem ich die ersten begeisterten Ausritte hinter mich gebracht hatte.
Wollte ich aber nicht hören, ich bin halt treu.
Nach einer Weile stellten sich meine vergessenen Nackenprobleme wieder ein – Gottseidank kam dann der Winter, da pausiere ich sowieso immer.
Im Frühjahr war ich mit meinem neuen Buch zu beschäftigt für regelmäßige Runden – bis ich wieder täglich aufs Rad stieg, wurde es Sommer. Aber dann gab ich Gas!
Weil wegen des Lockdowns der Kontaktsport meines Mannes flach fiel, fuhren wir nun täglich zusammen eine Trainingsrunde. Währenddessen, und vor allem hinterher, war ich zwar voll fertig – mein Mann fuhr trotzdem scheiße schneller als ich! „Das liegt an deinem alten Rad! Wie oft soll ich dir das eigentlich noch sagen?“
Wissen Sie, wenn man täglich seine Wadl-Schwäche vor Augen geführt kriegt: Irgendwann wurde ich weich. „Okay“, gab ich eines Tages klein bei, „lass uns nach einem neuen Rennrad umschauen.“
„Hab ich längst!“ Mein Mann feixte. „Wie findest du das hier?“ Er reichte mir sein Tablet.
Ein schwarzer Traum aus Carbon, ich sage Ihnen weiter nichts!
„Willst du mal Probe fahren?“
Angefixt nickte ich.
„Dann komm mit!“
Ich war auf eine längere Autofahrt gefasst, nahm meine Jacke vom Hacken und griff nach einer Wasserflasche.
„Brauchst du nicht.“ Mein Mann sah zur Uhr. „Schlappen reichen!“ Er drückte den Aufmacher der Garage, das Tor fuhr hoch –
da stand, eng geduckt an meinen roten Blitz: ein rabenschwarzer Puma. Also, ein Fahrrad, nicht dass wir uns da falsch verstehen!
Mein Mann hatte jedenfalls die ganze Zeit Recht gehabt: Das neue Rennrad ist der Hammer! Ich fuhr nun viel schneller als vorher. Mit dem alten kam ich nur auf ein Mittel um 23,7 kmh – jetzt fahre ich die Vergleichsstrecke mit mehr als 28, wenn ich gut drauf bin.
Und weil ich jetzt viel weniger Zeit brauche, fahre ich weiter. Die kleinste Runde misst 23 km; eine normale 40 und sonntags gerne auch mal 50, da heize ich zum Baldeneysee. Hinterher tut mir aber auch dermaßen kräftig der Arsch weh, meine Beine brennen und meine Schulterblätter fühlen sich krank an: Da rühre ich den Rest des Tages keinen Finger mehr. Ich fläze dann fett auf der Couch und freue mich, wenn mir einer einen Kaffee vorbei bringt. Coronamäßig ist das auch ideal: Ich komme gar nicht mehr auf die Idee, unter Leute gehen zu wollen.
Aber kommen wir auf die Helme zurück!
Ich bin ja, wie eingangs aufgeschlüsselt, strikter Oben-ohne-Fahrer. Daran hat auch das neue Rennrad nichts geändert. Nun ist es jedoch so, dass sich mein Mann von seinem Umfeld hat beeinflussen lassen: ‚Oben ohne fährt die Fahrrad? Das geht absolut gar nicht!!‘
Mir ist solches Geschwätz ja egal, meinem Mann aber nicht.
Nachdem ich also den neuen Esel angenommen hatte, lag zwei Tage später ein Helm auf dem Sattel. Weiß und hellblau, farblich nicht ganz so passend. Ein wenig hatte mich das hysterische Gesülze auch unsicher gemacht: Ich setzte also probehalber den Helm auf.
Ging aber schon gleich damit los, dass ich nicht wusste, wohin mit meinen Haaren! Die binde ich nämlich aus Temperaturgründen immer am Hinterkopf zusammen, flechte den Schwanz zu einem langen Zopf und wickele den um den Gummi zu einem Vogelnest. Hält super fest und fühlt sich hitzetechnisch an wie eine Kurzhaarfrisur. Mit Helm läuft das aber nicht!
Da bräuchte es schon eine Dachluke, um das Nest rausbaumeln zu lassen!
So würde das jedenfalls nichts werden. Ich den Helm also kurzerhand an eines anderen Fahrrads Lenker gehängt – und ohne Helm losgesaust.
Am nächsten Tag verzichtete ich schlau auf mein Vogelnest und flocht mir stattdessen eine Boa, die ich gleich noch kuschelig mit um den Hals legen konnte. Im Hochsommer! Wer von Ihnen schon mal einen dicken Zopf im Nacken trug – und sei es nur zum Fasching – der weiß, wie verdammt fett der einem das Genick wärmt.
Mann, ich hatte schon gleich keine Lust mehr zu fahren!
Schleppte mich trotzdem in die Garage – Lust kommt beim Fahren! – setzte den Helm auf, guckte in den Spiegel: Dachte ich, mich tritt ein Pferd! Auf meinem Kopf ein großer Pilz! Schmaler Fuß mit lebhaften braunen Augen, riesiger Schirm obendrüber – Ich fahr doch nicht als Schwammerl durch die Gegend!
Ich das Ding also wieder an den anderen Lenker gehängt – und wieder oben ohne losgesaust.
Weil wir uns gerade zwischen zwei Corona-Lockdowns befanden, spielte mein Mann nun fast jeden Tag wie verrückt Fußball und ich fuhr wieder schön alleine.
Nach drei Wochen fragte mich der Gemahl beim Abendessen: „Wie kommst du mit deinem Helm klar?“
„Setz ich nicht auf.“
„Wieso? Was funktioniert denn nicht?“
„Sieht scheiße aus.“
Mein Mann zeigte mir einen Vogel. „Ohne Helm fährst du jedenfalls nicht!“
Ich lancierte ebenfalls einen ornithologischen Gruß in der Stirnmitte und verließ den Tisch.
Am nächsten Tag schmiss ich mich nach Feierabend eilig in megadünne Sportschale und stürmte in die Garage. Mit der rechten Hand wollte ich wie gewohnt das Rennrad aus seiner Halterung heben – blockierte da was. Ich beugte mich nah an die Führungsschiene, zu sehen, wieso das klemmte: Hatte so ein Depp das Rad an der Wand festgekettet!
Die Intention hinter der Maßnahme war mir schon klar – deckte sich aber nicht mit meiner Zielsetzung. Doch rechtzeitig, ehe ich mir ob des verschwendeten Afterwork-Ritts die Haare raufen konnte, durchzuckte mich ein roter GeistesBlitz! Den schnappte ich mir auch unverzüglich und düste los.
Mach ich nun schon seit ein paar Wochen so. Ich bin jetzt also wieder mit 23km/h unterwegs.
Man muss sich nur zu helfen wissen!


Hi Leute!
Zu keinem unserer freudigen Einheitsanlässe war es mir bisher gelungen, Euch diese alte Kriminalgeschichte rechtzeitig zu präsentieren! Genaugenommen war es mir schlicht überm Feiern entfallen.
Aber beim 30-Jährigen, da switchte mir der Fall rechtzeitig auf dem Schirm!
Schlummert seit fast 20 Jahren in meinen Dateien … 🙂
Ist bisschen ungewohnt länger, also legt die Füße hoch! ❤
Und frohen Feiertag übrigens! ❤
Die Brüder Kallauch
- I. Henning
Seit einer Stunde hockte Henning nun schon im Bad und starrte vor sich hin. Ruhig war es, aber nicht still. Durch das gekippte Fenster drang Kälte und der Fernsehlärm von nebenan. Dumpf ließen sich Stimmen aus anderen Wohnungen vernehmen; ab und an das laute Röhren eines Trabis – im Plattenbau wurde es niemals still.
Doch das nahm Henning kaum wahr. Er dachte an frühere, bessere Zeiten. Als er ein Lehrer war und es leidenschaftlich liebte, wenn die Schüler ihre eigenen Ideen entwickelten und sich vom Stoff des Lehrplans lösten. Einmal, kurz vor den Weihnachtsferien, hatte er ihnen ein Aufsatzthema gestellt: Das gefällt mir nicht, an der DDR. Seine achte Klasse war nach anfänglichem Zögern über sich hinausgewachsen. Wirklich alle schrieben sie fleißig. Vielfach klang noch ihr bedauerndes Och! in seinen Ohren, welches mit dem Pausenklingelzeichen ertönte. Einige Zeit später erschienen zwei Herren der Staatssicherheit und nahmen ihn mit. Sie ließen ihn nicht wieder gehen – für ganze vier Jahre nicht. Obwohl sein älterer Zwillingsbruder aktives Parteimitglied und für irgendein Ministerium tätig war. Erich hatte ihn nicht ein einziges Mal während der langen Haftzeit besucht. Naja, sicherlich sorgte ihn seine Karriere. Vermutlich konnte er es sich nicht leisten, mit einem politisch umtriebigen Bruder engen Kontakt zu pflegen. Spitzel gibt’s eben überall…
„Henning!“, rief plötzlich die Mutter aus dem Wohnzimmer, „Henning!“
„Ja?“ Henning gab mechanisch Antwort. Er wollte sich nicht von seinen Gedanken lösen. Heute morgen hatten SIE ihn plötzlich entlassen. Einfach so, ohne Vorankündigung. Einer der Aufseher war in seine Zelle gekommen: „Backn Se Ihre Siemsachn, Kallauch, in ner halbm Stunde ham Se’s überstandn!“ – Und dann stand er tatsächlich vor dem Tor.
Doch was sollte nun werden? Mit seiner Akte könnte er bestenfalls noch als Hilfspacker im VEB NARVA unterkommen.
„Schnell!“ – Die Mutter schrie: „Im Fernsehen!“
Henning betätigte den Spülknopf, zog die Hose hoch.
„Der Schabowski…“ – wieder die Stimme seiner Mutter. Im Treppenhaus wurde es lebendig. Eine Wohnungstür flog krachend gegen die Wand, Jubelgeschrei, Anfeuerungsrufe wie MACH HIN! und BEEIL DICH DOCH! waren zu vernehmen, schwere Schuhe donnerten den Flur entlang, die Treppe hinab. Ein schrilles WARTE! direkt vor der Wohnungstür. Henning schenkte sich das Händewaschen. Er stürzte ins Wohnzimmer. Die Mutter saß starr vor dem Fernseher. „Die Grenzen sind offen“, sagte sie fassungslos. „Schau doch… wir können rüber.“
Das Leben kam in sie zurück. Sie sprang auf, umhalste Henning. Widerstandslos wie eine Marionette ließ er es geschehen, starrte unverwandt auf die Mattscheibe. Dann riss er sich los. „Ich muss das selber sehen!“ – ratschte die Jacke vom Hacken und stürmte aus der Wohnung. Im Treppenhaus sechs Stockwerke Drängeln und Schieben nach unten – für gewöhnlich traf man hier weniger Nachbarn. Nicht einer der runterwärts Strebenden kam Henning bekannt vor – lange war er weg gewesen. Der Fahrstuhl steckte mit geöffneten Türen und einem Leib voller Menschen zwischen drittem und viertem Stock. Wohl dem, der laufen kann. Vorwärtsstrebende Menschen auf der Straße. Wie zur Maikundgebung oder zur Ferienzeit. Sie drängten Richtung Westen – glückliche, erwartungsfrohe Gesichter. Henning lief mit. Die Grenzen offen – sollte es sich um einen Scherz handeln oder einen Test und jeder, unterwegs zum goldenen Westen, würde einkassiert? Der nächstgelegene Grenzübergang hieß Oberbaumbrücke. Geschickt umrundete Henning eine Frau mit Kinderwagen; ältere Menschen und Leute mit kleinen Kindern kamen langsamer voran. Noch waren unterschiedliche Geschwindigkeiten möglich. Je näher die Grenze kam, desto dichter wurde der Menschenstrom. Aus Hauseingängen kamen sie, aus Nebenstraßen – von überall her drängten sie auf die Sonnenallee. Die Fahrbahn war mit laufenden Menschen verstopft. Scheinwerfer, Hupen – Autos kamen nicht weiter. Manch einer ließ sein Fahrzeug stehen wo es stand und lief mit. Schneller, schneller, ich will zuerst drüber sein. Hier hätte man zur Oberbaumbrücke abbiegen müssen. Es war unmöglich, aus der Masse auszuscheren. Der Mob walzte vorwärts. Henning mittendrin. Weiter vorn kam die Mauer in Sicht. Hell angestrahlt, wie es schien von beiden Seiten der Grenze. Darauf und davor herrschte Volksfeststimmung. Hunderte von Menschen vor der Mauer und nicht ganz so viele obendrauf. Sie lagen sich in den Armen, tanzten, weinten, lachten, tranken Sekt, schwangen Bierflaschen, stießen Victory-Zeichen in die Luft. Das war kein Test: Das war real! Sie halfen einander die Mauer zu erklimmen – eigenartig mühelos sah das aus. Hie und da fiel einer wieder herunter – gar zu dicht war das Gedränge auf dem Grat. Immer mehr Menschen strebten auf die Mauer. Bereitwillig halfen die Umstehenden. Langsam, ganz langsam, wurde Henning an das Bollwerk gegen den Kapitalismus herangeschoben. Zwei junge Mädchen neben ihm kreischte unaufhörlich. Andere auch, aber die standen nicht so dicht an Henning gepresst. Er versuchte, mit der linken Hand sein Ohr zu schützen. Fast schaffte er es nicht, die Hand zum Kopf zu führen – da war kein Raum. Die Schleife von Hennings rechtem Schuhband löste sich im Gedränge. Träge schliff der Schnürsenkel über den Boden – Henning beachtete es nicht. Eng wie in einer prall gefüllte Reisetasche ging es zu. Endlich erreichte er die Mauer. Die linke Hand vom Ohr zur Mauer führend, berührte er ungläubig den rauen Putz. Es wurde gedrückt und geschoben – wie einen Stützpfeiler drückte er den Arm gegen die Mauer: Abstand halten! So nahe… Er hätte nicht geglaubt jemals bis hier vorzudringen. Ein hilfreicher Arm streckte sich ihm von oben entgegen. Ein zweiter. Dankbar nahm er die anonymen Arme, die zu lachenden Gesichtern gehörten. Ein starker Arm packte ihn am Jackenkragen, zog nach oben. Seine Füße stemmten kletternd gegen die Barriere. Von unten wurde er geschoben. Hände pressten kräftig gegen seinen Hosenboden. Jemand stützte sein linkes Bein im Räuberleiter-Griff. Er schaffte es. Erst auf die Knie… dann aufrichten – Vorsichtig! – bloß nicht zu weit über den Rand beugen. Jetzt stand Henning gerade. Unfassbar! Die zuckende strahlend fremde Stadt lag ihm zu Füßen. Da erfasste ihn die Ekstase der anderen. Ihnen gleich, riss er jubeln die Arme in die Höhe, seine Beine tanzten den Rhythmus des Nachbarn. Von links wurde ihm eine Flasche König-Pilsener gereicht. Siegestrunken setzte er die Flasche an. Das Bier lief ihm rechts und links am Mund vorbei. Es störte ihn nicht. Als er die Pilsflasche weiterreichte, empfing er den Schlag einer freudentaumelnden Flasche Rotkäppchensekt zwischen den Schulterblättern. Er ruderte mit den Armen, wollte das rechte Bein austarierend in die Höhe werfen – allein das Bein ließ sich nicht abspreizen. Hennings linker Fuß stand auf dem offenen Schuhband. Wie festgebunden ruderte Henning und fiel ganz langsam kopfüber in den Westen.
Manchmal scheint das Schicksal einen nicht entrinnen lassen zu wollen. Die Menschenmasse im Westen hätte seinen Sturz abfedern müssen, wie Peter Gabriels legendäre Stage-Divings während seiner Konzerte – aber genau da, wo Henning herunterkrachte, teilte ein rechtwinklig von der Mauer weglaufender schmiedeeiserner Zaun, mit Lanzen als Spitzen, die Jubelnden. Henning starb am 10. November 1989 in einem Kreuzberger Krankenhaus.
- II. Erich
Sie riefen ihn zurück. Ohne eine endgültige Beurteilung abgeben zu können, sollte er Ungarn verlassen. Pflichtbewusst wie immer gehorchte er: brach seine Zelte ab und saß nun mit zwei Koffern im Express der Reichsbahn nach Berlin. Er hatte ein erster Klasse Ticket gelöst. Im Abteil der ersten Klasse reisten für gewöhnlich wenige Touristen. Weiter vorn saß eine Frau mittleren Alters, sicher Ungarin. Auffällig geschminkt, mit langen schwarzen Locken, die fast vollständig die Kopfhörer auf ihren Ohren verbargen. Sie schien zu schlafen. Im Abteil hinter ihm ein würdig aussehenden älterer Herr. Er saß bereits im Zug, als Erich im letzten Moment in Budapest zustieg. Geübt war Erichs Blick über die ausgebreiteten Unterlagen des Herrn geglitten. Deutscher; irgendetwas hatte er mit Wismut Gera zu tun. Über der grafischen Darstellung einer Bodenprobe stand die Adresse. Vermutlich sollen neue Uranvorkommen erschlossen werden, dachte Erich gleichgültig. Sein Magen knurrte – er hatte seit dem Frühstück nichts gegessen. Weitere Fahrgäste gab es nicht.
Erich machte es sich bequem. Er löste den oberen Knopf seines Hemdes und lockerte die Krawatte.
Ursprünglich war er gegen Ende des Frühjahres zur Diplomatenschule nach Budapest gerufen worden. Es galt, die hoffnungsvollsten Abiturienten unter die Lupe zu nehmen und Nachwuchs für das Ministerium zu rekrutieren. Um seiner Arbeit ohne besonderes Aufsehen nachkommen zu können, reiste er offiziell als Austauschlehrer für Geschichte. Reibungslos, wie immer, hatte das Ministerium dafür gesorgt, dass der Lehrer, welcher den Posten sonst innehatte, zum Austausch an eine Oberschule nach Dresden geladen war. Bald nachdem er seine Arbeit aufgenommen hatte, waren Karawanen von ostdeutschen Touristen gen Ungarn gezogen und der Run auf die westdeutschen Botschaften in Prag und Budapest begann. Erich konnte das nicht verstehen und ein großes Hassgefühl schwelte in ihm. Hass auf all die Flüchtlinge. Wovor flohen sie; was glaubten sie, im Westen zu finden? Meinten sie, wenn sie in Konzernen ausgebeutet würden, fühlten sie sich freier? War es der Überschwang, der sie lockte? In der DDR gehörte alle Macht dem Volke. Den Arbeitern und Bauern, den Kindern und den alten Leuten. Das war die Zukunft. Da konnte man Leben und sich frei fühlen. Da war Platz zum Entfalten und die Sicherheit um das Sein. Eine starke Grenze schützte dieses blühende Land. Eine starke Grenze und starke Soldaten. Sie verteidigten sein Leben, das der anderen Bürger und auch das dieser undankbaren Flüchtigen gegen die Angriffe des Kapitalismus. Die Lage war prekär. Waren es zu Anfang nur einzelne gewesen, die über die grüne Grenze flüchteten, sammelten sich die Ausreisewilligen bald zu Hunderten in den Botschaften. Seine Schüler versuchten wiederholt, mit ihm über die Vorkommnisse zu sprechen, doch er blockte. Zu Anfang tat er die Geflohenen als charakterlose Subjekte, vom Klassenfeind Verblendete, ab, dann, als ihrer Zahl mehr wurden, beschloss er, die offizielle Stellungnahme des Ministeriums abzuwarten. Akribisch notierte er derweil die Äußerungen der zu Überprüfenden und verwahrte sie in seinem roten Aktenordner. Die Stellungnahme blieb aus – es existierte kein Problem. Stattdessen war er heute abberufen worden. Zwei Telegramme brachte ihm die Sekretärin am Morgen in seine Unterrichtsstunde. Das erste vom Ministerium, er solle sich unverzüglich im Hauptquartier einfinden. Nicht ganz zehn Minuten später klopfte die Sekretärin erneut mit einem Telegramm zwischen den Fingerspitzen mit den abgekauten Nägeln: Das Telegram war von seiner Mutter. Er hatte es stirnrunzelnd gelesen, zusammengekniffen und in seiner Jackettasche verschwinden lassen. IN KÜRZE ERREICHEN WIR USTI! – ertönte die stark akzentuierte Stimme des Zugführers. Erich machte sich bereit. Gleich würden die tschechischen Zöllner kommen, er würde seinen Diplomatenpass vorweisen, der Zöllner würde ein wenig zusammenfahren und ihm pflichtschuldig und unterwürfig seinen Pass zurück geben. Erbarmungslos kniff der Hunger in Erichs Magenwände. Der Mitropa-Waggon war kurz nach Bratislava abgekoppelt worden, irgendein technischer Defekt.
Der Zug hielt am Transitgleis. Erich überlegte, ob er den Halt nutzen, einen Kiosk aufsuchen könnte. Er vertagte es – am Bahnsteig drängten dicht die Reisenden. Auch das 1.-Klasse-Abteil füllte sich. Vor Erich ließen sich vier mit Louis-Tränker-Rucksäcken beladenen langhaarige Typen nieder. Drei Männer und eine Frau. Sie trugen zerrissenen Hosen – in Allem recht ungepflegte Erscheinungen. Erich wollte gerade mit unmissverständlichem Ton auf die hintere 2.-Klasse verweisen, als die vier ihr anscheinend während des Einsteigens unterbrochenes Gespräch fortsetzten.
„Dat hasse wirklich im Fernseh gesehen, dat der Rene et geschafft hat?“
Das waren westdeutsche Klänge, die Erich vernahm. Da war er sicher. Nur in der Bestimmung des Dialektes nicht ganz. Ruhrgebiet, vermutete er. Schlagartig stellte er jedoch seine Überlegungen ein, als er die Frau antworten hörte: „Klar, Man, heute in’ner Tagesschau war et, dat war so ein Ausschnitt, dat war die Flucht vom Rene, wie er vor dem Kameramann durch dat Maisfeld rennt, bis nach Österreich rein…“
„Wat war’n dat für’n Kameramann?“ fragte einer der Langhaarigen dazwischen.
„Dat war einer von NBC. Der hat den Rene vor de Botschaft in Budapest angesprochen und zur Flucht angestachelt.“
„Und dat weisste sicher, dat dat der Rene war?“, fragte ein anderer.
„Dat war eindeutig. Dat war der gekringelte Zopf und der dämliche sächsische Dialekt.“ Die vier lachten.
Erich verhielt sich still und lauschte angestrengt. Einer kam ihm zu Hilfe. „Wat macht’n jetzt der Dynamo Dresden, wenn sich der hoffnungsvolle Nachwuchsspieler in’n Westen verdrückt?“ Erneutes Gelächter.
„Dat nächste Freundschaftsspiel gegen MSV-Duisburg verlieren!“ Sollte es sich um Rene Gobel handeln? Erich ließ sich gegen die Lehne fallen.
„Ihre Fahrkarte, Bitte!“ urplötzlich war die Schaffnerin neben ihm aufgetaucht. Mechanisch zog er seine Fahrkarte aus der Jackettasche. Ohne dass er es merkte, fiel dabei das Telegramm der Mutter zu Boden. Lächelnd reichte die Schaffnerin Erich das gelochte Ticket. Sie ging weiter zu den Langhaarigen. „Sie haben nur eine Fahrkarte für die zweite Klasse gelöst!“, hörte er die Kontrolleurin streng sagen. „Sie müssen Nachlösegebühr zahlen!“ – Die Langhaarigen warfen ihren ganzen Charme ins Zeug und begannen mit der amtlichen Person zu verhandeln. Erich hörte nicht mehr hin. Er hatte das auf dem Boden liegende Telegramm entdeckt. Unauffällig hob er es auf und faltete es zwischen seinen Händen geschützt auseinander. „Henning kommt raus STOP Amnestie STOP M. STOP“ Unter viel Gelächter brachen die Langhaarigen in die 2.-Klasse auf. An der Tür prallten sie mit einer Herde grölender Halbtrunkener zusammen, die in einer Freudenpolonaise durch den Zug rumpelten. Erich konnte nicht verstehen, was sie jubelten, so heiser waren sie. Er schnappte den letzten am Kragen und bellte: „Was gibt’s zu feiern?“
Der Kerl wand ihm das Gesicht zu. Erich sah blutunterlaufene Augen, Speichelreste spritzten ihm ins Gesicht, als der andere zurückkrächzte: „Die Grenzen sind offen, Kumpel, wir können rüber!“ Er umarmte Erich mit zwei bärenstarken Greifarmen, riss seinen Kopf zu sich und klatschte ihm zwei gewaltig feuchte Schmatzer auf beide Wangen. Anschließend schob er den erstarrten Erich kumpelig brutal von sich, wamste ihm die halbvolle Bierflasche gegen die Brust „Nimm, Kumpel!“ schrie er ihm ins Ohr und zog torkelnd den anderen hinterher. Erich sackten die Knie weg.
- III. Eins
Beladen mit Umzugskartons und einer Rolle blauer Säcke stieß er die Tür zu Hennings Zimmer auf. Ungelüftet roch es hier und staubig. Am Fenster vorn stand eine vertrocknete Sansevieria. Die ehemals dickfleischigen Blätter hingen braun und plastisch gebogen über den Topfrand.
Erich zwängte sich durch die Türöffnung und blieb mit seiner Ladung an der nur angelehnten Tür des Kleiderschrankes hängen. Quietschend zog er die Türe hinter sich auf. Ohne sich umzuschauen, gab er ihr einen Tritt mit der Hacke. Die Tür federte kurz ins Schloss, prallte elastisch wieder ab und landete in seinem Kreuz. Erich fluchte leise. Energisch wand er sich der Tür zu, schlug kraftvoll davor und ehe sie wieder aufschnippen konnte, presste er die rechte Handfläche dagegen. Zwei Schritte bis zum Fenster. Auf der Fensterbank lag ein Zettel: „Nur das Zeug mitnehmen! Möbel hier lassen!“ – Kein Gruß. Das Fenster klemmte. Erich riss am Griff. Plötzlich gab der Rahmen den beweglichen Teil des Fensters frei. Ein Windstoß hob den Zettel an und führte ihn mit sich fort. Erich schaute der schaukelnd der Erde zuschwebenden Anweisung nach. Sie trudelte über dem Parkplatz. Aus dem hellblau-beigen Trabbi-Teppich mit den roten, weißen und hellgrünen Wartburg-Tupfen war ein aufgelockertes Gewebe aus bunteren Autos geworden. Auch silbergraue und schwarze gab es jetzt, gelbe- und lilafarbene. Die Trabbis, Wartburgs und die vereinzelten Ladas waren verbannt – Opel, VW und Audi, BMW und Mercedes, Mazda und Nissan… so hießen jetzt die Mobile die unten standen.
Am Abend zuvor hatte die Mutter bei Erich angerufen. Er erkannte ihre Stimme fast nicht, so anders klang sie. Ganz anders als sie geklungen, als sie ihm vor vier Jahren die Tür wies. Die Stimme schien ihm belegt vom Tabak und eine beginnende Alterserschlaffung der Stimmbänder glaubte Erich herauszuhören. Nach anfänglichem Schweigen hatte die Mutter ihn gallig aufgefordert, Hennings Zimmer auszuräumen. Sie wolle das nicht selbst erledigen, er könne sich wenigstens dieses eine Mal nützlich machen – sie würde es nicht verkraften, die Sachen ihres einzigen Sohnes weg zu schaffen, aber sie müsse die Wohnung verlassen, sie könne sich die Miete nicht mehr leisten. Außerdem, so sagte sie, verfüge er ja über genügend Zeit – hier wurde ihre Stimme deutlich hämisch – Aufgaben gäbe es für ihn wohl keine wichtigen. Sie erwarte also, dass er morgen mit der Arbeit beginne. Den Schlüssel fände er unter der Matte. Er brauche sich nicht zu sorgen, ihr über den Weg zu laufen, fügte sie noch hinzu, sie quartiere sich für das Wochenende bei Tante Erna ein. Erich hatte aufbegehren wollen. Wenigstens dieses Gefühl der Nutzlosigkeit, mit welchem er seit der Wende existierte, wollte er nicht auch noch von ihr bescheinigt wissen. Seit das Ministerium nicht mehr bestand, mussten es bald hundert Bewerbungen sein, die er verschickt hatte. Zu Anfang bewarb er sich noch als Lehrer – bis er das wütende Antwortschreiben des Konrektors einer Schule in Sachsen erhielt, er solle sich schämen, bei seiner Vergangenheit auch nur den Versuch zu unternehmen, sich um die Erziehung von Jugendlichen zu bemühen. Dann verlegte er sich auf Sachbearbeiterstellen aus den alten Bundesländern und schließlich waren es auch Hilfsarbeitergesuche, welche er beantwortet. Egal was, er wollte eine Arbeit. Aber es war unmöglich.
Lange war Erich nicht im ehemaligen Kinderzimmer gewesen. Er schaute sich um. Links das Bett, rechts gegenüber der Schreibtisch, bis zur Tür auf beiden Seiten hohe Schränke. Früher stand in dem Schlauchzimmer anstelle dieses Single- Bettes das Doppelstockbett, welches er sich mit Henning teilte. Natürlich residierte Erich oben. In den fünf Jahren seit Hennings Tod hatte er die Wohnung nur noch zweimal betreten. Das eine Mal zur Beerdigung und das andere Mal am darauffolgenden Weihnachten.
Erich war Familie nicht so wichtig. Er war ein Einzelgänger geblieben, wie schon in der Kindheit. Sentimentales Geschwätz lag ihm nicht. Familienfeier waren ihm von jeher verhasst. Wenn sich die engere und die weitere Familie an der Kaffeetafel von Tante Erna einfand und dann über die ferngebliebenen Verwandten herzog, sich gegenseitig nett verpackte Gemeinheiten unterjubelte oder sich in seltenen Momenten des Einvernehmens erinnerungsduselig über ferne Kindheitserlebnisse austauschte, dann hatte sich Erich meistens unter einem Vorwand erfolgreich aus der Stube zu entfernen vermocht. Waren es überraschende Bauchschmerzen oder ein unerwarteter Sturz in den flachen Bach hinter dem Haus – Erich flüchtete, wo es ging. Da war es allemal netter, in dem Ameisenhaufen weiter oben am Waldrand herumzustochern. Ganz spannend war es, wenn die Ameisen so aufgescheucht durcheinander rannten und ihre übergroßen weißen Puppen durch die Gegend schleppten, auf der Suche nach Sicherheit. Einmal war dann auch Henning mitgekommen. Henning, dem es sonst in der Kaffeerunde gut gefiel. Erich hatte ihm vom Ameisenhaufen erzählt. Losgegangen war Henning auf ihn, als er mit einem Stock den Haufen durcheinanderwirbelte und die Tannennadeln und Aststückchen durch die Gegend flogen. Henning sprang ihn von hinten an. Beide kippten in den Ameisenhaufen. Die sowieso schon wilden Arbeiterinnen stürzten sich auf sie und traktierten sie mit ihrer brennenden Ameisensäure. Überall am Körper bildeten sich rote Quaddeln. Drei Tage danach juckte und brannte die Haut noch immer. Jener Nachmittag hatte Hennings Leidenschaft für Ameisen geweckt. Erich trat vor das abgeräumte Klappbett. Um die Wand des Bettes hingen Bilder und Schautafeln der Roten Waldameise. Auf die schien Henning sich in den letzten Jahren spezialisiert zu haben. Neben dem grafischen Querschnitt durch einen Bau, war, in einem Glaskasten aufgefüllt, das Innere eines Ameisenbaus platziert. Die Kammern mit den Eiern, den Larven und den Puppen gruppierten sich über dem Bereich der Königin. Dazwischen saßen in Gängen die Arbeiterinnen, als wollten sie jeden Moment loswimmeln.
Die überdimensionale Abbildung des Körpers einer Roten Waldameise hing über dem Schreitisch. Darunter baumelte – vormals vermutlich nur provisorisch mit einer Reißzwecke an die Wand gepinnt – ein angegilbter Computerausdruck. Erich riss ihn herunter. Die Reißzwecke sprang durchs Zimmer. Der Inhalt handelte erwartungsgemäß von Henning Leidenschaft.
Eine Million Waldameisen wiegt 3,5 Kilogramm.
Die natürlichen Feinde: Schwarz-, Grün-, und Buntspecht, vor allem aber der Wendehals... und so weiter. Der Zettel schwebte in den Müllsack.
Hennings Schreibtisch war, wie alles im Zimmer, in vorbildlicher Ordnung. Die Ordnungsliebe war so ziemlich die einzige Gemeinsamkeit, die sie beide hatten. Erich setzte sich auf den Drehstuhl. Außer einer eingestaubten Stiftschale – spartanisch mit einem Bleistift, einem Kugelschreiber und einem angekauten roten Filsstift ausgestattet – lagen auf dem Schreibtisch nur noch eine Schutzunterlage mit Globusmotiv und darauf eine schwarze Mappe, die zwei Gummibänder straff zuhielten. Erich blies darüber, wartete nicht ab, bis sich der graue Wirbel wieder beruhigte und schlug die Mappe auf. Zuoberst fand er Hennings Entlassungszeugnis aus der Haftanstalt. Darauf stand nicht viel. Henning sei ein vorbildlicher Häftling gewesen, der in der Gefängniswäscherei pünktlich seinen Aufgaben nachkam; aufgrund der politischen Amnestie werde er entlassen und man wünsche ihm alles Gute für seinen weiteren Lebensweg. Erich blätterte um. Es folgten Sozialversicherungsausweis, Impfausweis, Diplom und Schulzeugnisse, eine handvoll Briefe von Studienkollegen und ein wie neu aussehendes schwarzweiß Foto von Hennings Freundin aus Uni-Tagen. Ihres Namens konnte Erich sich nicht mehr entsinnen.
Hier am Schreibtisch hatte Henning damals gesessen: Heilig-Abend 1984. Der Vater lebte noch. Erich hielt sich bei den Eltern im Wohnzimmer auf. Der Vater und er stritten über Politik. Das war nichts Neues. Einer der Gründe, warum Erich seine Familie selten besuchte. Der Vater war ein Sturschädel, mit dem ließ sich einfach nicht reden. Fing immer wieder von den alten Zeiten der jungen DDR an: Wie gut es doch mit Wilhelm Pieck gelaufen sei und Walter Ulbricht, der war auch noch okay. Aber seit der Honecker das Sagen hat… Erich war diese ewigen Diskussionen leid. Erleichtert erfüllte er da die Bitte der Mutter, Henning zum Essen zu holen. Heiligabend gab es immer Heringssalat. Das hielten schon die Großeltern so, wie man nicht müde wurde zu beteuern auch deren Vorfahren, und nun bestand die Mutter auf dieser Tradition. Henning fühlte sich wohl bei den Eltern – bei der Wohnungsknappheit bekam er sowieso keine Wohnung, außer er heiratete und na ja, die Richtige fand er eben nicht. Ohne anzuklopfen war Erich in das ehemalige Kinderzimmer gegangen. Henning saß über einen Stapel Hefte gebeugt. Wie gewöhnlich war er mit einem dunkelblauen Flauschpullover und einer engen Jeans bekleidet. Erich hatte sich hinter Henning auf dem Bettrand niedergelassen, sorgfältig seine Hosenbeine nach oben gezogen und dabei „Ich soll Dich zum Essen holen“, gesagt. Henning knurrte abwesend und schaute wie gebannt auf das, was da vor ihm auf dem Tisch lag. Wie weggetreten kaute er dabei langsam aber kraftvoll auf seinem roten Filzstift. Erich war hinter Henning getreten, hatte ihm mit der Faust freundschaftlich auf den Oberarm geboxt und wollte eben den Heringssalat loben, als er erfasste, worauf Henning stierte. In einem aufgeschlagenes Heft, dessen Zeilen der Doppelseite eng mit säuberlicher Tintenschrift gefüllt waren, stand das Thema unterstrichen: „DAS GEFÄLLT MIR NICHT, AN DER DDR“ Erich begann den Text zu studieren. „… ich lebe nicht gern in einem Land, in welchem man eingesperrt wird. Diese Grenze, sie schützt uns nicht nach außen, sondern ist mit Selbstschussanlagen nach innen ausgestattet. Wir sollen gehindert werden, andere Teile der Welt kennen zu lernen. Wer es dennoch wagt, bezahlt mit seinem Leben oder er stellt einen Ausreiseantrag und wandert in den Knast – auch hier ist das Leben vorbei – es sei denn, der Westen kauft einen frei…“
Wie damals sah Erich diesen Text vor sich.
„Was ist das?“ Fast tonlos hatte er die Frage gestellt. „Deutschunterricht Klasse 8“, lautete Hennings abwesende Antwort.
Erich hatte nach Luft geschnappt und dann mühsam gestammelt: „Ich geh’ nach Hause… fühl’ mich krank.“
Erich legte die schwarze Mappe in einen Umzugskarton. Dann leerte er die Fächer des Schreibtisches. Mit ihnen war er schnell durch: Büromaterial, welches sich weiterverwenden ließ.
Er wendete sich dem Kleiderschrank zu. In der linken Schrankseite lagen zuoberst fünf blaue Flauschpullover. Hennings Lieblingspullover – voneinander nur durch den Grad ihres Verwaschenseins zu unterscheiden. Sie waren eine Weile das obligatorische Weihnachts- und Geburtstagsgeschenk von Tante Erna gewesen. Auch ihn hatte sie mit diesen Pullovern bedacht – nicht begreifen wollend, dass sie nicht seinem Kleidungsstil entsprachen. Erich bevorzugte Anzüge und Kombinationen aus Sakko und Bundfaltenhose. Und blau sowieso nicht, er mochte es gern braun. Braun in allen Variationen. Im Fach darunter die Jeanshosen. Unterwäsche, Socken, ein einziger guter Anzug – den trug Frank zur Diplomübergabe. Und auch auf Vaters Beerdigung, wo er für einen Tag Freigang erhielt. Erich hatte damals kein Wort mit Henning gewechselt, nur verstohlen grüßend die Hand gehoben und Henning hatte blass und irgendwie ängstlich zurückgenickt.
Bademantel, Winterjacke, Erich kam gut voran. Ganz zu unterst, unter dem dunkelblauen Rucksack mit Rückengestell, fand er Hennings Fotoalbum. Erich begann zu blättern. Die aufgeteilten Seiten der Kindheitsjahre unterschieden sich nicht wesentlich von seinem eigenen Album. Pausbäckige Jungen in karierten Hemden und kurzen Hosen, barfuss in Tante Ernas Garten stehend. Der eine mit einem Stock bewaffnet und verkniffen zu Boden schauend, der andere, mit einem Buch unterm Arm, zufrieden in die Kamera grinsend. Zwei gleich gekleidete Zuckertütenträger beim Fotografen. Sogar er, der kleine Erich, heiter, vollmundig lachend. Es fiel ihm wieder ein: wie die grell geschminkte Fotografin unter: WO-IST-DAS-VÖGELCHEN und CHEESE rückwärts gegen einen ihrer Scheinwerfer gestoßen war, das Ding beachtlich schwankte und endlich zielsicher auf den Papageienkäfig kippte. Der grüne Vogel ließ sich nicht beruhigen, zeterte den Rest der Session auf das Schrillste. Die Fotografin, sichtlich genervt, wollte abbrechen, aber Mutter bestand darauf, die Fotos zuende zu bringen – „Die Jungen noch mal sauber hierher kriegen?“, hatte sie zur Fotografin gesagt, wobei sie sich die Ohren zuhielt – „Wo denken Sie hin!“
Es folgten ein Klassenfoto und ein brüderliches Faschingsbild: Henning als Naturforscher und er als Polizist verkleidet. Weiter hinten wartete ein Häuflein Fotos auf das Einkleben, die Erich nicht kannte. Fotos aus der Studienzeit und einige von Hennings gemeinsamen Kletter-Urlaub mit Frank Meyer in der Sächsischen Schweiz. Auf einem Bild hockten beide um einen einflammigen Campingkocher vor einem schiefen kleine Zelt und rührten in ihrem blechernen Kochgeschirr. Erich las die Bleistiftnotiz auf der Rückseite: Basislager, am Tag bevor es der Sturm zerstörte. Fürs Klettern hatte Erich noch nie etwas übrig gehabt. Er klappte das Album zusammen, steckte es in den Karton und erhob sich. In acht Umzugskartons verstaut, stand Hennings Habe ihm zu Füßen. Vorerst wollte er die Sachen in seinem Keller lagern.
Kurz nach zwanzig Uhr drehte Erich den Schlüssel im Schoß seiner Wohungstür. Er holte eine geöffnete Flasche Rotwein aus der Küche und ließ sich mit einem sauberen Glas in den Fernsehsessel fallen. Gegen seine Gewohnheit blieb der Fernseher ausgeschalten. Nachdenklich drehte Erich den Stiel des Weinglases zwischen den Fingerspitzen. Dann ging er zum Schreibtisch. Neben dem Papierkorb stand eine der Umzugskisten. Erich klappte sie auf. Oben lag das Fotoalbum. Er nahm es heraus, legte es beiseite. Was er suchte, befand sich ganz zu unterst. Endlich fand er die schwarze Mappe. Mit dem Weinglas in der Hand saß er vor der geschlossenen Mappe. Laut und gleichmäßig vernahm er das Ticken der Wanduhr. Er gab sich einen Ruck und klappte den Deckel auf. Erich las. Ohne den Blick von seiner Lektüre zu wenden, zog er nach einer Weile die untere Schublade des Schreibtisches auf und entnahm ihr einen Block weißen Papiers. Seite für Seite den Inhalt der Mappe umblätternd machte er sich Notizen. Als er geendet hatte, holte er seine Reiseschreibmaschine aus dem Schlafzimmer. Auch wenn er sie in den letzten Wochen weniger benutzt hatte, so war sie doch genauso staubfrei und sauber, wie alles in seiner Wohnung. Erich nahm den Deckel ab und spannten sorgfältig einen Bogen frischen Papiers ein. Zügig klapperten die Tasten über das Papier. Es war weit nach Mitternacht, als Erich den Deckel wieder auf der Maschine befestigte und sie an ihrem Platz unter seinem Bett verstaute.
Ungefähr zwei Wochen waren verstrichen, als Erich eines Morgens einen Brief des Schulamtes Gera in seinem Briefkasten fand. Schnell rannte Erich die Treppen bis in den vierten Stock nach oben. Gleich hinter der Wohnungstür riss er hastig den Umschlag auseinander. „Sehr geehrter Herr Henning Kallauch, wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können…“ Dann verschwamm alles vor Erichs Augen. Zwei Freudentränen der Erleichterung machten seinen Blick unscharf. Erich schnäuzte sich, bevor er weiter las. Man freue sich, ihm den Posten des Schulleiters der Käthe-Kollwitz-Schule in Jena zur Verfügung stellen zu können. Und man fühle sich geehrt, einen vom DDR-Regime solchermaßen drangsalierten Lehrer im Kollegium begrüßen zu dürfen. Man lade ihn herzlichst zur baldigen Revision nach Jena ein. Den Test zur Eignung als Schulleiter würde Erich ohne Schwierigkeiten bestehen, das wusste er. Trotzdem machte er sich sofort auf den Weg in die Stadtteilbibliothek. Je früher er begann, die Paragrafen des Schulalltags auswendig zu lernen, desto sicherer blieben sie ihm haften. Er würde wieder Fuß fassen. Endlich!
Wie Erich erwartete, war es fast eine Leichtigkeit, die prüfende Lehrerschaft von seiner Qualifizierung als Rektor zu überzeugen. Mit scharfem Verstand und unbeirrbarer Genauigkeit bestach er. Am Abend reiste er mit dem Intercity nach Berlin zurück – den Vertrag mit dem Schulamt in der Tasche. Er würde seine Wohnung auflösen und alle Brücken in Berlin abbrechen. Ein neues Leben wollte er in Jena beginnen. Frei von den Ketten der Vergangenheit, beschloss er, noch einmal von vorn zu beginnen. Die Mutter fiel ihm ein. Es würde sie nicht schmerzen, den einzig verbliebenen Sohn zu entbehren. Das hatte sie ihm unmissverständlich am Weihnachtsabend im Jahr nach der Maueröffnung klar gemacht. Er sei schuld am Tod des Vaters und Henning laste extra auf seinem Gewissen. Hysterisch war sie geworden: Warum er nicht, wie jeder rechtschaffene Mensch, mit anständiger, ehrlicher Arbeit sein Geld habe verdienen können. Dann hatte sie die Tür aufgerissen, den Arm wie eine Keule Richtung Treppenhaus geschleudert und mit versteinertem Zeigefinger hart hinausgewiesen. „Raus!“, war es eisig leise von ihren Lippen geklirrt. Er hatte etwas sagen wollen, sie am Arm berühren, erklären, doch sie wiederholte nur dieses gefrorene Raus! Da war er gegangen – bereit, niemals wieder zu kommen. Er hatte sich nicht umgesehen, hatte geglaubt, das Gewicht der Haustür unten zum letzten Mal am Oberarm zu spüren.
Viel war es nicht, womit er nach Jena umzog. Auf Reisen im Staatsdienst verdiente er zwar genügend – aber seine heimliche Leidenschaft war das Wetten. Während der Studienzeit begann es. Ein kleiner Kreis Auserwählter setzte auf alles Mögliche. Kleinigkeiten zu Anfang. Morgens: Die Farbe von Sylvias Kleid, ob sie überhaupt eins trug oder ausnahmsweise doch in Hosen kam; ob die Temperatur unter 22 Grad sänke; wie viele Autos während einer Zigarettenlänge passierten. Zu Anfang war es harmlos. Um Groschenbeträge ging es. Dann steigerten sie sich auf einstellige Marksbeträge. Zu Ende des Studiums, mit beginnendem Größenwahn, wechselte schon mal ein Fuffi den Mann. Henning war nie mit von der Partie – aber Erich liebte den Spaß mit der harten Zocke. Später dann die Pferde und das Glücksspiel – in den meisten seiner Einsatzländer waren die Bestimmungen nicht so eng. In Ungarn zum Beispiel, versetzte er während eines Pokerabends sein Motorrad. Nach der Wende sprossen auch in Berlin die Spielhallen aus dem Boden. Erich wurde zum Stammkunden. Was ging versetzte er in der Pfandleihe am Potsdamer Platz.
Die Schulsekretärin hatte ihm ein kleines Appartement in einem Altbau im ehrwürdigen Jenaer Damenviertel besorgt. Schräg gegenüber vom Botanischen Garten. Für den Anfang, sagte sie leicht verlegen am Telefon. Jena sei eine Baustelle. Erich war froh, dass er nur wenige Besitztümer sein eigen nannte, mehr brächte er hier nicht unter. Zwei Zimmer, schräge Wände – alles zusammen nicht mehr als 40 Quadratmeter.
Am Montag machte er sich gutgelaunt zu Fuß auf den Weg zur Schule. Sie lag unterhalb der Kernberge, die Jena wie eine Schlucht nach allen vier Himmelsrichtungen einkesseln. Es war noch eine dreiviertel Stunde Zeit bis Unterrichtsbeginn, als hinter Erich die eisenbeschlagene Eichentür krachend ins Schloss schlug. Kaum ein Schüler hielt sich zu dieser frühen Stunde im Gebäude auf. Die beiden Fensterhocker weiter vorn waren sicher Fahrschüler, aus einem der umliegenden Dörfer. Auch Lehrer sah Erich keine. Eine Putzfrau ließ gemächlich den Wischmopp über den ausgetretenen Steinstufen kreisen. Auf Erichs schneidiges „Guten Morgen!“, fuhr sie zusammen. Wie es zum Sekretariat ginge, fragte Erich. Nuschelnd zeigte sie nach oben: „Zweiter Stock“ Erich nahm zwei Stufen auf einmal und langte vor der Tür zum Sekretariat ein wenig schnaufend an. Fit-sein ist Alles! – das war Hennings Lebensmotto. Erich nahm sich bereits bei der Abfahrt in Berlin vor, es zu seinem eigenen zu machen. Forsch, ohne anzuklopfen, riss er die Tür zu seinem künftigen Büro auf. Es folgten ein dumpfer Schlag auf Holz und ein fraulich geknurrtes „Scheiße!“ aus der Richtung des Schreibtisches neben einer zweiten, gepolsterten Tür. Da tauchte auch schon der Kopf einer hübschen Frau unter dem Schreibtisch hervor. Sie hielt sich mit der rechten Hand eine Stelle am Hinterkopf.
„Guten Morgen!… Henning Kallauch, mein Name, – ich bin der neue Direktor.“ Das Gesicht der Frau nahm einen unnatürlichen Rot-Ton an – sie kam um den Schreibtisch herum und streckte ihm die Hand entgegen. „Herr Kallauch, ich bin Isolde Meinhard, die Sekretärin.“ Erichs Blick glitt zum goldberingten Ringfinder ihrer rechten Hand. „Kommen Sie“, forderte ihn die Sekretärin auf und nahm das tragbare Telefon von der Wand. „- Ich zeige ihnen die Schule.“ Sie ging voran. Erich konnte sie betrachten. Er schätzte sie auf Anfang dreißig, blonde lange Locken, nicht groß, ein runder Apfel-Hintern, – eine Frau, die den Beschützerinstinkt im Manne wecken konnte… „Hier im zweiten Stock sind unsere Grundschulklassen untergebracht“, riss sie ihn aus seinen Überlegungen. Erich räusperte sich. „Sehr schön“, antwortete er.
„Und in der Mitte befindet sich vorübergehend das Lehrerzimmer… Wir wollen sehen“, fügte sie nach einer winzigen Pause hinzu, „ ob schon einer der Kollegen anwesend ist.“ Sie erzählte vom Mauerschwamm, der sich im eigentlichen Lehrerzimmer ausgebreitet habe, was bei einem solch alten Gebäude nicht weiter verwunderlich sei. Man könne froh sein, dass lediglich zwei Räume im Erdgeschoss betroffen seien und man den Schädling rechtzeitig entdeckte. Unterdessen erreichten sie das Lehrerzimmer. Sie öffnete die Tür. Ein furchtbar verqualmter Raum, in dem milchigweiße Schwaden standen, tat sich auf. Mit einer einladenden Handbewegung ließ sie ihm den Vortritt. Mehrere Tische waren U-förmig zusammengestellt, Tischdecken und Blumenvasen sollten dem Raum vermutlich eine entspanntere Atmosphäre verleihen. Auf jedem Tisch protzten mindestens zwei Aschenbecher. Die Sekretärin öffnete das nächstgelegene Fenster, wobei sie demonstrativ mit der linken Hand vor dem Gesicht wedelte.
„Wissen Sie, Goethe ist bei den Jenaer Naturschützern in Ungnade gefallen.“ – Sie winkte ihn ans Fenster.
„Was hat er denn angestellt?“, fragte Erich irritiert.
„Früher waren die Kernberge kahl“, sagte sie lächelnd. „Nackt und hell. Nichts wuchs auf dem kargen Muschelkalk.“ Ihre Hand beschrieb einen ausladenden Bogen, den Horizont entlang. „Vor ungefähr 200 Jahren brachte Goethe von einer seiner Reisen nach Italien eine Schwarzkiefer mit. – Eine einzige nur. Und die vermehrte sich explosionsartig. Sehen Sie!“ Sie zeigte erneut auf die Berge: „Alles grün.“
Da ertönte plötzlich eine laute Stimme hinter Erich:
„Mensch, Kallauch, Du hier?“
Erich drehte sich abrupt um. Er sah in ein bebrilltes Gesicht mit dunklen kurzen Haaren.
„Ich wüsste nicht…“, fing Erich vorsichtig an.
Da haute ihm der Bebrillte mit der flachen Hand auf den rechten Oberarm.
„Kennst Du mich nicht mehr?“ Der Fremde machte eine Drehung auf der Stelle. „Ich bin der Meyer.“
Erich dämmerte es noch immer nicht, doch geistesgegenwärtig schlug er dem anderen fast ebenso enthusiastisch auf den Oberarm und sagte: „Na klar, Meyer, wie kommst Du denn hier her?“
„Meine Stellenzuweisung, direkt nach dem Studium, führte mich nach Jena.“
Jetzt dämmerte es Erich. Das war sein Studienkollege und Hennings Freund Frank Meyer. Der vom Foto in den Bergen. Erichs Herz begann hart und schmerzhaft zu schlagen. Früher sah Meyer anders aus. Lange Haare, keine Brille, irgendwie dicker war er auch. Was dachte Meyer, welchen der Brüder er vor sich hatte? Meyer legte vertraulich eine Hand auf den Arm der Sekretärin: „Hat unsere Isolde schon versucht, Dich für den NABU anzuwerben?“ Erich holte tief Luft. „Und von ihrem Zorn auf Goethe hat sie Dir sicher auch schon erzählt“, fuhr Meyer schmeichlerisch die Sekretärin umschlingend fort. Unwirsch schüttelte sie seinen Arm ab. In diesem Moment klingelte ihr Telefon. „Ach, Frau Hutschenreuther“, sagte sie erstaunt in den Hörer und ging zwei Schritte abseits. Da sagte Meyer leise: „Ich fand es sehr Schade, dass wir uns aus den Augen verloren haben.“ Erichs Knie begannen zu zittern, er fühlte, wie seine Hände feucht wurden. Mehr als ein einsilbiges „Ja.“ brachte er nicht hervor. Zum Glück erlöste ihn die Sekretärin. „Die Französisch-Lehrerin, Frau Hutschenreuther hat sich für heute krank gemeldet“, sagte sie. „Könnten sie ihre Vertretung übernehmen?“, fuhr sie an Erich gewandt fort.
Ohne Nachzudenken antwortete Erich „Aber sicher. – Wann beginnt ihre erste Stunde?“
„In 10 Minuten… Klasse 5, ich bringe sie hin.“
„Dann bis später.“ Mit Schwung warf Meyer seine Aktentasche auf einen der Tische.
‚Für wen hält der mich bloß?’, dachte Erich nervös und folgte der Sekretärin. Eine Welle von Übelkeit stieg in ihm hoch. Ob Meyer von Hennings Tod wusste? Wie lange dauerte es, bis er alles aufdeckte?
„Dann wünsche ich Ihnen viel Glück“, sagte plötzlich die Sekretärin in seine Überlegungen hinein. Blass und schwitzend betrat Erich die Klasse.
Irgendwie brachte Erich diesen ersten Arbeitstag herum, ohne Meyer noch einmal zu begegnen. Die erkrankte Französischlehrerin hatte einen vollen Stundenplan. Als Erich nach Hause ging, fiel sein Blick auf den Vertretungsplan im Treppenhaus. Meyer befände sich bis Freitag auf Fortbildung, prangte auf einem gelben Notizzettel. Erich musste sich setzen. Wo er stand, ließ er sich auf den kalten Steinstufen nieder. Mit dem Handrücken wischte er sich über die schwitzige Stirn. Diese Galgenfrist ließ ihn etwas freier atmen. Der große Klumpen, der seit dem Morgen pausenlos schmerzhaft in der Magengegend drückte, löste sich etwas. Erichs Haltung sackte leicht ein. Die Anspannung des Tages hatte ihn ungewöhnlich ermüdet. Damals, als er Henning in seinem Zimmer mit den Aufsätzen überraschte, da fühlte er sich ähnlich. Dann war er stundenlang spazieren gegangen. Allein, durch die eisige Nacht. Alleinsein, das war es, was er jetzt brauchte – die nächsten Schritte überdenken. Erich verließ die Schule.
Am Abend schellte es an seiner Wohnungstür. Wer konnte das sein? – Nicht öffnen. – Vielleicht der Hauswirt? Erich öffnete. „Ich freue mich so, dass Du hier bist!“ Ein strahlender Frank Meyer riss ihn in die Arme. Erich fühlte einen starken Schwindel im Kopf. Bloß keinen Fehler jetzt. „Komm rein“, sagte er matt zu Meyer. „Ich fühle mich nicht so gut.“
„Was ist los?“ – Meyers Gesicht nahm sofort einen mitfühlenden Ausdruck an.
„Nichts.“ Erich winkte ab. Seine Hand zitterte. „Willst Du einen Rotwein?“
Meyer pfiff durch die Zähne. „Oho – früher standest Du nicht auf dieses Zeug.“
„Wir werden eben alle reifer“, meinte Erich achselzuckend. Wer bin ich für Dich?
„Klar… Dann gib mir eben einen Rotwein.“ Sein ‚Rotwein’ klang leicht angewidert. „Ne, gib mir lieber gleich eine Flasche – aus Gläsern schmeckts nicht.“ Erich ging voran in die Küche.
Unaufgefordert ließ sich Meyer am Küchentisch nieder. „Ich habe noch mal nachgedacht“, begann er langsam. Erich schaute ihn aufmerksam an.
„Damals… im Zelt… es tut mir leid.“
Erich ließ ein unbestimmtes „Hm“ vernehmen. In einem Zelt waren er und Meyer niemals gewesen.
„Ich bereue… Und es vergeht kein Tag, an welchem ich mir nicht ausmale, was hätte geschehen können.“
Wovon sprach er?
„Steht Dein Angebot noch?“
Hatten die beiden ein krummes Ding geplant?
„Ich kann verstehen, wenn Du nichts mehr mit mir zu tun haben willst.“
Sehr richtig!
Meyer stand auf und kam um den Tisch herum. Er blieb vor Erich stehen. Mit beiden Händen strich er langsam an Erichs Armen nach oben. Erich konnte sich nicht rühren. Die Hände erreichten seinen Hals. Erichs Haltung war erstarrt – im Sprung eingefroren. Zärtlich fuhren die Handrücken über seine Wangen. „Mir wird schlecht“, platzte Erich heraus und stürzte ins Bad. Er lehnte sich von innen an die Tür und schnaufte tief. Henning schwul? Nicht möglich! Wieso hatte er nicht bemerkt, dass mit Henning etwas nicht stimmte? … Zugegeben, Hennings Kleidung war für Erichs Geschmack immer etwas zu eng und auch zu sportlich gewesen, und dass er nie Frauenbesuch zu haben schien war auch merkwürdig, aber musste man deswegen gleich vom anderen Ufer sein? Sein Leben hatte auch lange keine Frau gestört, das änderte aber doch nichts an seiner Einstellung zum Weiblichen.
Von draußen klopfte Meyer gegen die Badezimmertür. „Henning, ist alles in Ordnung?“
Mit einem Mann im Bett – Erich ekelte sich vor seiner gestohlenen Existenz.
„Henning, was ist los?“
Erich betätigte den Knopf der Toilettenspülung.
„Kann ich Dir helfen? Soll ich einen Arzt holen?
Mein Bruder – in Erichs Kopf kreiste es, er ließ sich an der Badezimmertür nach unten in die Hocke gleiten.
„Henning?“ – Meyer wummerte mit den Fäusten gegen die Tür.
„Es geht schon“, sagte Erich lahm. „Geh nach Hause, wir sehen uns morgen.“
„Ich lass Dich in Deinem Zustand nicht allein!“
Wenn er doch endlich ginge.
Einen letzten Versuch wollte Erich noch wagen, eher er diese unglaubliche Erkenntnis würde akzeptieren müssen: „Ich dachte, Du stehst auf die Meinhard…?“
„Alles nur Schau“, antwortete Meyer mit beruhigender Stimme – „Was meinst Du, was passierte, wenn hier auch nur einer vermutete, dass ich schwul sei? Da könnte ich meinen Job gleich an den Nagel hängen.“
Wie wahr, dachte Erich. Henning, ein Schwuler. Ein Schwuler Lehrer in der DDR. „Geh nach Hause, Meyer, wir sehen uns morgen.“ Kurz drauf fiel leise die Wohnungstür ins Schloss.
Erich saß noch eine Weile im Badezimmer am Boden, ehe er aufstand, seine Jacke vom Hacken nahm und die Wohnung verließ.
Ziellos lief er durch die Altstadt. Kleine enge Gassen, alte, halbzerfallenen Häuschen, Baustellen an jeder Ecke. Die obligatorischen Döner-Buden teilten sich die ehrwürdigen Patrizierhäuser mit den Studentenkneipen. Ein fußballfeld-großer, mit Waschbetonplatten ausgelegter Platz, über dem ein gigantischer zeitgenössischer runder Turm wachte, der zum Zeiss-Werk gehörte. Erich hatte während der Fahrt gründlich im Reiseführer gelesen. Die Flanken des Platzes bildeten parkähnliche, teils mannshoch bewaldete Grünanlagen, unter deren nachgebildeten elektrischen Gaslaternen trotz der Herbstnacht vereinzelte Studentenpärchen auf Holzbänke turtelten.
Unterhalb des Turmes, fast vollständig durch Ebereschenbüsche verdeckt, blitzten Erich sehr vertraute bunte Lichter entgegen. Die blinkenden Lämpchen lockten, zogen ihn magisch an. Erich sträubte sich. Versuchte Abstand zwischen sich und das kokettierenden Licht zu bringen, indes wurde der eher geringer. Unsichtbare Seile ließen Erich unter all dem Blattwerk zielsicher die Eingangstür zur SPIELOTHEK AM MARKT aufstoßen. Er trat in einen spärlich erleuchteten Raum, mit einem unglaublich weichen, den Füßen in den harten Straßenschuhen schmeichelnden Teppich. Rechts und links der Eingangstür verführten zwei Reihen einarmiger Banditen weiter in den Raum hinein. Vor einem seltenen asiatischen YIMSA hockte ein Mann in abgetretenen Schuhen – in Reichweite seines angewinkelten Armes Aschenbecher und Bierflasche. Weiter hinten, vor einer goldgestrichenen Wand, wie auf einem Altar platziert, entdeckte Erich einen alten ROTINA. Die Front war mit hellgelbem Linoleum bezogen. Erich klopfte vorsichtig mit dem Knöchel des rechten Zeigefingers gegen die mintgrün-lackierte Außenwand: dünnes Holz. Bislang hatte er lediglich Bilder dieses Prachtstückes gesehen. Erregt zog Erich sein Kleingeld aus der Hosentasche. Er legte es in das an der Wand eingelassene goldene Schälchen. Dann setzte er sich und warf ein Fünf-Mark-Stück ein. Er zog den altertümlichen Startschalter oberhalb der Symbolfenster. Die Bildchen begannen sich zu drehen. Für das Spielen mit erhöhtem Risiko befanden sich kleine schwarze Kippschalter auf einer mit winzigen Leuchtdioden gespickten Konsole. Maximales Risiko: Erich legte sie alle um. Dann zog er den Stopper. Es gab ein schleifende Geräusch und die Bilderrollen kamen zum Stillstand. Glocke, Pflaume, Glocke. Neues Spiel…. Erich starrte gespannt auf den Farbfilm der drehenden Symbole. Er ergab ein schmutziges gelb. Jetzt STOP ziehen… – wieder nichts.
Es dauerte nicht lange und das alte Schätzchen verlangte nach neuem Futter. Ein weiteres Fünf-Mark-Stück wanderte in den Geldschlitz. Das Glück ward Erich nicht hold. Er zwang sich aufzustehen und verließ den Spielsalon. Draußen sog er tief die frische Nachtluft ein. Wenige Pärchen waren auf den Bänken verblieben. Ohne sie weiter zu beachten ging Erich die kleinen Pfade ab, die ihn an den Bänken vorbei führten. Plötzlich rief eine leise Stimme hinter ihm: „Henning?“ Erich ging weiter. Die Stimme rief eindringlicher. Erich wendete sich um. Das Gesicht dem Licht abgewandt saß dort eine dunkle Gestalt, die eine glimmende Zigarette in der Hand hielt. „Was tust Du hier?“, fragte die Gestalt und nahm die Zigarette an die Lippen. Der Zug brachte das glimmende Ende zum Leuchten – Erich sah in das Gesicht Frank Meyers. „Zu Hause rauche ich nicht“, sagte Meyer entschuldigend und blies den Rauch aus. „Wo kommst Du her?“ Erich antwortete nicht. Er stieß hörbar die Luft aus.
„Hab ich Dich da gerade aus der Spielhalle kommen sehen?“ Meyer zog erneut an der Zigarette.
„Ja, und?“ fragte Erich gereizt.
Einen Moment sagte Meyer nichts. „Nun“, er stand auf und trat die Zigarette mit dem Absatz aus, „früher hast Du es verachtet, wenn Dein Bruder Zocken ging.“ Dann drehte er sich um und verließ die Grünanlage Richtung Johannistor. Erich schaute der schmalen schwarzen Gestalt eine Weile hinterher. Die harte Kralle des Kopfschmerzes nistete sich oberhalb seines Nackens ein und begann, langsam die Schädeldecke hinaufzukriechen. Erich schloss für einen Moment die Augen. Sein Mund war trocken. Er stöhnte.
Meyer suchte seine Wohnung auf, die in Sichtweite zu jener Parkbank lag. Es war zweiundzwanzig Uhr. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und schob einen Stapel Hefte beiseite. Wieso war Henning nur so komisch? Konnte man sich in fast zwanzig Jahren derart verändern? Er schien entgegen seiner früher so vehement vertretenen Ideale zu leben. Dabei hatte er, Frank Meyer, sich so gefreut, als er Henning heute morgen gegenüberstand. Er hatte geglaubt, nun endlich seine Unentschlossenheit von damals wett machen zu können und auf eine – wenn auch heimliche – Zukunft mit Henning gehofft. Meyer schaute blicklos auf seinen Schreibtischkalender. Vor seinem Mathematiker-Auge separierten sich plötzlich ein paar Zahlen: In einem halben Jahr stünde ihre zwanzig-jährige Examens-Feier an. Meyer seufzte. Er zog die oberste Schublade auf und kramte sein privates Telefonbuch hervor. Mit einem Studienkollegen stand Frank in lockerem Telefonkontakt. Das hatte sich eher zufällig ergeben. Götz Bauer, so hieß der Kollege, hatte vor vielen Jahren eine Freundin in Jena und wollte zu ihr ziehen. Da man in der DDR aber nicht einfach umziehen konnte, außer, jemand tauschte mit einem den Wohnort, dachte er an Meyer und bot ihm an zu tauschen. Jena gegen Berlin. Frank hatte lachend abgelehnt. Er sei hier so glücklich, wie niemals zuvor in Berlin. Götz war nicht sauer. Mit der Freundin zerschlug es sich bald – sie war ihm zu anspruchsvoll. Endlich fand Meyer die Nummer. Er schaute zur Uhr, befand die Zeit für ein solch wichtiges Anliegen angemessen und wählte. Es dauerte eine Weile bis am anderen Ende abgehoben wurde. Ein verschlafener Stimme fragte: „Hallo?“
„Götz, Guten Abend… hier ist Frank Meyer aus Jena“
Im Hintergrund ließ sich undeutlich eine Frauenstimme ausmachen.
„Ist ja gut, Schatz, schlaf weiter…. „ Götz’ Stimme klang wie durch Watte, sicher hielt er die Hand vors Mikrofon. „Einen Moment“, sagte er dann in den Hörer. „Ich gehe ins andere Zimmer.“
„Es tut mir leid, dass ich störe… Soll ich lieber Morgen noch mal anrufen?“
„Quatsch“, knurrte Götz. „Jetzt bin ich wach… Was willst Du Nachteule?“
„Im Juni vor zwanzig Jahren haben wir unser Examen gemacht.“
„Na und?“ Götz gähnte. „Deswegen musst Du mich doch nicht mitten in der Nacht aus dem Bett holen.“
„Das müssen wir feiern! – Was wohl aus den anderen geworden ist?… Die alten Nasen…“
Götz wurde langsam lebendig. „Zwanzig Jahre schon?“ Er pfiff durch den Spalt seiner etwas auseinanderstehenden oberen Schneidezähne.
„Wir müssen die anderen ausfindig machen!“, entgegnete Meyer. „Bei Henning Kallauch können wir uns das sparen, der ist seit heute an meiner Schule.“
Götz gähnte wieder herzhaft. Plötzlich unterbrach er die unüberhörbare Sauerstoffzufuhrübung seines Gehirns und sagte abrupt: „Henning Kallauch? … – Der ist doch tot!“
„Mumpitz!“
„Klar, Mann… der ist von der Mauer gefallen.“
„So ein Humbug!“
„Ich werd’s wohl wissen – Ich war auf der Beerdigung… Das war einen Tag nach der Grenzöffnung… So was vergisst man nicht.“
Meyer fühlte sein Herz schmerzhaft schlagen.
„Und wer ist dann der Henning…?“ Er nahm den Hörer in die andere Hand.
„Sollte…“, Götz atmete hörbar ein, „…sollte etwa der Bruder sich für Henning ausgeben?“
„Erich?… Der war doch eine STASI- Socke! Den nimmt keiner mehr als Lehrer.“
„Eben!… Drum… Mit einem solchen Lebenslauf macht kein Wendehals mehr eine Mark im Schuldienst.“
Einen Weile schwiegen beide. Dann gab sich Meyer einen Ruck
„Götz… Du hast Recht…. Er hat sich wirklich merkwürdig verhalten…“ Er strich sich entgegengesetzt zum Wuchs über das kurzgeschorene Haar. „Vorhin… da habe ich ihn erwischt, wie er aus der Spielhalle kam…. “ Meyer rückte seine Brille zurecht, seine Stimme wurde leiser, kaum noch wahrnehmbar: „Das ist Erich Kallauch…“
Grußlos ließ er den Hörer auf die Gabel gleiten. Dann saß er reglos, sein Atem ging oberflächlich, hektisch. Zwischen den Fingern knetete er die Telefonschnur.
Nach einer Weile griff Meyer erneut zum Hörer.
Erich war nach Hause und zu Bett gegangen. Morgen wollte er sich weiter mit seinen Problemen befassen – heute ließ sich nichts mehr bewegen. Einmal darüber geschlafen und die Sache erschien heller. In dieser Nacht plagten Erich heftige Träume. Gegen Morgen träumte er von der Verhaftung seines Bruders. Vollkommen realistisch zog das Geschehene an ihm vorbei. Mit einer winzigen Ausnahme: Erich war nur Zuschauer. Er sah sich durch das weihnachtlich geschmückte Berlin laufen – ziellos, mit starrem Blick. Vor einem Schaufenster, durch dessen Auslage eine Modelleisenbahn langsam kreiste, blieb er stehen, betrachtete sein Spiegelbild und begann nach einer Weile ein Zwiegespräch mit seinem Abbild.
„Was soll ich tun?“
„Halt Dich an die Dienstanweisung!“
„Aber er ist mein Bruder.“
„Die Dienstanweisung lautet: Anzeigen des staatsfeindlichen Subjektes!“
„Mein Bruder ist kein Subjekt!“
„Aber staatsfeindlich!“
„Soll ich ihn schützen?“
„Es kommt sowieso raus!“
„Aber nicht durch mich.“
„Zeig ihn an!“
„Was weißt Du schon.“
„Es ist Deine Pflicht!“
Das Schaufenster spiegelte den Kampf in Erichs Gesicht.
Dann wandte er sich ab und schlug den Weg zur Normannenstraße ein. Als er sich an seinem Dienstschreibtisch das Protokoll über Henning ausfüllen sah, erwachte Erich schweißgebadet. Sein Herz raste und der Schlafanzug klebte am Körper. Erich setzte sich im Bett auf. Der Schwindel, welcher ihn schon am Abend heimgesucht hatte, bemächtigte sich erneut seines Kopfes. Erich presste die Kuppen der Zeigefinger gegen die Schläfen und schloss die Augen. Er zwang sich, tief und gleichmäßig zu atmen. Der Druck und die Drehbewegungen seines Gehirns ließen etwas nach. Erich öffnete die Augen wieder und starrte auf das Fußende seines Bettes. Genauso hatte es sich abgespielt. Am Nachmittag des ersten Weihnachtsfeiertages waren dann zwei Herren aus der Normannenstraße erschienen und hatten Henning mitgenommen. Erich saß reglos. Hätte er sich doch nie an die Dienstanweisung gehalten!
Draußen ratterte eine Straßenbahn, als Punkt sechs Uhr morgens die unbarmherzige Türklingel losbrüllte. Erich schleppte sich im Schlafanzug zur Tür. Er war nicht erstaunt, zwei zivile Kripobeamte dort vorzufinden.
„Erich Kallauch? … Ziehen sie sich etwas über und kommen sie mit!“

Meine Freundin Moni flüstert mit Bäumen. Sie beschäftigt sich esoterisch mit Baumwissenschaften. Kennt Ihr?
Der Lehre nach besitzt jeder von uns seinen Partnerbaum. Also einen, der ihm wesensgleich ist. In meinem Fall – meint Moni – sei das der Apfelbaum!
Da muss sie sich irren, weil wenn ich einen Apfelbaum betrachte, regt sich bei mir wenig. Handelt sich um einen Baum – genau wie der sich vermutlich denkt: Oha, ein Mensch, der mich leer frisst.
In Wallungen gerate ich aber bei Birken und bei Fichten!
Rauschende Birken, deren lange Wedel wie Besen vom Himmel baumeln, und romantische Märchenwaldfichten mit leckerer Pilzpfanne darunter. Einfach herrlich, da geht mir das Herz auf!
Vermutlich liegt meine Resonanz daran, weil‘s rund um mein Elternhaus so ausschaut. Wir thematisierten das ja schon des Öfteren: Ich kenne Fuchs und Hase in der zigsten Generation persönlich.
So, wat soll dat denn nun mit der langen Einleitung?
Hier beißt sich die Katz nämlich in den Puschel!
Ich wohne nun schon eine Weile nicht mehr bei den Eltern. Es war, wie das bei vielen Landeiern schon immer der Fall war: Wir schnürten ein Bündel und machten uns auf den Weg zu den big Jobs! Zu allem Übel verliebte ich mich dann auch noch unterwegs – na und so kam halt eines zum anderen.
Weil es meinem Ausgeguckten nach einer Weile kräftig auf die Zwiebel ging, dass ich ihm bei jeder Gelegenheit ins Ohr lamentierte, wie sehr ich meine Bäume vermisste – suchte er nach angemessener Zeit einen baumreichen Stellplatz für uns. Gleich neben einem Fichten-Paar schlugen wir unser Zelt auf.
Zwei 🌲🌲 übrigens, von denen der Tannenfreund träumt: schlanke Gestalt, gerader Wuchs und lange Wedel mit feine Zapfen zur Weihnachtszeit. Katalogisiert als was Serbisches – während der Eiszeit hatten die sich nach dorthin in Sicherheit gebracht.
Die Bäume und ich: Vom ersten Kontakt an lief das super mit uns! (Ich meckere seitdem auch viel weniger über andere Dinge.)
Klingt alles fein? Aber jetzt mischt Dramatik rein!
Im trockenen Sommer vor drei Jahren, als auch hier in meiner beschaulichen Pott-Gegend das Fichtensterben begann, schwor ich meinen Tannen: „Ab jetzt gieße ich Euch! Wer keinen Durst leidet, der kämpft besser! Euch holen diese Scheißviecher nicht!“
Die ersten beiden Jahre lief alles glatt. Meine Schönen: frisch und grün, eine Augenweide. In diesem Frühjahr war es aber so, dass ich ein Projekt hatte. Die Deadline nahm mich so in Anspruch, ich kam wochenlang kaum noch vor die Tür. Je heißer es draußen wurde, desto heißer wurde meine Arbeitsphase. Ich ging nicht mehr nur nicht raus, ich vergaß auch alles außerhalb meines Schreibtischradiuses. Leider vergaß ich auch mein Versprechen …
Meine Schützlinge müssen nach mir gerufen haben – Bäume schreien nämlich im Ultraschallbereich, wenn sie Durst haben! – ich hörte sie nicht.
Eines Tages – endlich hatte ich meine erste Abgabe hinter mich gebracht – trat ich blinzeln nach draußen ins Sonnenlicht. Mann, war das grell!
Meine Tannen litten, das erkannte ich auf den ersten geblendeten Blick.
Schnell füllte ich aus dem Teich zwei Gießkannen, die sie gierig austranken. Weil mir selber klar war, dass eine popelige Kanne pro Baum nicht reichte, holte ich den Schlauch. Bei der Gelegenheit entschuldigte ich mich ehrlich für die Vernachlässigung. Obenrum wirkten sie gleich ein wenig frischer. Die Stämme schauten auch kräftig aus – noch mal Glück gehabt!
Warum ich mich dann ins Dickicht schlug, weiß ich auch nicht, es muss wohl Intuition gewesen sein. Jedenfalls zwängte ich mich zwischen Brombeergestrüpp und anderem fleischfressenden Grünzeug rein und in dem Augenblick, wo sich zwei so dämliche Ranken um meine linke Wade würgten, um mich gemeinsam von den Füßen zu zerren, entdeckte ich am Stamm der Rechten ein paar kleine Löcher. Knapp darunter hatte ein winziges Spinnennetz gelbbraunes Pulver aufgefangen, sah aus, als hätten die mit Kurkuma gewürzt. Weiter oben das Gleiche. Da lag eindeutig Sägemehl! Geschockt scannte ich den kleineren der Bäume – sah so ähnlich aus.
In dem Moment kam mein Mann von der Arbeit nach Hause. „Was machen wir denn jetzt??“, wetterte ich los.
Mein Mann winkte ab: „Quatsch, die haben nichts, die sind beide grün!“
Nun ist mein Mann nicht bloß ein Mann, er ist obendrein Städter …
Ich gab aber sofort Ruhe, ich wollte gar nicht recht behalten!
Besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen! Auf der Stelle korrigierte ich deshalb meine To-do-Liste! Auf Prio 1 – in Rot und fett! – blinkten jetzt statt des Jobs meine Tannenbäume! Täglich 2 x goss ich sie fortan. Frühmorgens und am Abend.
Nach drei Tagen fingen meine Lieblinge an zu nadeln. Normal, eine monatelange Durststrecke steckt man nicht so einfach weg. Ging mir ja selber auch so. Indes nahm die Erderwärmung weiter zu und es wurde draußen fürchterlich heiß. Die Bäume schwitzen auch mega und schmissen so heftig viel Nadelkleid von sich, dass ich die Terrasse fegte. Sehr zum Ärger des kleinen Spechts, der ein paar Tage zuvor in meine Weihnachtsbäume eingezogen war. Der Kleine kriegte bald einen Herzinfarkt, als ich meinen Besen zückte. Damit er seine Arbeit tun konnte, ließ ich das mit dem Fegen wieder sein.
Machen wir es kurz ….
Trotz der extremen hochsommerlichen Temperaturen schneite es nun fett bei uns im Garten. Ohne Unterlass segelten grüne Flocken vom Himmel und deckten alles zu, was draußen stand.
Ganze drei Wochen hat die Belagerung gedauert, dann war es vorbei …
Heute kommen die Gärtner 😢
Ein Buchdrucker ist nicht nur ein Buchdrucker – er kann auch Borkenkäfer sein! 🙀
P.S.: Ich hoffe sehr, dass sich das mit den Borkenkäfern so verhält, wie das mit den Buchsbaumzünslern der Fall war: Eines Tages waren die einfach wieder verschwunden! 💪🏼
P.P.S.: Und wer neugierig ist und wissen möchte, welches geheime Projekt das war, das mich meine Fichten vergessen ließ, der schreibt mir gerne eine Mail: send2goodword@gmail.com
Zumindest der Teil ist mir nämlich gelungen! 🙂

Moin Leute!
Ich habe da eine Wissenslücke. Dreht sich um Brillen, da kenne ich mich nicht aus. Bei uns daheim trägt nämlich keiner eine. Ich nicht, Kinners nicht, Großeltern nicht – alle linsen verstärkerfrei. So die Situation zumindest bis vor einer Weile.
Doch eines Tages erreichte mein Gemahl ein Alter, wo man sich beim Lesen gerne zwei dieser intelligenten Käuzchenlupen auf den Nasenrücken zwickt. Der Gatte hätte das auch seinlassen können, ließen sich seine Arme teleskopisch verlängern. Weil das biologisch nicht vorgesehen ist, suchte mein Mann nach angemessener Leidenszeit einen Optiker auf. Der bastelte ihm ein schickes Nasenfahrrad zurecht; das stand ihm wirklich ausgezeichnet!
Nun ist das aber auch schon wieder eine Weile her und mein Mann bräuchte in mancher Lesesituation zusätzlich zum Zwicker wieder seine Teleskoparme. Vor allem abends und bei schummeriger Beleuchtung. Also wurde er erneut beim Optiker vorstellig. Diesmal einem anderen, der alte war in Rente gegangen.
So und jetzt kommt der Punkt, wo ich nicht weiter weiß!
Als ich blutjung war, guckte ich regelmäßig fern. Ich war so richtig mit den Werbeblöcken vertraut. Später produzierte ich die Spots selber mit – darüber verlor ich allerdings die Lust am Fernsehgucken. Seitdem gucke ich nichts mehr. Außer Tatort. Aber der kommt öffentlichrechtlich und deswegen werbefrei.
Jedenfalls ist mir aus meiner aktiven Glotzzeit ein nerviges Kind in Erinnerung geblieben. Ein vorlauter Bengel mit einer riesigen Zahnlücke und einer noch viel größeren grasgrünen Froschbrille im Gesicht. Der brüllte von der Mattscheibe, dass sein Papa keinen Cent dazubezahlt hätte.
Was die im Fernsehen erzählen stimmt immer. Das darf man ungefragt glauben. Mein Mann also auch in den Laden reingeschneit. Was aber echt sonderbar: Die präsentierten ihm eine fette Rechnung!
Woran liegt das denn? Liegt das daran, weil er selber bezahlt?
Was ist das nun wieder für eine Form der Diskriminierung?
Kann doch nicht sein, dass nur Leute nix bezahlen, wo der Vatter mitkommt!
Oder liegt das am Alter?
Hätte er mehr rumbrüllen müssen?
Ich könnte das alles natürlich auch schön still für mich allein im Kämmerlein herausfinden. Aber ich frag lieber Euch, das ist geselliger! Außerdem habt Ihr viel bessere Ideen als sämtliche Infoseiten im Internet zusammen! ❤
Was empfehlt Ihr denn? Wie händelt man denn nun das mit dem Altersleselicht am wirtschaftlichsten?

Hi Leute!
Na, wie schaut es aus? Geht es Euch allen gut?
Ich habe länger nichts mehr erzählt – ich war mit einem großen Projekt beschäftigt.
Habe ich nun alles schön beendet und abgeliefert 📇 – und auf einmal eine Menge Zeit. 🙂
Könnte ich gut hier mal wieder was zur Unterhaltung beitragen!
Seid Ihr denn überhaupt noch alle da?
Ihr geschätzten Leser, Ihr liebreizenden Kommentatoren, Ihr eloquenten Blogger?
Ich frag besser erst nach, weil ob sichs lohnt … ❤
Mit frühherbstlichem Sonnengruß,
Eure Anke
P.S.: Liebe Mailabonnenten, bitte verzeiht den Traffic in Euren Kästen – ich fand leider kein Knöpfchen, Euch mit dem Lebenszeichen zu verschonen. 🙂
Weisheit des Konfuzius

Am Freitag wollte mir meine Arbeit nicht recht von der Hand gehen und so vertrieb ich mir die Zeit mit Hausarbeit.
Zuerst kratzte ich Unkraut aus den Pflastersteinen vorm Haus und weil es danach nicht besser um meine blitzgescheiten Ideen stand, wässerte ich die Bäume.
Immerhin ist es heiß und da trinken alle viel.
Ich kniete mich am Teich nieder und wie ich gerade die Gießkanne unter Wasser döppte, durchfuhr meinen kleinen Finger ein heftiger Schmerz.
Was war das??
Hatte sich die blöde Kanne etwa gewehrt und mich gebissen?
Die sollte sich mal nicht so anstellen, ich hole seit Jahren auf die Art Gießwasser aus dem Teich.
Doch dann sah ich es: Eine Wespe hatte mich gestochen!
Das Viech musste sich genau so erschrocken haben wie ich, denn es war ins Wasser gefallen und strampelte wild.
Nun bin ich ja ein herzensguter Mensch.
Augenblicklich vergaß ich mein eigenes Leid und hatte nur noch die Rettung des zappelnden Lebens im Sinn.
Eilig tauchte ich also meine schmerzende Hand in die Dreckbrühe, entfaltete sie unter der Wespe wie eine Rettungsinsel, zog raus: Da stach das Scheißvieh mich noch einmal!
Diesmal in den Ringfinger!
Herrschaftszeiten, tat das weh!
Brüllen und Vieh abschütteln war eins!
(Ich möchte mich an der Stelle aufrichtig bei meinen Nachbarn entschuldigen!)
Das Viech landete abermals in den Teich – es konnte mich jetzt am Arsch lecken.
Gerade wollte ich in die Küche eilen, um mir aus Erste Hilfe-Gründen eine Zwiebel aufzuschneiden – da kriegten meine Fische die Sache spitz.
Der dickere von beiden, Lilly genannt, dümpelte wie ein Hai von unten heran und sperrte in Zeitlupe das Maul auf.
Ich brüllte zwar, er soll das lassen, aber es half nichts: Plopp, war die Wespe verschwunden.
Mir blieb erneut fast das Herz stehen.
Mein Lillyfisch verzog sich daraufhin eilig mit seiner Beute unter die Seerosen.
Sein Kumpel schwamm mit, die beiden sind halt ein Schwarm.
Sie scheinen es aber beide überlebt zu haben, denn bis jetzt treibt keiner oben.
Ich muss die gleich erst mal füttern, nicht dass die nachher meine Gießkanne auffressen!

Immer wenn ich Brot hole, fahre ich mit dem Fahrrad durch den Wald. Insgesamt bin ich knapp eine Stunde unterwegs, deswegen gehört so eine Beschaffungstour reiflich überlegt. Per Häkchenkontrolle ist abzuklären:
– Regnet es auch nicht?
– Habe ich denn Zeit?
– Hat der Bäcker überhaupt offen?
Natürlich könnte ich mir das ganze Theater auch sparen und wie jeder normale Mensch die Straße benutzen. Dann wäre die Sache auch binnen zwanzig Minuten erledigt. Aber ich liebe die Tour und habe richtig Freude daran. Das ist ähnlich beschaulich wie bei Rotkäppchen, nur mit moderner, ans Zeitgeschehen angepasster Handlung. Seine Großmutter hat heute keiner mehr mutterseelenallein im Wald wohnen, und damit ich mich zwischen finsteren Fichten nicht vorm bösen Wolf fürchten muss, habe ich ein Pfefferspray dabei.
Aus den genannten Gründen rede ich mir seit Jahren ein, dass zum Bäcker keine Straße führt. Das klappt auch gut, wir essen halt wenig Brot.
Gestern Nachmittag sprach nichts gegen eine Beschaffungstour. Es nebelte scheußlich wie in einer Waschküche, das Thermometer bibberte bei vier Grad, die Turmuhr zeigte kurz vor 15:00 – wenn ich mich beeilte, käme ich noch vorm Dunkelwerden zurück nach Hause. Vor allem könnte ich es mir aber erlauben, die letzte lange Steigung mit meinem unbeleuchteten Fahrrad auf der Straße hochzustrampeln. Da habe ich deswegen immer Bock drauf, weil ich dabei richtig schön ins Schwitzen komme. Also hurtig!
Beim Bäcker ergatterte ich das allerletzte Brot aus dem Regal – was Kleines, so was in der Menge für zwei der sieben Zwerge – und machte mich mit meiner Beute auf den Weg in den Wald. Wie es der Zufall will, hatten etliche Mülheimer Hundebesitzer die gleiche Idee mit dem fixen Heimkommen vor der Dämmerung und so war es ungewöhnlich voll.
Gerade sauste ich bei den ersten Fichten am Bächlein um die Kurve, da gewahrte ich hinter der Brücke vier dick vermummte Damen älteren Semesters. Die schlenderten nebeneinander und nahmen die komplette Breite des Weges ein.
Wobei Weg echt untertrieben ist. Er hat die Abmessungen einer Straße, auch die Qualität. Der Asphalt weist weniger Schlaglöcher auf, als die Straße, auf der ich wohne.
Die Damen schwatzten aufgeregt und verhielten sich auch ansonsten arttypisch. Vornweg versuchte ein kleiner Hund heimzuflitzen. Er trug Mäntelchen und Stiefelchen und zog so kräftig an der Leine, dass er auf den Hinterbeinen lief und vorne hoch stand. Wohl wegen seines Fliegengewichts und wegen des interessanten Gespräches schienen die Damen das aber nicht zu bemerken.
Ob der Kaffeekränzchen-Idylle plagte mich zwar ein wenig das schlechte Gewissen, doch dann betätigte ich sacht meine Klingel. Nichts passierte. Ungerührt palaverten die Damen weiter. Ich schellte lauter: wieder nichts.
Vemutlich lag es an den wollenen Mützen und an den Ohrenschützern, dass die Girls nichts hörten und so bremste ich hinter der Truppe scharf ab. Doch auch meine quietschenden Reifen störten sie nicht und so blieb mir nicht weiter übrig, als mich auf dem Grünstreifen vorbeizuquetschen. Ich entschied mich für die Seite mit dem schmächtigsten Weiblein.
Das hätte ich besser bleiben lassen sollen, denn als ich eben auf gleicher Höhe dran vorbeischlich, kreischte das Weiblein fürchterlich auf.
Vor Schreck fiel ich fast vom Fahrrad!
Doch damit nicht genug: Statt wenigsten stehen zu bleiben, sprang die dusselige Kuh auf meinen Gepäckträger!
In letzter Not gelang es mir, den Drahtesel in Balance zu halten. Leider kam ich trotzdem von der Straße ab.
Wie ich mit der entführten Alten schnurstracks auf dem Weg in den Bach war, hatte die Zweite sich so weit gefangen, dass sie losblökte: „HILFE! HILFE!“
Die Dritte kreischte: „POLIZEI!
„KLINGELN SIE GEFÄLLIGST, JUNGE FRAU!!“, brüllte die Vierte.
Herrschaftszeiten, ich sage Ihnen weiter nichts! Mein Herz! Die Girls machten so einen Terz – so muss es dem Fuchs ergehen, wenn er im Hühnerstall vom Bauern erwischt wird. Also machte ich es wie der Fuchs und gab eilig Fersengeld.
Ich hatte mich gerade wieder beruhigt, bog 800 Meter weiter um die nächste Ecke, wanderte vor mir eine junge Frau mit vier riesengroßen Schlittenhunden. Wieder über die gesamte Wegbreite verteilt. Ich dachte noch: Nicht schon wieder! – Doch die junge Frau achtete auf ihrer Umwelt. Sie gab den Hunden ein Kommando und die vier stellten sich brav zwei rechts und zwei links vom Frauchen auf.
Wir Frauen winkten uns zu, wir lächelten uns an und setzten beide beschwingt unseren Weg fort.
So einfach kann einem ein Lächeln den Tag erhellen.
So, und wie ich kurz davor war, den Wald zur Straße hin zu verlassen, dann noch diese beiden sportlichen Herren hier: mit extrabreiten Lenkern gestylte und schön eingeschweinste Biker im besten Mannesalter.
Die heizten wie zwei Kometen auf mich zu.
Solche Vorstandvorsitzenden, die gemeinsam auf der Jagd Geschäfte machen – sicher wissen Sie, welchen Typus Mann ich meine. Die reiten da nach ihrem Bürotag, der aus unnützen Konferenzen, überflüssigen Telefonaten, Schlipswechseln und täglich neu verteidigter Hackordnung besteht, mit gezogenen Lanzen durch den Wald. Sie sind auf dem Survivaltripp und haben vorher gemeinsam zwei Kilo rohes Fleisch verschlungen, damit der Aggressionspegel auch hier in der Natur nicht sinkt. Wer sich ihnen in den Weg stellt, wird überrannt. Ich habe sie echt dick, solche Kerle.
Jedenfalls schossen die beiden Lichtgestalten gleichfalls wegbreit heran. Logisch, die nehmen ja schon einzeln mächtig Raum ein – allein die Aura drückt uns Kleinvieh wie ein Rambock von der Piste.
Jetzt ist es aber so, dass ich mit einem Fahrrad geboren wurde. Würde ich zu Fuß schüchtern und ängstlich vor soviel geballter Entscheiderkompetenz beiseitespringen und schuldbewusst für nichts den Kopf senken – straffte ich mich stattdessen und fasste den Lenker fester. Ich kniff die Augen ein bisschen zusammen und hielt die Spur. So in etwa.
Doch der Zufall oder das Schicksal wollten es – oder vielleicht waren es auch die beiden Idioten gemeinsam: Plötzlich lag da auf dem Teerweg vor mir ein überdimensionaler Pferdeschiss! Fein säuberlich Appel für Appel zu einer Pyramide gekackt – bestimmt einen halben Meter hoch!
Verdammte Scheiße, ich und die Chefs würden genau am Scheißhaufen zusammentreffen!
Der Riesenschiss war megafrisch, er dampfte sogar noch.
Der Herr Generaldirektor, der auf meiner Seite fuhr, gewahrte den Kack wohl im gleichen Moment wie ich, denn er grinste fies. Der andere Bankier kriegte die Sache auch spitz und grinste noch fieser. Eines muss man solchen Typen ja lassen: Deren Auffassungsgabe ist wieselflink!
Jedenfalls hatte ich den Eindruck, dass die die Sache auf einmal als Autorennen einstuften. Sie wissen schon, als Illegales. So eines, wo beide Kontrahenten aus entgegengesetzten Richtungen aufeinander zurasen, und der mit den schwächeren Nerven im letzten Moment beiseite zieht. Mit dem Unterschied, dass sich normalerweise beide Parteien einig sind und keiner ungewollt, so wie ich eben, Protagonist und somit Teil der Show wird.
Aber man muss das Leben nehmen, wie es kommt!
Zum Glück stamme ich aus einer Zeit, wo man bei kleinen Problemen weder zur Kindergärtnerin, noch zur Mutter, geschweige denn die zur Lehrerin rannte. Wir lösten noch selber.
Und so gab ich mich der Sache halt hin und stellte mich: Ich fasste den Lenker noch ein wenig fester, kniff die Augen noch ein bisschen mehr zusammen und trat noch kräftiger in die Pedale.
Die Leitfigur, die auf mich zuschoss, erkannte wohl meine Absicht, nicht zu weichen, und verlegte sich augenblicklich aufs Rumbrüllen, darauf verstehen sich solche Typen ja besonders gut: „DU DÄMLICHE PUTE! WENN ICH DAS SCHON SEHE! BLOSS NICHT BREMSEN!“, feuerte er mitten im Naturschutzgebiet eine Maschinengewehrsalve auf mich ab. Im selben Moment sausten wir um Haaresbreite aneinander vorbei. Der Ärmel seines BikerJackets schürfte über meinen kleinen Finger.
„Arschloch!“, informierte ich und weil ich so viel Schwung hatte, war der Wald da auch schon zu Ende.
Diese Brottour war mir jedenfalls zu aufregend.
Das nächste Mal fahre ich auf der Straße, da ist zwischenmenschlich weniger los.
Und vielleicht gibt es dann bei uns auch öfter mal ein Brot zur Wurst.
Lasst Euch nicht die Butter vom Brot nehmen, Leute!

Soll ich Ihnen mal einen von meinem Weihnachtgesteck erzählen? Wir müssen mit unseren Ressourcen nachhaltig umgehen, das wird uns allerorten erzählt. In diesem Advent mache ich mal was, dafür krieg ich ganz bestimmt einen Nachhaltigkeitspreis!
Doch lassen Sie sich erzählen!
Im September bestellten meine Nachbarn Sperrmüllabfuhr. Es handelte sich dabei um eine Mischung aus Sperrmüll und einer halben Haushaltsauflösung. Will sagen: Da stand richtig viel draußen!
Jetzt ist mein kleines Flatter mentalitätsseitigt ein Sammler. Das ist wohl fast allen Kindern eigen: Sie horten Schätze. Im Laufe des Lebens verliert sich das bei den Meisten wieder, da schlägt das dann ins Gegenteil um und sie schätzen Struktur und Übersichtlichkeit.
Noch ist nicht abzusehen, zu welcher Besitzkultur Meines später zählen wird – solange verhält es sich eben altersgerecht. Aufgeregt flatterte es um den riesigen Haufen Hausrat herum und trug ein Teil nach dem anderen ab. Es schleppte auch ein Adventsgesteck an. Vier dicke, fast unversehrte Kerzen, Kugeln drumherum und das ganze auf Tannenbraun gebettet. Ehemals frisches Grün – aber der Zahn der Zeit – Sie wissen schon. Das Gesteck war halt in die Jahre gekommen.
Den ganzen Herbst über stand das Gesteck dann bei uns im Wohnzimmer. Zwischen dem Abtreter der Terrassentür und dem Fischfutter. Ich habe im Moment eben viel zu tun, ich lamentierte ja bereits. Das Stillleben fiel mir nach dem ersten Tag schlichtweg nicht mehr auf. Der ankompostierte Kranz hatte sich vollkommen in unserem Wohnzimmer integriert. Vor allem farblich.
Kleine Kinder haben eine innere Uhr eingebaut: Kurz nach den Sommerferien fangen sie an, über Weihnachten nachzudenken. Was sie sich wünschen, vielleicht auch, ob sie brav genug waren … Das Daran-Herumdenken intensiviert sich dann jede Woche um ein kleines Stück. Bei uns war es so, dass ab Anfang November der Geist von Weihnachten einzog. Eines Mittags nach der Schule befreite mein Töchterchen das Adventsgesteck von Spinnenweben und Fischfutter und schleppte es ins Treppenhaus.
„Wo willst du denn damit hin?“, fragte ich, als sie an meinem Schreibtisch vorbeischnaufte.
„Ich such dem jetzt einen Platz!“
Ein Seitenblick auf das Gesteck: Sie hatte recht: von der Farbe ab, sah es wirklich nett aus. Sollte sie mal machen!
Ich vertiefte mich wieder in meine Arbeit.
Es rumorte im Flur herum, es klapperte hier und da – weil aber nichts polterte und auch keiner um Hilfe rief, kümmerte ich mich nicht darum. Ich war halt beschäftigt.
Kurz darauf tauchte das Kleine an meinem Schreibtisch auf: „Ich bin fertig. Ich habe einen tollen Platz gefunden! Magst du mal gucken?“
Ich weiß schon, ich hätte ja-sagen müssen! Schon allein deswegen, damit es sich ernst genommen fühlt!
Nun bin ich aber Freiberufler. Die sind so frei in ihrem Tun, dass wenn sie den Job nicht erledigen, fix ein anderer dafür einspringt. Ich quetschte also ein „Später!“ zwischen den Lippen hervor und hoffte inständig, dass mir über dem Gequatsche jetzt nicht der rote Faden abhandenkam.
Die Tochter erkannte das und verzog sich mit dem Schulranzen in ihr Zimmer. Sie hatte auch zu tun: die Hausaufgaben.
Wir beiden Girls also jede an ihrem Schreibtisch versumpft, keiner dachte mehr an Weihnachten oder irgendwelchen anderen romatischen Schnickschnack. Bis zu dem Moment, als jemand die Haustür aufstieß! Es schepperte und dröhnte fürchterlich, so als wäre ein Bus ins Treppenhaus reingebrettert! Im gleichen Moment brüllte eine Stimme: „WELCHER DÄMLICHE IDIOT HAT DENN DEN KUPFERKÜBEL HINTER DIE TÜR GESTELLT??“
Die Stimme gehörte zu meinem Pubertikel, er war stark erkältet nach Hause gekommen. Weil er auch im männlichen Siechtum ein kräftiger Junge mit viel Schmackes ist – hatte er mit dem Zimmermannsbrett den Kupferkessel durch den ganzen Flur katapultierte. Kurz fragte ich mich ebenfalls, was zum Henker der Eimer hinter der Tür zu suchen hatte! Normalerweise ruht er sicher auf seinem Platz auf der Heizung und beherbergt sämtlichen Schlüssel, Türöffner und sonstigen Krimskrams, wo keiner von uns weiß, wohin damit. Doch dann fiel es mir wie Christbaumkugeln aus den Augen! Da stand jetzt das Adventsgesteck!
Äußerlich erlitt der Kupferkessel zwar nur ein paar Blessuren – er hält sich aber nicht mehr gerade. Er kippelt und das ist schlecht bei dem Konvolut in seinem Gedärm. Ich denke, wir werden das Adventsgesteck einfach auch unterm Jahr auf seinem Platz belassen.
Wenn‘s Dunkel ist, sieht man dem sein Alter gar nicht an!

Da kam ich gestern Abend spät nach Hause – mein gehetzter Blick schwiff auf dem Weg in die Küche wie üblich über meinen Schreibtisch – da bin ich aber fast auf der Stelle tot umgefallen!
Hatten die mir die Viecher hier auf den Laptop gesetzt!
Nachdem meine Schockstarre sich etwas gelockert hatte, erkundigte ich mich, was das sollte. Also, will sagen, ich stieß einen Brüller aus.
„Das ist nur meine Bio-Hausaufgabe“, kam es vom Fernseher.
„Lose Viecher?“
„Ne, muss ich noch aufkleben.“
„Wie soll das denn gehen? Meinst du, die finden das gut?“
„Ist doch den Bildern egal, wohin ich die kleb.“
Erst jetzt wurde mir klar, dass die fette Assel links im Bild nicht im Stechschritt über meinen aktuellen Job sauste, und dass die riesige Schnecke nicht verträumt den Schleimfuß aus ihrer Hütte baumeln ließ. Wir hatten es hier ausschließlich mit Fotos zu tun! Die sahen aber verdammt 3D-echt aus. Meine Fresse!
„Wann passiert das denn mit dem Aufkleben?“
„Keine Ahnung, ich bin so müde. Ich schau mal … vielleicht morgen früh.“
„Brauchst du die Hausaufgabe für morgen?“
„Na logisch! Sonst hätte ich doch noch nicht damit angefangen!“
Nun habe ja nichts gegen Kellerasseln und auch nichts gegen Schnecken. Ich kann die eigentlich ganz gut leiden. Aber so heftig vergrößert und detailverliebt auf meinem Tisch …
Ich habe jetzt erst mal eine Zeitung draufgedeckt. Solche Viecher mögen es ja gern eng und finster.
Wenn die mir aber morgen früh immer noch in die Tastatur scheißen, miete ich mich in einer Bürogemeinschaft ein!

Liebe WordPresser,
ich hatte Euren Rat befolgt und zwecks der widrigen Einstufung meiner Kommentare als Spam den WordPress-Support kontaktiert. Wir verbrachten den Tag mit nettem Hin-und Herschreiben, will sagen: Die androiden Supporter nahmen sich hilfsbereit und ausnehmend fix meiner Unannehmlichkeit an. Binnen Tagesfrist wechselten wir drei freundliche E-Mails.
Die Sache ist nun offiziell als „geklärt“ eingestuft und die Essenz und den good Advice aus der finalen Abschlussklärung letzte Nacht will ich Euch nicht vorenthalten!
Mit meinen Softwareeinstellungen sei alles in Ordnung – ich benutze mittlerweile auch das aktuelle Update.
Man könne sich die nahezu flächige Einstufung meiner Kommentare als Spam nur so erklären, dass …
Na, seid Ihr schon gespannt? 🙂
… wo war ich denn jetzt? Ich habe irgendwie den Faden verloren … Ist ja heute auch mächtig heiß draußen und Mückenstiche habe ich letzte Nacht auch ein paar hinzubekommen. Mann, juckt mir das heute am Hals!
Ah, beim Hals fällt es mir auch wieder ein! Ich wollte verraten, was ich aus des Androiden Sicht falsch mache 🙂
Der schreibt: Ich würde zu viel kommentieren!
Jawohl, ich soll ein bisschen weniger hier herrumschwätzen!
Aufs Lesen hin beschlich mich der Verdacht, dass ich anstatt mit dem WordPress-Support wohl eher mit einem Strohmann meines aktuellen Projektgebers Mailverkehr gehabt haben könnte …
Also, Leute, jetzt wisst Ihr jedenfalls Bescheid. Ich soll nicht labern, ich soll strebsam arbeiten!
In diesem Sinne 😉

(Foto: Georg Teiner)

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger!
Hat Frau Müller-GoodWord eine heftige Bloglesemüdigkeit ergriffen?
Oder ist die heitere Dame beschäftigt; hat sie keine Lust – oder ist sie gar erkrankt?
Vermisst Ihr ihre Kommentare unter Euren geschätzten Beiträgen?
Dann guckt besser schnell mal rein in Eure Spamfilter!
Und befreit sie dort aus der neuen Form von Cybermobbing, die die hier auf der Spielwiese gerade gegen sie betreiben!
Spam-Filter sind etwas Tolles – aber da gehört sie doch nicht rein!
Falls eine Petition nötig wird: Unterschreibt Ihr dann für ihre Rechte? ❤️
Viele Grüße aus Mülheim,
Eure auf fingertot gesetzte Frau Anke Müller-GoodWord, aus dem stillen Kämmerlein ihrer Zwangsisolation heimlich herausgefunkt 😭

Hi Leute!
heute ist ja Freitag. Klimafreitag! Da will ich auch meinen Senf dazugeben!
Es ist so: Meine Klimabilanz für heute sieht erschreckend aus. Gleich morgens früh um acht hatte ich einen Termin in der City. Jetzt bin ich ja nicht nur ein Cycloholik, ich fahr auch so grundsätzlich nicht mit dem Auto in die Mülheimer Innenstadt! Da verweigere ich mich strikt. Und das nicht erst, seitdem das modern ist. Das Warum ist ganz einfach in einem Satz zusammengefasst: Mülheims Stadtplaner waren entweder besoffen oder aber von Haus aus nicht ganz auf der Höhe, also bildungsseitig. Die Beweggründe für die planerische Misere aus sinnfreien Einbahnstraßen, Dauerbaustellen und sonstigem verkehrsbehinderndem Mist sind auch irrelevant – allein das Ergebnis zählt. Und mit dem verhält es sich jedenfalls so, dass ich mit meinem Fahrrad als Chef über den Ring sause.
Jetzt kommen wir aber mal zum Klimapunkt! Heute Morgen an der frischen Luft: drei Grad und eisiger Wind. Nachdem ich nach einer halben Stunde am Ziel anschnaufte, waren mir die jeweils körperentferntesten Extremitäten zapfig gefroren und auch meine Ohren schmerzten. Nicht schlimm, dachte ich mir, dauert ja sicher ewig, bis ich hier fertig bin.
War aber nix. So schnell wie heute früh habe ich noch nie etwas erledigt! Exakt vierzehn Minuten nach Ankuft stand ich schon wieder – und immer noch zitternd – auf der Straße. Nun bin ich ja Fux und sauste durch den stehenden Berufsverkehr wieder mit Vollgas nach Hause. Bewegt man seine Muckis, entsteht als Abfallprodukt Wärme. Lernt mein Geflügel gerade im Biologieunterricht. Ich trete also kräftig rein – so kräftig, dass der Wind luftig durch mein Businessjäckchen durchpfeift, als wär ich drunter nackert.
Als ich hier oben auf meinem Berg rücklangte, war ich doppelt schockgefroren und die Kältestarre reichte nun bis zu meinen Ellenbogen und bis zu meinen Knien rauf.
Das Ganze ist mittlerweile zwei Stunden her. Seitdem mache ich mir in der Mikrowelle ein Kirschkernkissen nach dem anderen heiß. Ich habe auch schon zwei Liter kochendheißen Tee inhalliert, die Kaffeemaschine auf Dauerbetrieb eingestellt und die Heizung hochgedreht. Allein es bessert sich nichts. Ich sitze hier, ich zittere und schlottere und versuche mich nun mit Euch warm zu schreiben.
Jetzt krieg ich auch noch Hals, so ein Mist! Ich werd bestimmt krank …
Und das wird erst mal schlecht für die Volkswirtschaft!
Frohen Klimafreitag, Leute!

Vor vierzehn Tagen hatte ich in Ihnen ja das Bedürfnis erweckt, zu erfahren, was auf dem Gedenkstein gemeißelt steht, der mir im Schuppen abhandenkam. Kurz zur Erinnerung: Es dreht sich um ein Monument, das an die Opfer des Orkans aus dem Winter 2018 erinnert. Ich habe den Gedenkstein von Spinnenweben und Staub befreit, die Buchstaben mit einer frischen Schicht Blattgold aufpoliert – doch lesen Sie selbst!
Sie erinnern sich bestimmt alle noch an Friedericke. Das war die blöde Kuh, die hier letzten Winter mit beiden Backen voll Druckluft durchgeblasen ist. Nachdem ich damals blauäugig festgestellt hatte, dass innerhalb meines Gartenzaunes alles in Ordnung war – drangen nach und nach immer mehr Schäden aus der Umwelt in meine heile Bewusstseinswelt. Von einem Baum nach dem anderen erfuhr ich, dass er – Gott hab ihn selig – das Zeitliche gesegnet hatte. Es konnten einem die Tränen kommen, ich liebe Bäume.
Was mich persönlich am betroffensten machte, war aber nicht irgend ein Baum, sondern der meiner Aussicht vom Schreibtisch aus: Eine stolze Blautanne, ein Leuchtturm von einem Baum und bevölkert mit einer ganzen Stadt voller Viecher: Elstern balgten sich lauthals mit Krähen, Eichhörnchen sausten den Stamm rauf und runter und machten mit ihren Puschelschwänzen Großreine und Amseln ließen sich im Wipfel zum Jodeln nieder. Am Abend, aber auch wenn der Morgen graute, also mitten in der Nacht. Überhaupt hüpften und flatterten sämtliche Singvögel, die die heimische Faune zu bieten hat, im Baum herum und zwitscherten. Jedes Jahr wuchsen in etlichen Nestern mehrere Sorten Vöglein heran und auch sonstiges Flattergetier, angefangen bei Schmetterlingen, über Bienen und Käfern, war da zu Hause. Ich hatte ein ganzes fröhlich ausgelassenes Dorf vorm Fenster.
Nun hatte die dumme Sturmnuss Rike die Tanne aber nicht tatsächlich gefällt, sondern nur kräftig aus den Schuhen gehoben. Dem Baum hat das nicht gefallen und er stand danach schräg. Noch eine richtig heftige Böe hätte gereicht und er wäre zu mir herein gekommen. Bei aller Liebe – das wäre nun auch nichts gewesen.
Die Besitzer der Tanne konsultierten also einen Gärtner; der ordnete sofortige Fällung an. Aus ‚Sofort‘ wurden ein paar Wochen, das lag an den Genehmigungen. Eile war aber von bürokratischer Seite trotzdem geboten, denn egal wie wackelig der Riesenweihnachtsbaum nun stand und wie gefährlich er sich zu mir herüber über die Straße beugte: nach offiziellem Start der Vogelbrutsaison ist Fällen verboten. Für die Nicht-Vogelfreunde und die Nicht-Gartenzwerge unter uns: Am 1.März beginnt das gefiederte Eierhocken.
Der Februar-Monatsletzte rückte immer näher und Petrus schaltete Frühlingsstimmung ein. Bestimmt auch damit die Vogeln in Kürze was zum Draufhocken hatten. Menschlein beeinflusst solches grelles Dauergefunzel vom blauen Himmel auch, die einen fühlen sich sexuell stimuliert, die anderen werden wegen dem Frühjahrsputz unruhig. So genau weiß ich das nicht. Ich hatte deswegen an eine Umfrage am Ende des Beitrags gedacht, aber der ist eh schon lang genug.
Mir missfiel nun jedenfalls, dass mein Schlitten nach dem langen Winter so dreckig eingeschweinst vor der Tür stand. Ehe ich ein halbes Vermögen in Spülen-Schäumen-Bürschteln-nochmalSpülen-Trockenföhnen-und-MehrereSchichtenHochglanzwienern investierte, checkte ich meine Wetter-App. Die gab mir grünes Licht: Eine furztrockene Woche Sonnenschein lag vor Mülheim.
Und wo ich mich einmal beim Erlebniswaschen aufhielt, putzte ich den Wagen auch gleich noch von innen und saugte ihn aus. In Summe war ich mehr als eine Stunden beschäftigt, dafür funkelte der Wagen danach aber auch wie frisch vom Band.
Mein Mann war beeindruckt, als ich daheim vorfuhr.
Von meinem Erfolg angespornt beschloss ich, auch gleich noch die Straße und ums Haus herum zu fegen. Das mache ich auch selten, denn das dauert lange. Deswegen checke ich auch vorm Fegen grundsätzlich meine WetterApp: Ist Sturm angekündigt, spare ich mir das, weil da schaut es hinterher aus wie vorher.
Und schließlich, wo ich jetzt einmal so in meinen Putzwahn eingetaucht war und mich so in Übung geschrubbt hatte, cleante ich in der einfallenden Dämmerung auch noch die Fenster. Um die kümmere ich mich noch seltener als um Auto und Straße.
Jetzt hatte ich aber echt genug Aktionismus gezeigt, das reichte fürs nächste Jahr. Erschöpft fiel ich kurz vor Mitternacht in mein Kissen und verbrachte eine tiefe, traumlose Erholungsnacht.
Als ich am nächsten Morgen aufstand und die Rollos hochzog, freute ich mich an meinem blitzenden Hochglanzschlitten, meiner wie geleckt ausschauenden Straße und vor allem an meinen funkelnden, wie nicht vorhanden durchsichtigen Fensterscheiben. Einfach herrlich sauber war alles um mich herum! Ich startete voll bester Laune in den Morgen und nahm mir vor: Künftig mache ich das öfter! (So wie jedes Mal halt)
Beschwingt packte ich meine Tasche und machte mich auf den Weg zu einem kurzen Termin. Als ich den Wagen ausparkte, rückten gegenüber die Gärtner an. Meine gute Laune bekam augenblicklich einen Knacks: Die unschuldige Tanne, Sie wissen schon. Als ich nach einer Weile zurück kam, war der Gefahrenbereich mit Flatterband und Hütchen abgesperrt und sämtliche Vorbereitungen getroffen. Ich wollte bloß schnell ins Haus verschwinden, um die Hinrichtung nicht miterleben zu müssen! Zuerst parkte ich den Wagen wie gewohnt vor der Tür – doch dann überlegte ich es mir anders: Falls was schief liefe, wäre es schade drum. Also fuhr ich ein paar Häuser weiter die Straße rauf, wo eben Platz war.
Die Motorsäge heulte auf und ich versuchte, mir die Ohren zuzuhalten, während ich den Schlüssel im Haustürschloss drehte. Eben noch rechtzeitig schaffte ich es rein, denn als ich gerade die Kaffeemaschine an drückte, krachte es draußen zum ersten Mal. Die Gründaumen-Henker folterten den Baum untenherum und säbelten die starken Äste weg. Für Leute mit zarten Seelen ist das echt Quälerei. Auch die Kaffeemaschine schien das Vorgehen zu entrüsten, denn sie schredderte die Bohnen heute besonders laut. Und sogar das Wetter protestierte: Es schickte starken Wind. Der beutelte Baum und Gartenzwerge und wirbelte die Sägespäne in einem Strudel herum.
So ging das draußen ein paar Stunden. Wütend und böse zerfetzte die Motorsäge das jahrzehntelang friedlich gewachsenen Holz. Nach jedem Teilerfolge krachte es und die Erde bebte. Der benzinbetriebene Folterknecht riss von unten nach oben die Äste ab und köpfte den Stamm dann von der Spitze her stückweise ein. In einem heftigen Proteststurm von allen Seiten wohlgemerkt. .
Gegen Mittag war das Massaker beendet. Meine Tanne war Geschichte und die Folterjungs räumten auf. Sie hatten keinen Schredder dabei, sondern luden die Zweige und die portionierten Stammstücke auf einem Anhänger. Der Sturm schien mithelfen zu wollen, denn er legte an Stärke zu und kehrte den ganzen Schmodder bestehend aus Spänen, Nadeln und abgerissenem Efeu rüber auf mein frischgeputztes Anwesen. Dort blieb das Zeug als Mahnung in sämtlichen Ritzen und Vorsprüngen kleben.
Als schließlich alle Nadelgebeine verladen und der Anhänger abgefahren war, kam einer der Grünen mit einer großen Tonne unterm Arm zurück und einer Schaufel. Aha, dachte ich, der macht jetzt anständig sauber. Ohne Besen? In dem Moment stellte der Typ den Eimer ab und zog einen dieser Hochleistungslaubbläser heraus, so einen, mit dem öffentliche Wege gefegt werden. Der Kerl schaltete das Ding an – da blieb mir vor Schreck fast das Herz stehen!
Denn als er das brüllende Gerät auf die Erde richtete, verschwand er augenblicklich in einer undurchsichtigen Wolke aus Staub und sonstigen seltenen Erden!
Weil der Wind unvermittelt stark aus Süden fauchte, verschluckte die Dreckwolke mein ganzes frischgeputztes Haus gleich mit!
Mein Puls raste, mir schwoll der Kamm!
Was macht man da?
Man atmet tief in den Bauch, meditieren nennt sich das.
Als der Kerl endlich fertig war und der Wind mir den Rest von dem Mist gegen die Fenster gekotzt hatte, konnte man kaum noch rausgucken. Sie waren jetzt noch dreckiger als gestern. Ein Glück, dass ich wenigstens den Wagen weggestellt hatte.
Kurz darauf musste ich zum nächsten Termin. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten es ruhig noch ein paar mehr sein können, denn ich wollte nicht zurück nach Hause. Irgendwann rollte ich wieder daheim ein. Der Wind war immer noch sauer, ich konnte ihn verstehen, mir passte die neue baumfreie Aussicht auch nicht. Ich parkte also genau gegenüber meiner ehemals geliebten Tanne, öffnete die Autotür – da muss der Wind sich die Sache noch mal durch den Kopf gehen lassen haben haben, denn er kriegte jetzt einen richtigen Anfall! Ich war gerade ausgestiegen, die Tür stand sperrangelweit offen: Da wirbelte eine dermaßene Böe, die strudelte so viele Sägespäne mit sich, wie vorhin der Grüne mit dem Blasinstrument. Geistesgegenwärtig schmiss ich zwar die Tür zu – doch es war zu spät. Mein schwarzes stäubchenfreies Hochglanzschiff sah innerlich aus, als beherberge es eine mit Aufträgen zugeschissene Schreinerei. Sämtliche Oberflächen, alle schwarzen Teppichauslegungen mit Sägespänen paniert. Haben Sie schon mal Sägespäne aus Kurzfloor gepult? Ich befürchtete echt, ich würde gleich durchdrehen!
Stocksauer sprang ich erneut auf den Fahrersitz, drückte wutentbrannt auf Zündung und katapultierte das Gespann wieder die paar Häuser weiter nach oben in Sicherheit. Das lohnte sich, weil außenherum ging es noch.
Nach der Aktion beruhigte sich der Wind und zog weiter, sicher um woanders für Stimmung zu sorgen. Ich hingegen besah mir das Übel ums straßenseitige Anwesen. Und weil wieder die Sonne schien und ich, wenn ich ärgerlich bin, sowieso nichts Gescheites aufs Papier bringe, begann wieder zu putzen. Erst die Straße und die Einfahrt, dann ums Haus herum und zum Schluss, in der hereinbrechenden Dunkelheit: die Fenster. Meine Laune hatte sich zusehends gebessert und ich beschloss, den Tag zu streichen und mich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
So, liebe Leute, eigentlich ist die Geschichte jetzt zu Ende. Gibt nichts mehr zu erzählen. Denkt Ihr doch auch, oder?
Von wegen!
Am nächsten Morgen saß ich schon eine Weile am Schreibtisch, da rückten draußen irgendwelche Bauarbeiter an. Es hörte sich an, als würde ein Gerüst aufgebaut werden. Nun ist es aber so, dass ich zum Einen nicht neugierig bin und zum Anderen seit gestern eh nicht gerne aus dem Fenster schaue, weil mich alles zu sehr an meinen Freund, den Baum, erinnert. Ich ignorierte also den Lärm – Was sollte schon sein? – und arbeitete weiter. Auch als es draußen rumpelte, dachte ich nicht darüber nach. Beim Gerüstaufbau fällt schon mal was runter. Ich tippte weiter in meine Tastatur, draußen klapperte es weiter. Doch irgendwann glaubte ich plötzlich, eine Handsäge zu hören. Das alarmierte mich! Ich sprang auf und guckte aus dem Fenster: Da waren meine neuen Freunde, die Gärtner, wieder da und stutzten gegenüber einen anderen Baum ein! Der Wind hatte sich auch wieder dazugesellt – und mein vorgestern frischgewienerter Schlitten war nun endlich außenherum mit Sägespänen paniert wie ein Wiener Schnitzel.
Verdammt noch mal!
So, aber jetzt kommt es!
Die Gartenzwerge beendeten ihre Pflegearbeiten, verluden alles Grünzeug auf den Anhänger und fuhren ab – doch nach fünf Metern hielt die Gärtnerkutsche plötzlich wieder an. Die Beifahrertür öffnete sich: Der Kerl und die Tonne stiegen aus. Nicht schon wieder! Ich konnte mich nicht mehr rühren. In Slow-Motion verfolgte ich, wie der Typ den Hochleistungsbläser herauszog. In dem Moment, und noch ehe er den Einschalter drückte, setzte setzte bei mir das Herz aus.
Als ich wieder zu mir kam, waren meine Fensterscheiben ziemlich undurchsichtig. Und das Auto stand jetzt inkognito unterm Fenster: Mausgrau mit blonden Sägespan-Pocken.
Das eine sage ich Euch: Sollte sich noch einer unterstehen, hier in nächster Zeit mit der Motorsäge anzurücken: Den erschieße ich auf der Stelle!

Hi Leute!
Erinnert Ihr Euch alle noch an Friedericke, den verdammten Sturm, der uns letzten Winter heimsuchte? Am 19. Januar 2018 war es, als die dumme Nuss sich auf unsere Umwelt stürzte und Kahlschlag versuchte.
Jetzt hatte ich Euch damals ja meine Erlebnisse geschildertund Ihr erinnert Euch sicher: Ich war gut davongekommen. Lediglich bis in meinem Schlafzimmer war es der Tusse gelungen, vorzudringen.
Im Nachhinein hat sich dann aber herausgestellt, dass die hier oben von unserem Berg doch nicht so schadlos abgelassen hat, wie zuerst gedacht. Die wunderschöne, riesengroße Fichte vor meinem Fenster, der direkte Blick von meinem Schreibtisch, der Schattenspender für mein Haus – vor allem aber der Lebensraum von zig Eichhörnchen, Krähen, Elstern, Amseln und sonstigem Flatter-, Krabbel- und Kleinviehzeug, das die heimisch Fauna zu bieten hat, hatte einen weggekriegt.
Wenn so ein Riesenbaum nach Sturmangriff nicht mehr standfest wurzelt und halbschräg in den Himmel ragt … – na, Ihr könnt euch das ja denken.
Das weitere Geschehene hat mich jedenfalls ganz schön mitgenommen und ich habe es in einen Gedenkstein gemeißelt. Wie das jetzt genau passieren konnte, dass der mir dann entfallen ist, weiß ich heute auch nicht mehr – aber wenigstens habe ich ihn nicht auf den Fuß gekriegt.
Nun ist der mehrseitige Grabstein dank eines glücklichen Umstands – ich habe nämlich aufgeräumt – wieder aufgetaucht! Ihn wegen mangelnder Aktualität irgendwo im Schuppen vergammeln zu lassen, bringe ich nicht übers Herz. Schon allein der treuen Fichte wegen!
Wie schaut es denn aus, Leute? Wollt Ihr wissen, was drauf steht?
Mein Freund der Baum

Kennen Sie das, dass Sie während Ihrer Alltagsroutine dermaßen in Gedanken versumpfen, dass sie wie weggetreten sind?
So was ist mir gestern passiert, beim wöchentlichen Großeinkauf.
Trotz gedanklicher Abwesenheit befüllte ich meinen Einkaufswagen mit den üblichen VerzehrBasics – ich mache das seit zig Jahren, ich kann das im Schlaf. Bananen, Gurke, Milch, Joghurts … Wie ich noch beim Käse herumsuchte, fiel mir plötzlich ein, dass Geflügel am Wochenende in der Schule übernachten würde und mir sausten Salzstangen durch den Kopf. Was zum Knabbern und trotzdem keinen Karies-Schock über Nacht – ich war stolz auf meine Idee!
Also machte machte ich mit meinem Wagen auf dem Absatz kehrt und suchte zielsicher die Knabbereien am anderen Ende des Ladens auf, wenngleich solches Mäandern auch uneffektiv ist, Unterwegs tauchte ich anscheinend wieder mariannengrabentief weg, denn hier fehlt mir jetzt ein Stück. Erst bei den Eiern wurde ich wieder wach, wohl deshalb, weil man zum Eierkauf Konzentration benötigt: Karton auswählen, öffnen, reingucken: Sind die Eier alle heil?
Wie ich den dritten Pappmascheekarton eben zufrieden im Wagen abstellte, wunderte ich mich, wieso da noch so viel Platz drin war. Kleinstierstreu, Holzpellets, Teewurst – Wollte mich da einer verarschen? Was sollte ich denn damit??
Ich schaute mich um! Es sprang aber niemand wiehernd hinter einem Regal hervor, es haute mir auch keiner auf die Schultern – ergo musste ich den Wagen wohl selbst hier hergekarrt haben.
Aber wo war denn jetzt mein Wagen? Den hatte ich doch nicht zum Spaß befüllt!
Rechtzeitig, bevor ich begann, mir die Haare zu raufen, fiel mir meine unterbrochene Käsesuche ein und ich machte mich mit dem Päckchen Salzstangen und den Eiern auf den Weg. Vorm Käse wartete auch tatsächlich ein randvoller, herrenloser Einkaufswagen. Allerdings war er nicht allein, denn eine aufgebrachte Damen wuselte um ihn herum. Sie guckte hektisch rechts und links, schaute hinter die Butterberge, beugte sich unter die Wursttheke …
Also, mit Verlaub! Ich hatte den Wagen nur geklaut! Kleingeschrumpft hatte ich ihn nicht! Wie, in drei Teufels Namen, soll der sich denn in die Kühltheke gezwängt haben? Jedenfalls schüttelte mich eine dermaßene Kicherattacke, dass ich nach einer Holzpalette Ausschau hielt. Ich musste mich dringend setzen, Frauen kennen das.
Das wäre auch alles unauffällig vonstatten gegangen, wenn die gute Frau ihren Suchradius nicht in meine Richtung ausgedehnt hätte. „Wo ist denn nur mein Wagen …?“, kam sie murmelnd auf mich zu. Sie entdeckte mich, holte tief Luft – gleich würde sie mich ansprechen. Hilfe! Eilig blinkte ich links und bog zur Schokolade ab.
Wissen Sie, der Moment war einfach vorbei, wo ich noch hätte erklären könne, was geschehen war.
Weil die Dame jetzt aber wie ein aufgescheuchtes Huhn durch die Gänge flatterte, wurde mir die Sache zu heiß und ich brach meinen Einkauferei auf der Stelle ab. Die Dame war größer als ich, sie war auch deutlich kräftiger – kurz: Ich fürchtete mich. Mir fehlte noch ein Töpfchen Speiseeis; woran es sonst noch mangelte, würde mir daheim schon wieder einfallen. Nix wie raus hier!
Ich wähnte mich schon in Sicherheit, denn als ich mich an der Kasse anstellte, startete die Damen noch zu einem erweiterten Suchflug durch die Backwaren. Leider waren die Wägen der Kunder vor mir ähnlich voll dem meinen und die Kassiererin obendrein recht langsam. Sie war wohl neu.
So kam es, dass sich die Dame – nach dem erfolglosem Abstecher zu den Kaiserbrötchen – hinter mir anstellte.
Ey, augenblicklich sauste mir der Puls in die Höhe!
Abwechselnd durchschossen mich heiße und kalte Schauer.
Hysterisches Kichern wechselte mit frostiger Angstkälte.
Irgendwie war ich mit den Nerven ziemlich runter – wird Zeit, dass Wochenende wird!
Ich vermied tunlichst, den Blick aus meinen Einkaufswagen zu heben und besann mich auf eine verhaltensgestörte Rolle.
Nach einer dreiviertelen Ewigkeit war ich endlich per drei Kreuze auf dem Kassenzettel entlassen und trat an die frische Luft. Geschafft! Mit dem Leben davongekommen!
Ich atmete tief durch und wendete mich zu meinem Fahrrad.
Wie ich so beschwingt unsere Wochenration in meine Radtaschen stapelte und fast versucht war, ein Wanderliedchen zu trällern, sah ich im toten Winkel die voluminöse Damen den Laden verlassen. Mit großen Schritten steuerte sie den Parkplatz an, ein Dreierpack Holzpellets klemmte unter ihrem Arm. Sie schritt mit flatternden Mantelschößen aus, als trüge sie ein Fliegengewicht.
Doch plötzlich stoppte sie ihren Exerzierschritt und marschierte schnurstracks auf mich zu.
Hilfe! Mir setzte fast das Herz aus.
Ich tat, als sähe ich die Dame nicht und packte tiefgebeugt weiter. Eier in die linke Tasche, Zucker rechts rein, man muss das Gewicht gleichmäßig verteilen.
Sie werden es sich denken können: Mein beschäftigter Eindruck half mir nichts. Die Dame baute sich vor mir auf. Völlig zu Recht herrschte sie mich an: „Da brauchen Sie gar nicht so blöd zu grinsen! Wie alt sind Sie eigentlich? Hoffentlich haben Sie keine Kinder!“

Guten Morgen Ihr Lieben,
lasst mich erst einmal herzlich Danke sagen für die vielen großartigen Geburtstagsglückwünsche! Ich habe mich sehr über jeden einzelnen gefreut! ❤
Aber ich weiß, das ist es nicht, was Euch umtreibt! Vielmehr ist es der Kuchen, der mit Fragezeichen demonstriert.
Fraß ihn die Katze – oder wars doch der Fischreiher, der mit den Weihnachtspositionslichtern auch im Dunkeln mitten ins große Fressen fand?
War überhaupt Fischfutter beigemengt?
Oder kamen erneut drei Schimmel angeritten und mischten sich heimlich unter die Möhrchenglasur?
Fragen über Fragen, ich verstehe das. Mir ging es genau so! Weil, soll ich Euch was verraten? In der Hast des Aufbruchs nach Oberhausen hatte ich den Kuchen doch tatsächlich über die Silvesternacht draußen auf dem Gartentisch vergessen! Das ist mir aber erst unterm Friedensengel eingefallen. Da fahr ich nicht extra für heim. Sonst hätte ich vielleicht am Ende noch das Feuerwerk verpasst!
Aber ich habe die besten Nachbarn der Welt, das sage ich Euch! Kein Einziger hat nach hintenraus geknallt. Nicht einer hat seine Rakete in meine Geburtstagtorte gelenkt! Meine Nachbarn sind einfach supertoll!
Kurz nach dem letzten Knall zum neuen Jahr fing es ja dann an zu regnen. Vielleicht war das ganz gut für den Kuchen, denn er wurde richtig schön saftig.
Am Neujahrsmorgen hat mein Geflügel schließlich die finale Schmückung übernommen. Es ist ein Einhornfan, das sieht man deutlich am Zierrat.
Was meint Ihr? Meine Blechbodengeburtstagstorte ist mega gelungen, oder?
Kulinarisch und auch ansonsten schwelgend, weil aus Altersgründen im Urlaub,
Eure Anke GoodWord

Im Prinzip endet mein 2018 nicht ungewöhnlich. Während der Gatte bereits zu seinem Silvestergig nach Oberhausen aufbrach, war ich eilig dabei, meine Geburtstagstorte zu präparieren. Creme aus Sahne und weißer Schokolade schon fertig gemixt, anschließend schälte ich den dreistöckigen Boden von der Stange aus seiner Verpackung – Da trägt der weiße Schimmelpusteln!! 🙀
Wat denn jetzt?? 🙀💩
Ich habe nun also in aller Hast einen braunen Boden gebacken und das Ganze zum Kühlen in den Garten verbracht.
Leute, ich dreh durch, wenn da jetzt noch eine Katze dran geht!
Kommt gut ins neue Jahr, wir lesen uns! 🎆❤️
Krallen weg von meinem Rohling!

Hallo Ihr Lieben,
Seid alle herzlichst aus Mülheim gegrüßt!
Ich bin zur Zeit arg beschäftigt, deswegen vernachlässige ich Euch liebe Bloggercommunity.
Aber heute ist der 1. Advent!
Einen Frohen Euch allen!
Ich trinke jetzt einen Glühwein auf Euch! ❤
Eure Anke Müller-GoodWord

Hi Leute!
Ich bin total besorgt um meine beiden Fische! Lilly und Hektor heißen sie, ich erzählte ja bereits von ihnen. Jeder ist ungefähr so lang und so rund wie ein durchschnittlicher Männerunterschenkel. An den Abmessungen zeigt es sich: Meine beiden Jungs sind fast so alt wie ich. Lasst Euch nicht von Vornamen irritieren, auch Lilly gehört zum starken Geschlecht. Das ist auch ganz einfach erklärt: Nehme wir beispielsweise Andrea und Simone, die würden in Italien schließlich auch keine Röcke tragen. So ist das eben: Andere Teiche, andere Sitten!
Bis hier liest sich doch ganz romantisch, was ist denn nun passiert?
Bis jetzt zum Glück nichts! Aber die Gefahr lauert im Teich! Steht auf zwei Storchenbeine, hat einen grauen Plüschhals und einen scheiße spitzen Schnabel! Das alles gehört zu einem hungrigen Fischreiher.
Bis heute Morgen war ich echt zufrieden, dass der neuerdings den halben Tag bei mir im Garten verbringt. Kämpfen wir doch seit Jahren auch medial gegen eine Schwemme von mehreren Tausend Backfischlein pro Jahr, die alle aus ehemals 18 erwachsenen Goldfischen populierten. Die 18 holte der Fischreiher zwar alle im Verlauf des ersten Winters – doch ihre Nachkommen treiben es lustig. Bereits im zarten Alter von 6 Monaten legen die übrigens los.
Ich finde es also okay, wenn der Reiher bei mir zum Essen erscheint. Ich begrüßte das bisher sogar.
Aber letzte Woche erzählte ich Euch doch von meiner Fischfutter-Superfood-Idee. Da blieb es nicht aus, dass die Fürsorglichen vom personalisierten Alghorytmus hier, mir andere Fischgeschichten als Werbung einblendeten. Solche wo es ebenfalls um Nahrungsbeschaffung ging.
So, und jetzt haltet Euch fest! Da war ein Bild dabei, das hat mir das Blut in den Adern schockgefrieren lassen! Da stand so ein gefiedertes Reihervieh an einem beschaulichen Bachufer – und hatte mit seinem spitzen Schnabel einen Riesenkarpfen aufgespießt! So wie einen Schaschlik, kurz unterhalb der Kiemen. Mir ist fast das Herz stehengeblieben!
Doch nicht genug mit dem sprechenden Bild, die Bildunterschrift lautete: „Keine halbe Minute später war der riesige Fisch im schlanken Reiherhals verschwunden“!
Leute, was mach ich denn jetzt??
Soll ich mit dem Vieh sprechen?
Oder soll ich besser gleich handgreiflich werden?
Was meint Ihr denn?
Gebt mir mal einen Rat!
Zitternd,
Eure Anke Müller

Ich bin im Moment ein bisschen lädiert. Ich bin nämlich zweimal innerhalb einer Woche die Treppe heruntergefallen. Eigentlich war das erst gar nicht so schlimm, aber lassen Sie mich erzählen!
Los ging es an einem warmen Sonntagmorgen vor zwei Wochen. Mein Pubi kam vom Sport und weil er ein Asket ist, kühlte er sich im Garten unter der Gartendusche ab. Nun ist der Knabe ja nicht der Ordentlichste und mittlerweile fror ihn stark. Er sprintete zum Haus, um dem sicheren Erfrierungstod zu entkommen. In der Hast verlor er, genau vor der Terrassentür, seine Schlappen.
Nun trug es sich zu, dass dann zwei Dinge gleichzeitig passierten: Die Waschmaschine piepte und das Telefon schellte. Meine Mutter war dran. Ich nahm den Hörer also mit in den Keller und quatschte mit meiner Mutter. Ich habe vergessen, um was es ging, aber es muss interessant gewesen sein. Denn wie ich mit dem Wäschekorb im Arm und meiner Mutter ans Ohr geklemmt aus der Terrassentür jonglierte, gewahrte ich erst im allerletzten Moment Pubis Treter. Leider hatte ich bereits abgehoben und war schon ein MicoNanoSekündchen lang schwerelos, als ich noch versuchte, Pubis Hinterlassenschaft mit einem Kick meines linken Fußes auszuweichen. Sie werden es sich denken können: Das misslang. Ich stürzte mitsamt des Korbes, der Wäsche und meiner Mutter über unseren eisernen Fußabtreter.
Himmel, tat mir jetzt die Ferse weh!
Die nächsten drei Tage war‘s mit Fahrradfahren schlecht und überhaupt kam ich schlecht in meine Schuhe. Ich trat nur vorsichtig auf und hoffte, dass der Schmerz bald vorbeigehen würde.
Weil ich aber so vorsichtig hatschte, war ich eben auch ein bisschen ungeschickter. Keine Woche drauf dann Folgendes: Ich hatte einen Termin und stand viel früher auf als an einem gewöhnlichen Wochentag. Es war stockfinster, noch nicht mal ein Vöglein zwitscherte. Ohne Licht zu machen schlich ich durchs Treppenhaus, denn ich wollte die anderen nicht wecken. Als ich aus dem Bad kam, fiel mir mein Handy ein. Das lag vergessen auf dem obersten Treppenabsatz.
Ich schob mich sacht wie eine Katze von meinem Podest aus nach oben und ertaste das Mobilding in der Finsternis auch tatsächlich. Weil das alles ein wenig dauerte und ich auch recht müde war, brachte ich wohl gedanklich die zurückgelegte Strecke durcheinander. Ich war mir sicher, ich hätte nur eine Stufe erklommen. Schwang mich also mit meiner Kommunikationsbeute nach hinten, um wieder auf dem Podest zu landen – und fiel ins Leere.
Ey, Leute, könnt Ihr Euch vorstellen, wie das gepoltert hat? Danach waren die bei mir im Haus jedenfalls alle wach – und die aus dem Nachbarhaus gleich mit.
Ich hab mich knapp bei meinen Mitbewohnern entschuldigt und geknurrt, sie sollen weiterschlafen. Nach einer Weile hörten die Englein auf, mir einen vorzusingen und der Schmerz in meinem Fuß ließ deutlich nach. Es fühlte sich nur noch an, als sei mir die Haut unter der kleinen Zehe aufgerissen. Ging also.
Ich verbrachte drei echt stressige Arbeitstage. Da blieb keine Zeit, mir die Blessur einmal eingehend zu betrachten.
Warum auch? Meine kleine Zehe war dick und blau und überhaupt war das ganze Ding bunt, als sei ich beim Malern versehentlich in den Farbeimer getreten. Blaue Flecken dauern halt, bis sie abreifen.
Nach den drei Tagen schwang ich mich vorvorgestern erst einmal zur Erholung aufs Fahrrad! Meine kleine Zehe muckerte und gegen Ende meiner Runde schmerzte mir der Mittelfuß. Beim Duschen fiel mir auf, dass die Sache ganz schön fett angeschwollen war. Aber ich bin ja kein Weichei. Abtrocknen, anziehen, fertig.
Vorgestern wieder das Gleiche: Ich zog mein Bike aus der Garage. Die Sonne schien gar zu schön und bald pausiere ich wetterbedingt sowieso. Also hurtig die Zeit genutzt!
Dieses Mal schmerzte der Fuß schon bevor ich den Wald erreichte. Und der Mittelfuß kniff bereits heftig kurz vor jedem huckeligen Wegstück.
Duschen, gleiches Spiel: Fett – aber dafür war jetzt die blaue Farbe verschwunden. Erinnerte jetzt in Form und Coleur an eine bayerische Weißwurst. Oder zwei, weil die Ringfingerzehe sah nun auch so aus.
Am Abend erzählte ich meinem Mann davon.
„Bist du denn verrückt?“, regte der sich auf. „Schluss jetzt mit der Fahrradfahrerei! Lass das erst mal ausheilen!“
Ich versprach‘s, doch gestern Nachmittag schien ja wieder die Sonne! Solchem Wetter kann ich einfach nicht widerstehen! Fuß hat scheiße geschmerzt – ich habe die Runde aber trotzdem genossen. Daheim heizte ich fix und unauffällig mit dem Bike in der Garage, damit mein Mann es nicht entdeckte.
Kurz nach mir erreichte mein Mann den Hof. „Na, warst du heute Fahrradfahren?“
„Nein. Du hast es doch verboten.“
„Und was machen dann deine Radschuhe vor der Tür?“
Scheiße, hatte ich Depp die übersehen.
Gerade eben war ich zufällig in der Garage. Ich wollte vom Fischfuttervorrat reinholen, Sie wissen ja, koche ich ja neuerdings zum Mittag. Was musste ich da entdecken?
Meine sämtlichen Fahrräder alle mit einer langen Kette zusammengeschlossen und verschnürt!
Was mache ich denn heute Nachmittag?
Hat einer von Ihnen ein Fahrrad für mich?

.
Doch was sollte ich jetzt mit den nach altem Fisch stinkenen Hupfdingern machen? Sollte ich die etwa einzeln aus den Moosfugen pfriemeln? Alle?
Ich guckte mich unauffällig um und scannte die Hausfassade ab. Es stand niemand am Fenster – und so entschied ich: mich unauffällig zu verdrücken. Das Rollbrett aus Tiernahrung würde schon irgendwie wieder verschwinden.
Kaum war ich mir meiner Ich-hab-nichts-gemacht!-Strategie sicher, raschelte es hinter mir heftig im Gebüsch. Hilfe, nix wie weg hier!
Mit pochendem Herzen sauste ich zurück zum Haus und haute die Terrassentüre hinter mir ins Schloss. Erst dann drehte ich mich um.
Also, Leute, wisst Ihr was?
Da bin ich doch echt vor zwei Igeln abgehauen!
Die beiden ärschelten aufgeregt in meinem Futter-Malheur herum und schmatzten so laut, dass ich das durch die geschlossene Türe hören konnte. Eindeutig, den Jungs schmeckte es. Als sie sich nach einer Stunde wieder trollten, ging ich die Sache überprüfen: Alle Hupfdinger ratzekahl weggefressen!
Ich erzählte meiner Freundin Carmen davon.
„Nicht nur Igel mögen dein Fischfutter“, informierte sie mich. „Meine Hunde fressen das auch gerne. Die drehen total durch, wenn sie es entdecken.“
Nun gehen wir ja im Moment straff auf den Winter zu. Gestern Abend saß ich deshalb mit meinem Mann noch auf einen Absacker im Garten. Ich wollte eine Falsche Glühwein köpfen, aber mein Mann fand das unpassend. Plötzlich raschelte es hinter uns im Gebüsch! Mein Mann horchte auf, doch ich winkte ab: „Das sind bloß die Igel.“
Ich hatte es kaum ausgesprochen, da kamen die zwei Stachellinge auch schon aus dem Efeu herausgewatschelt.
„Bisschen wenig Speck dran …“ Mein Mann betrachtete sie.
Und er hatte wirklich recht, so richtig winterratzrundgefressen waren die nicht!
„Ich hol das Fischfutter!“
Wir kippten den Igelbrüdern also eine Ladung gepresster Fischkadaver aufs Pflaster und verzogen uns ins Haus, damit sie zum Mahl ihre Ruhe hätten.
Doch kaum hatten wir die Tür hinter uns geschlossen, fegten plötzlich drei schwarze Schatten über die Terrasse. In der Dämmerung vermutete ich zuerst, das seien Fledermäuse – doch dann kamen die Blitze unvermittelt überm Fischfutter zum Stehen. Die Igel gaben augenblicklich Fersengeld und drei Katzen materialisierten sich. Zwei schwarze und eine graue. Die Gebeamten stürzten sich sofort und wie die Verrückten auf das Fischfutter. Gut, dass die Igel abgehauen waren, sonst hätten die Bartputzer die bestimmt gleich mitgefressen!
Fassen wir den Sachverhalt nun zusammen:
– Fische lieben Fischfutter
– Igel schlagen sich glücklich den Wanst damit voll
– Katzen überfressen sich daran
– Hunde drehen durch und vergessen die gute Erziehung, wenn Fischfutter aufgerufen wird
Bei Fischfutter muss es sich wirklich um eine Delikatesse handeln!
Ich glaub, ich probier das morgen auch mal …

Not only for fish: Superfood entdeckt!

Letzte Woche war es doch saumäßig kalt. Können Sie sich erinnern? Mir ist da ein Ding passiert – Liebe Leute, ich bin echt blöd! Lassen Sie sich erzählen!
Wissen Sie alle, was Frostbeulen sind?
Wenn die Haut gefrostet wird, entstehen Beulen; wie der Name halt schon sagt. Früher dachte ich immer, Frostbeulen seien so was wie ein Schimpfwort. Genau wie man in meiner Jugend Krätze als abfällige Bemerkung verwendete. Zumindest tat man das da, wo ich herkomme. Ich kannte halt früher keinen, der jemals an einem von beidem krankte. Zeiten ändern sich, gerade stand es in der Presse: In Mülheim aktuell 91 Fälle von Krätze. Aber lassen wir den Strang mal fahren, hier geht es bloß um Frostbeulen!
Ausgerechnet in diesem Winter habe ich mir den Mist nämlich gleich zweimal zugezogen! Könnt Ihr Euch noch an den Schneesturm eines Sonntags im letzten Dezember erinnern? Nach nur zwei Stunden fanden wir uns in Mülheim unvermittelt in einem hochverschneiten Wintermärchen wieder. In den Alpen schneit es einen Dreck dagegen!
Nun wohne ich lange genug hier in unserem beschaulichen Kohlenpott, um zu wissen: Sobald Schnee fällt: Nix wie sofort raus in die weiße Pracht! Wenn man bis nach dem Mittagessen wartet, ist die eh schon wieder weggetaut.
So auch an jenem Sonntag: Kurz nach zehn, mitten im fettesten Schneetreiben, machte ich mich mit meinen Mannen auf den Weg in den Wald: Der Schlittenberg war unser Ziel. Normalerweise hätten wir das Auto genommen, denn man stapft bei hohem Schnee schon um die 25 Minuten dort hin, doch die Pferdekutsche war so hoch zugeschneit: Mein Mann hätte sie erst freischaufeln müssen. Den anderen Wagen hätte er auch nur mit Mühe aus seinem behüteten Kellerstellplatz bekommen – gingen wir also zu Fuß. Das war auch besser fürs Klima.
Sie lesen es: So weit war der Ausflug durchdacht!
Jetzt hatten wir aber, wie schon erwähnt, etliche Jahre im Pott keinen Schnee gehabt – die drei kurzen Federschäuerchen zähle ich nicht mit – und außerdem kam das viele schöne Schneeweiß ja unangekündigt bei uns an. Will sagen: Hätte ich mehr Zeit gehabt, mich auf Mülheimer Schneeverwehungen und Wintermärchen einzustellen, hätte ich vermutlich am Morgen nicht meine beige Sommerhose angezogen, sondern was Dickeres von weiter hinten aus im Schrank gewählt. Hatte ich aber nicht.
Wir fuhren also ein paar Runden Schlitten. Indes zog es mir immer frischer um die Beine herum. Nach vielleicht vier Abfahrten sagte ich deswegen zu meinen Leuten: „Jungs und Mädel, die Mutter wandert schon mal heimwärts, die friert.“
Mein Mann schien sich auch zu dünn eingekleidet zu haben, denn er schloss sich mir erfreut an. Außerdem dürstete ihn nach einem Kaffee, schließlich war ja Wochenende. Couch flätzen, Füße hochlegen, dampfender Kaffee, ganz frischer Kuchen und ein Loch ins Kaminfeuer stieren: Sie kennen das.
Wir Alten machten uns also auf den Heimweg. Nachdem wir den Wald verlassen hatten, kämpften wir uns schutzlos durch den Schneesturm. Der tobte von vorn und fatschte mir im Senkrechtflug kiloweise Neuschnee gegen meine Sommerhose. Die Flocken waren riesengroß und entsprechend nass, und wir wissen alle vom Phsyikunterricht aus der Schule und vom Strandurlaub, wie sich das mit nasser Körperoberflache bei Wind verhält: Man friert. Bei Sturm friert man entsprechend heftiger und wenn es noch dazu eh schon saukalt ist: Schockgefriert man quasi wie Petersilie. Wäre ich jünger gewesen und nicht so abgeklärt: Ich hätte laut gejammert!
Nachdem ich also unterwegs halb verstarb, erreichten wir irgendwann mit letzter Kraft unsere Hütte. Drinnen war es mollig warm und schön trocken. Ich wollte mich eben steifgefroren und erleichtert meiner nassen Kleidung entledigen, als meine Oberschenkel mit einem Mal fürchtlich anfingen zu jucken. Sie juckten und sie brannten, sie waren feuerrot und glühten – es fühlte sich an, als wäre ich in einen Ameisenhaufen gefallen. Ich kratzte und kratzte und konnte mehr als eine Stunde lang gar nicht mehr damit aufhören. Irgendwann wurde es besser.
Den Rest des Sonntags verbrachte ich eingerollt in einer Decke auf dem Sofa. Sie brauchen nicht mit mir zu schimpfen, ich weiß es selber: Beim nächsten Mal ziehe ich mehr an!
Am Montagabend erzählte mir mein Mann eine Geschichte, die mich emotional so mitnahm, dass ich mich erst einmal hinsetzte und meinen Kopf in die Hände schloss. Wie ich dazu eben meine Ellbogen auf die Oberschenkel aufstützte, durchfuhr mich in beiden ein heftiger Schmerz. Aua! Wat war dat denn??
Ich zog meine Bux herunter um nachzuschauen – da waren meine beiden Oberschenkel blitzblau und heftig angegeschwollen! Ich sah an den Beinen aus, als hätte ich mit meinem Mann eine Meinungsverschiedenheit ausgetragen und dabei den Kürzeren gezogen. Oder als wäre ich, ungeschickt wie ich bin, mit meinem Pubertikel beim Boxtraining gewesen. Den zweiten Vergleich erwähne ich nur, nicht dass noch einer meint, mir ginge es daheim schlecht.
„Schau dir das an!!“, sagte ich entsetzt zu meinem Mann. „Was sind das für dunkelblaue Dinger??“
Mein Mann war auch erschrocken. „Ich glaube, das sind Frostbeulen.“ Zur Sicherheit guckte er aber noch mal im Internet nach: tatsächlich. Die dicken Veilchen würden ungefähr vier Wochen bleiben, las er mir vor. Neben den Schmerzen würden sie auch fürchterlich jucken. Man soll auf keinen Fall kratzen! (Dämliche Klugscheißer!)
Irgendwann verschwanden die hässlichen Beulen sang und klanglos, ich hatte sie auch gänzlich wieder vergessen. Bis zum letzten Wochenende. Zu meiner Ehrenrettung sei darauf verwiesen, dass wir hier im Pott nicht nur keinen Schnee kennen – um richtig knackige Kälte steht es bei uns ebenso mager.
Jetzt bin ich ja ein Fahrradfanatiker, ich erzählte es bereits. Mittlerweile schulte ich altersbedingt auf Schönwettersportler um, zumindest wenn es um nasses Gelände geht. Mit meinem Sportrad ohne Schutzblech heize ich nur noch los, wenn die Sonne scheint. Und es wird noch besser: Seit diesem Winter lasse ich es bis zum Frühjahr gleich im Stall stehen und nehme stattdessen das Citybike. Wenn ich mich zu einer Runde aufmache, muss ich dann nicht erst die Kleidung wechseln, denn mit einem Damenrad fährt man nun mal gemütlicher. Außerdem: Ein im Wind flatternder Wollschal auf einem Mountainbike: Das sieht schon scheiße aus.
Aber kommen wir mal zum letzten Wochenende zurück. Mir wäre es ja eigentlich eh zu kalt für einen Ausritt gewesen, doch mein Mann nötigte mich. „Komm, fahr eine Runde mit dem Fahrrad, dann bist du ausgeglichener“, meinte er mütterlich, als ich wohl ein wenig herumgezickt hatte.
Konnte ja nicht schaden, dachte ich mir und machte mich auf den Weg zu meiner ‚Kleine Winterrunde‘. Die geht über knapp 30 Minuten und beinhaltet zwei schöne Steigungen. Kurz überprüfte ich meine Kleidung: Ich trug nach langer Zeit endlich mal wieder meine beige Sommerhose und obenherum zwei Schichten Stoff, die untere aus Baumwolle, die äußere aus Fleece. Obendrauf dann Softshelljacke, Wollschal, Mütze und Handschuhe – bei solch kurzer Strecke ist die Kleidung eh fast egal und ich düste los.
Bissiger Winterwind pfiff mir um die Nase und kniff mir in die Wangen, er riss an meiner Mütze und biss feindselig in meine Ohren – ich trat schneller als gewöhnlich in die Pedale und machte, dass ich wieder nach Hause kam. Das waren verdammt harte 30 Minuten für mich!
Endlich langte ich wieder daheim an. Es dämmerte bereits und ich sauste mit dem Cityesel in die Garage. Ein wenig achtlos band ich ihn fest und stürmte ins Haus. Mollige Wärme begrüßte mich und die Tür krachte hinter mir ins Schloss. Erleichtert entledigte ich mich meiner äußeren Kälteschutzschichten und als ich eben auch die Schuhe auszog, fingen auf einmal meine Knöchel an zu jucken wie Hulle!
Sie juckten und sie brannten, sie waren feuerrot und sie glühten – es fühlte sich an, als wäre ich mitten rein in einen Ameisenhaufen getrampelt. Ich sage Ihnen weiter nichts!
Wie kann eine einzige Frau nur so blöd sein?
Den Rest des Winters bleibe ich jetzt jedenfalls drinnen!

Hallo Leute,
da bin ich wieder! Meine Computerpanne ist nicht behoben, aber es funzt wieder gut genug, um zu arbeiten. Macht es Euch bequem und lasst Euch erzählen, was sich zutrug!
Im Jahre 2017 des Herrn, um es genau zu sagen: am 4. Dezember, in der Mittagszeit, schlief mein Rechner plötzlich ein. Der Cursor blinkte nur noch im Zeitlupentempo und der Text, den ich bis dahin geschwind mithilfe von sechs Fingern eingeklackert hatte, fatschte nicht wie gewohnt das Blatt voll, sondern jeder einzelnen Buchstabe ließ sich für sein Auftauchen anständig Zeit.
Ich schnaubte und ging erst einmal aufs Klo.
Als ich nach einer Weile – begleitet von einem Pott voll Kaffee mit verschneiter Weihnachtslandschaft drauf – wieder an meinem Schreibtisch aufkreuzte, hatte es gerade der letzte Satzzeichen-Punkt von vorhin geschafft, sich schnaufend auf den Monitor zu hieven.
Ich kratzte mir den Kopf. Was war da los?
Nach einem Blick auf die Uhr entschied ich, das Mittagessen zuzubereiten. Gegen später Nachmittag, als alle meine Leute abgefüttert, bemeckert und besprochen waren, erinnerte ich mich meines Tagwerks.
Ich setzte mich an den Rechner – da wollte der immer noch nicht! Verflixtundzugenäht! Was hatte die blöde Kiste für ein Problem?
Und auf einmal entdeckte ich das Übel im Maileingang! Da hatte mir so eine Hirni eine riesengroße Mail mit unglaublichen 42 MB geschickt! Der Absender war mir bekannt, also klickte ich drauf und schaute mir die Sache an: Fotos.
Jetzt wäre das ja so weit auch okay gewesen, doch im Text stand, dass ich diese Mail an drei Leute weiterleiten sollte, weil dem Absender die Adressen nicht vorlagen. Ich krauste die Stirn. Zwei von denen führen Webmail, da gibt es normalerweise Volumenbeschränkung. Was macht man da? Kurz überlegte ich, ob ich die Bilder verkleinern sollte und dann erst abschicken. Das verwarf ich jedoch gleich, weil von so was habe ich keine Ahnung und es würde viel Zeit draufgehen, bis ich das erledigt hätte.
Also tat ich das in meinen Augen einzig Richtige: Ich setzte die Empfängeradressen dazu, drückte auf „Weiterleiten“ – und ging einkaufen.
Als ich am Abend zurück kam, war mein Rechner mit dem Verschicken fertig und ich hätte nun endlich losarbeiten können. Doch ich war zu müde. Ob ich faulenze oder nicht – am Abend werd ich müd. Geht Ihnen sicher auch so. Ich beschloss, Feierabend zu machen und am nächsten Morgen Schlag sechs Uhr zu starten.
Nächster Morgen, noch vor dem ersten Hahn, saß ich mit Kaffee am Schreibtisch und hämmerte los. Die Bildermail von gestern hatte ich vergessen, draußen war es finster und ich schrieb in den aufziehenden Morgen. Die Amseln stimmten ein und jodelten mir einen vor, es war echt beschaulich.
Wenn ich so früh loslege, kriege ich auch früh Hunger. Gerade holte ich mir ein paar Wurststullen aus der Küche, als mir der Bing-Ton an meinem Rechner die Ankunft einer Mail verkündete. So was hebt mich erst mal nicht an, die Mail läuft ja nicht weg. Während ich noch mit der Kaffeemaschine hantierte und eines ihrer Bedürfnisse nach dem anderen befriedigte – gerade war ich bei „BOHNEN NACHFÜLLEN!“ – klingelte der Posteingang erneut. Anschließend verlangte die Maschine: „TRESTER LEEREN!“ – das Gematsche aus Kaffeesatz und alter Kaffeebrühe ist immer eine besondere Sauerei. Nach dem Massaker säuberte ich das Spülbecken mit einem Zewa, als der Rechner erneut klingelte. Als ich endlich auf „KAFFEEBEZUG“ drückte, schließlich noch einmal: „Bing!“
Ich gebe zu, ein wenig trieb mich die Klingelei zur Eile, denn ich hatte Pläne für den Tag. Ich wollte mir meine Struktur heute nicht schon wieder von außen durcheinanderbringen lassen!
Stöhnend setzte ich mich also an meinen Arbeitsplatz, klickte die Mails auf – War das ein Scherz??
Der Maileingang voll mit dem hier:
Mail delivery failed: returning message to sender
Mail delivery failed: returning message to sender
Mail delivery failed: returning message to sender
Mail delivery failed: returning message to sender
Mail delivery failed: returning message to sender
Mail delivery failed: returning message to sender
Mail delivery failed: returning message to sender
Mail delivery failed: returning message to sender
Mail delivery failed: returning message to sender
Mail delivery failed: returning message to sender
Mail delivery failed: returning message to sender
Mail delivery failed: returning message to sender
Mail delivery failed: returning message to sender
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.
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War mein Account gehackt worden?
Breitet sich so was aus?
Was tut man da?
„Bing!“
Während ich geschockt auf mein Postfach starrte, wieder: „Bing!“ Ich schüttelte den Kopf und klickte die erste Mail auf: Eine der Gmail-Adressen der Bildergeschichte von gestern teilte mir darin mit, dass die Mail zu groß sei und deshalb nicht zugestellt werden konnte.
Die Mail darunter war gleichen Inhalts und die noch eins drunter auch. Ich mutmaßte, dass es sich beim gesamten Aufkommen um einunddieselbe Information handelte. Pro Minute erreichten mich zwei dieser Tauben, eine gute Frequenz, damit auch der dümmste Depp schnallte, dass mit seiner Postzustellung was schiefgelaufen war.
Vielleicht war ja auch beim Provider was durcheinandergekommen. Vor einem Jahr gab es da schon einmal ein Problem: Damals war mein Posteingang im zehn Minuten-Takt mit sämtlichen Mails, die ich jemals seit dem Jahr 1999 verschickt hatte, teil- und rückgeflutet worden. Innerhalb von zwei Tagen hatten die das aber in den Griff bekommen, urplötzlich war mein Briefkasten wieder aufgeräumt und sauber sortiert, ohne dass ich etwas dazu beigetragen hatte.
Auf solche Art von Panne hoffte ich auch heute. Zumindest die erste Woche lang.
Addieren wir kurz zusammen, wie es nach dieser Zeit postmäßig bei mir ausschaute:
2 Delivery-failed-Botschaften in der Minute,
macht 120 Stück in der Stunde
und 2.880 Stück am Tag.
In acht Tagen ergibt das die stolze Menge von 23.040 Mails – die ich alle von Hand löschte.
Danach platzte mir allerdings der Kragen. Keine Minute zu früh, denn endlich kam mein Mann von seiner Reise zurück. Weil er auch keine Idee hatte, wie sich der Scheiß abstellen ließ, denn der empörte Briefkasten gab (wohl damit man ihn nicht mundtot machen konnte) keine eindeutige Adresse preis – und weil mein Mann zum Jahresende immer besonders den Kopf voll hat, richtete er einen Filter ein: Der pfiff die faulen Eier ungesehen in den Müll. Leider funktionierte der nur am Rechner, nicht aber am Handy, was auch der Grund ist, warum ich seit Anfang Dezember nur noch halbtags auf Emails reagierte, oder eben gar nicht, weil da ging schon mal was schief.
Dann kamen die Weihnachtsfeiertage, Silvester und Neujahr und mit ihnen jede Menge Ablenkung und Aufregung und irgendwie hatte ich mich danach an den Zustand gewöhnt. Mein Laptop wohl auch – ich leerte nun halt täglich den Papierkorb. Das tut man mit dem Leibhaftigen ja auch so.
Seit letzter Woche Montag habe ich aus Projektgründen aber nun einen anderen Rechner: Riesengroß, selbst wenn ich vier Seiten gleichzeitig auf dem Schirm ziehe, lässt sich alles gut erkennen. Ein Traum!
Allerdings verträgt sich der Neue nicht mit meines Mannes Filter. Ungefähr 20 taube Nüsse schlüpften im Laufe des Dienstags durch die Wall. Am Mittwoch schafften das schon 200 – und in der Nacht kamen weitere 600 dazu.
Am Donnerstagfrüh brach der löcherige Damm dann endgültig entzwei und seitdem flutet die Scheiße ungebremst rein.
Jede Minute zwei Würste, ich dreh bald durch!
Wie es der Teufel will: Seit der Invasion ist mein Mann wieder unterwegs. Auch richtig schön weit weg, er hört mich nicht toben. Zum Glück endet auch die längste Reise irgendwann und so kommt mein Mann heute Abend zurück!
Ich mach ihm jetzt was Feines zu Essen und stöpsel das Telefon aus. Soll sich keiner unterstehen, meinen Mann heute Abend abzulenken! Der hat heute zu tun!
Und wenn der das hinkriegt, dann komm ich auch endlich dazu, vom versprochenen Tatort aus dem Wald zu erzählen! Ich krieg jetzt noch Gänsehaut, wenn ich nur daran denk …
Aber eines weiß ich jetzt schon, egal wie das mit der Technik heute ausgeht: Wenn mich noch mal einer bittet, was weiterzuleiten, wo ich Bauchschmerzen bei hab – das lass ich künftig bleiben!!


Hi Leute, heute ist Donnerstag, wartet Ihr auf eine neue Story? Ich habe ja auch eine schöne. Eine richtig gute, einen Krimi im Wald! Aber es wird nix. Guckt Euch an: Ich habe ein Computerproblem. Das geht zwar schon eine Weile länger, aber nun ist ganz Feierabend. Ich melde mich, wenn das Probem behoben ist. Bleibt mir gewogen, und falls das Netz mich frisst: Behaltet mich im Herzchen! 🙂 In Liebe und immer mit einer Kaffeetasse im Arm, Eure Anke GoodWord 🙂
Hi Leute, heute ist Donnerstag, wartet Ihr auf eine neue Story? Ich habe ja auch eine schöne. Eine richtig Gute, einen Krimi im Wald! Aber es wird nix. Guckt Euch an: Ich habe ein Computerproblem. Das geht zwar schon eine Weile länger, aber nun ist ganz Feierabend. Ich melde mich, wenn das Probem behoben ist. Bleibt mir gewogen, und falls das Netz mich frisst: Behaltet mich im Herzchen! 🙂 In Liebe und immer mit einer Kaffeetasse im Arm, Eure Anke GoodWord 🙂

Haben Sie alle den Sturm letzte Woche leidlich überstanden? Kommen Sie mit den Aufräumarbeiten voran? Ich hoffe, es ist Ihnen nichts Schlimmes passiert und sie haben keinen Schaden an Leib und Leben genommen!
Bei mir ist dieses Mal im Prinzip alles gut gelaufen:
Alle meine Bäume stehen unversehrt aufrecht und sämtliche Dachziegel liegen an ihren angestammten Plätzen. Meinen neuen Schlitten band ich rechtzeitig am Haus fest und die mobilen Außensitzgelegenheiten nebst sämtlicher petroler Sommerbeleuchtung schleppte ich während des lostobenden Orkans in die Garage. Als alles sicher verwahrt dort drinnen stand, ließ sich das Tor nicht mehr schließen: Es blähte voll auf wie ein Segel im Sturm auf dem Meer und hatte sich so verkeilt, dass es klemmte. Während ich noch damit kämpfte, aber kurz vor dem Durchbruch stand, hörte ich durch das Tosen schweres Bersten von Holz und die Erde erzitterte in einem mittleren Erdbeben.
Wohl durch dieses zusätzliche Wackeln gab sich das Tor geschlagen und surrte scheppernd zu, während ich fast so schnell wie Friederike ins Haus stürmte. Die schwere Haustür krachte hinter mir ins Schloss und ich entschied, die Hütte heute nur noch im Notfall zu verlassen. Überschwemmung, Flugzeugabsturz oder ähnliches.
Ich gedachte des armen Baumes, dessen Endes ich eben akustischer Zeuge gewesen war und machte mir erst mal einen Kaffee. Wer weiß, wie lange das noch ginge, wenn erst einmal der Strom ausfiele. Das kennt man ja.
Von den folgenden anderthalb Stunden will ich jetzt mal nicht reden, die verbrachte ich schlotternd mit der Kaffeetasse im Arm an meinem Schreibtisch. Der Orkan prügelte auf das Haus ein, er peitschte die Bäume, würgte sie und versuchte sie zu lynchen – gearbeitet habe ich jedenfalls nichts. Das Haus klagte, es stöhnte, es schwankte – aber es hielt stand und ließ sich nichts abreißen.
Wohl weil Friederike von vorne nichts ausrichten konnte, drehte sie wütend und blökte dann von hinten los. Sie nahm beide Backen voll Druckluft und pustete den Kärcherstrahl mit aller Macht in den Teich. Eine gewaltige Wasserfontäne peitschte auf und fatschte grün auf meine Fenster nach hintenraus. Dem weiteren Verlauf des Schauspiel konnte ich erst nach einer Weile wieder folgen, als das Algenzeug heruntergelaufen war.
Ich hatte nicht geklatscht und so ganz ohne Applaus hatte die Windschickse wohl keinen Bock mehr auf das Spektakel. Brüllend zog sie weiter.
Die Flaute nahm ich zum Anlass, mein Anwesen in Augenschein zu nehmen. Hocherfreut stellt ich dessen Unversehrtheit fest – doch betrübte mich der anschließende Blick ins Umland gewaltig! Der arme Baum von vorhin war einer der Bäume meines Nachbarn gewesen. Ein wunderschöner alter Laubbaum lag quer auf der Wiese.
Wie ich zum Haus zurück ging, entdeckte, ich, dass Friederike beim Nachbarn noch einen weiterer Baum stark eingekürzt hatte. Anklagend ragten pfeilspitze Splitterstellen zum Himmel. Mich dauert so was immer sehr, ich liebe Bäume.
Was erledigt man als Erstes, wenn man ein Unwetter heil überstanden hat?
Man informiert seine Liebsten!
Ich begann mit meiner Mutter, die macht sich immer mehr einen Kopp um mich als mein Mann. Der weiß, dass ich mich sowieso sofort melde, wenn was nicht passt. Schließlich bin ich ihm erst letzten Freitag wieder Schlag sechs Uhr früh mit der Heizung auf den Wecker gefallen. Meine Mutter wohnt mehrere hundert Kilometer weit weg, das ist doppelt nervenaufreibend für sie.
Ich sprudelte also in den Hörer, meine Mutter beruhigte sich auch sofort, was ihr einziges Kind nebst Familie angeht – vielleicht lag das aber auch daran, weil sie mit eigenen Wetterfolgen abgelenkt war: „Der Sturm hat die Terrassentür vom Schlafzimmer reingedrückt! Stell dir das mal vor!“, forderte sie mich entrüstet auf.
„Und jetzt? Pfeift der da jetzt ungehindert rein??“
„Keine Sorge.“ Ich hörte förmlich, wie meine Mutter in den Hörer abwinkte. „Vater hat die Tür wieder eingehängt. Er stand genau dahinter, als sie reinflog.“
Hä?
„Wären wir allerdings nicht da gewesen wären, hätte das mit dem gekippten Fenster mächtig in die Hose gehen können …“
„Du erzählst mir doch hier nicht gerade, dass ihr die Tür immer gekippt lasst, wenn ihr weggeht??“ Meine Eltern wohnen idyllisch: Kleinstadtrand, hintenraus Wiese, Bach und endlos Wald. Genau der richtige Fleck, alles sperrangelweit offen stehen zu lassen. „Seid ihr irre?“
„Nun reg dich mal nicht so auf, dein Vater ist gerade noch mit dem Leben davongekommen! Ich habe ja auch nicht gesagt, dass wir das große Fenster grundsätzlich offen stehenlassen. Aber das kommt schon mal vor. Man vergisst halt mal was.“
„Hallo! Was gibt‘s denn da zu vergessen?? Es gehört dazu, dass man seine Fenster kontrolliert!“
„Dir passiert so was natürlich nicht!“
Stimmt, hatte sie recht. Mir nicht – für so was hab ich Kinder.
Entsprechend vergnatzt beendeten wir unseren heutigen Informationstransfer per Telefonleitung und verabredeten uns für den nächsten Klatsch zur gewohnten Zeit.
So, jetzt hatte ich ja den ganzen Tag noch nichts Sinnvolles getan. Mit der Arbeit brauchte ich gar nicht erst zu beginnen, war ja schon Nachmittag. Der Wäschekorb blockierte die Treppe zum oberen Stock und so entschied ich, ein wenig Hausarbeit zu betreiben. Ich schulterte den Korb und wie ich forsch mit dem Ellbogen die Tür zum Schlafzimmer aufklinkte, wirbelten mir ein paar Eichenblätter entgegen. Was war denn hier los?
Mit der Hüfte stieß ich gegen die Tür, doch sie schwang nicht wie gewohnt leicht auf – irgendetwas lag drinnen davor. Jetzt reichte es mir aber! Ich stellte den Korb ab, damit ich beide Hände frei hatte. Und dann traf mich fast der Schlag!
Vom Bett und vom Teppichboden war nicht mehr viel zu erkennen!
Alles lag voller Laub!
Alte Herbstblätter, braune Federn von den Lebensbäumen vorm Fenster, spittelige Tannenzapfen und jede Menge Kleindreck von Birken- und Lindensamen. Apropos Fenster! Das stand auf Kipp, verdammte Scheiße!
Das Herbarium hatte meine Wollpullover, die aus Platzgründen auf dem Board statt im Schrank liegen, paniert und zugedeckt. Sie ließen sich nur noch als großer Laubhaufen ausmachen. In meinem Schlafzimmer sah es aus wie beim Modeshooting für die nächste Herbst-/Winterkollektion.
Das konnte einfach nicht wahr sein!
Geschockt trat ich rückwärts in den Flur hinaus und schloss die Tür hinter mir. Draußen lehnte ich mich für einen Moment dagegen, dann schüttelte ich mich und atmete tief ein.
Ich öffnete die Tür wieder: Alles unverändert. Leider!
Das ganze Zimmer glich einem riesengroßen Komposthaufen.
Was macht man da?
Putzt man es – oder sucht man sich eine neue Bleibe?
Unsere Schlafkammer ist klein, theoretisch könnte man sie abschließen und woanders neu anfangen.
Für das Lösen von Problemen ist mein Mann zuständig, also rief ich ihn an.
Bei meinem Mann in der Arbeit herrschte schon helle Aufregung: Ehefrauen informierten gerade ihre diversen Ehemänner telefonisch über Rikes Schäden. „Ach, deine auch!“, vernahm ich im Hintergrund einen Kollegen, als ich eben mit meinem Bericht loslegte.
Mein Mann hörte sich alles ruhig an und als ich mit der Frage endete, was wir nun tun sollten, fragte er mich, ob ich sie noch alle hätte. Nachdem ich das bejahte, mein Mann aber auf meinen Vorschlag mit der neuen Kemenate nicht eingehen wollte, rief ich meine Mutter an. Nicht dass sie bei mir putzt sollte – nein das war nicht der Grund! – aber ich musste ihr ja vom meinem gekippten Fenster erzählen, und mich deswegen bei ihr entschuldigen.
Merkt Euch das einfach, Leute: Mütter haben immer Recht!

Freitags fällt bei uns daheim gerne die Heizung aus. Das ist im Winter ziemlich regelmäßig so – doch was echt schwerwiegend: Es passiert in der Nacht auf den letzten Arbeitstag der Woche.
Zum Glück ist unsere Heizung dann nicht wirklich kaputt, sie erleidet nur einen spontanen Druckabfall. In weniger als einer Minute und ohne ein akustisches Signal abzugeben, entleert sie ihre Blase. Einfach so, zack, uriniert sie das Wasser ins Loch. Sie müssen sich das Loch wie eine dieser kultursensiblen Toiletten vorstellen, nur eben bei uns im Keller zwischen den karrierten Fliesen. Ruckzuck ist die Heizung fertig und guckt dann verklärt. Das hat sich vor ein paar Jahren sanft eingeschlichen – in diesem Winter passiert das ständig.
Unter der Woche bimmelt mein Wecker immer Schlag sechs Uhr – mein Mann steht fast zwei Stunden später auf. Dafür dauert sein Arbeitstag aber auch etliche Stunden länger als meiner. Wenn mein Gatte zurück nach Hause kommt, schlafe ich schon fast wieder.
Vielleicht hat sich die Heizung darum überlegt, sie hilft unserem Zusammensein ein wenig auf die Sprünge und pfeift meinen Gatten nun regelmäßig einmal pro Woche mit den Hühnern aus den Federn. Das mit dem Wassernachfüllen im Heizungskeller gehört nämlich zu seinen Aufgaben. Erschwerend gesellt sich hinzu, dass die Heizung mit schlichtem Wassertrinken nicht mehr zufrieden ist. Neuerdings verlangt sie nach weiterer Zuwendung. Mein Mann drückt dann hier ein paar Knöpfe, bis sie aufhört zu blinken; er dreht da ein wenig an zwei Schräubchen herum, bis sie zufrieden losschnurrt – kurz: Er streichelt sie und spricht mit ihr, bis sie ihren Dienst tut. Die Heizung ist weiblich. Eindeutig.
Warum erzähle ich Ihnen das jetzt? Sicher haben Sie eigene Probleme mit ihren technischen Geräten. Ja, da sehe ich auch ein und das tut mir auch leid – aber mein Mann ist diese Woche unterwegs. Und morgen ist Freitag! Oh Gott, oh Gott, oh Gott …
Schneemann wärmt sich am prasselnden Kaminfeuer

Liebe WeihnachtsLeute!
Ich kümmere mich ab gleich mal ein bisschen ums Fest und lasse das Internet Internet sein.
Guckt Euch an, wie farbenfroh es bei mir daheim noch ausschaut! Sogar mit blauem Himmel. Ich habe also noch eine Menge zu tun, bis mein Anwesen frostig klirrend für die Heilige Nacht hergerüstet ist. Die ist mir nämlich wichtig, mit all ihrem Glöckchengebimmel und den roten SchlittenSchleifchen!
Warum ich mich ablenkungsfrei um meine Zimtsterne kümmern muss, geht schon damit los, dass mein neues Auto ein Stück kürzer ist als mein altes.
Wie beschaffe ich da jetzt bloß den Weihnachtsbaum?
Hat jemand Erfahrung mit in zwei Teilen?
Ich vermute, das duftende Nadelholz daheim in der Stube mithilfe eines Zapfens wieder zusammen zu puzzeln, wird nicht hinreichend stabil funktionieren. Schon allein wegen des schmückenden Gewichts nicht, das da dran baumeln soll: Vögel, Kugeln, Sterne, Zwerge, Äpfel, Kerzen – ich habe bestimmt noch was vergessen.
Mit meiner Sorge liege ich doch richtig, oder?
Aufgrund meines Dilemmas schlug ich meiner Sippe vor, wir könnten uns, statt eines zersägten Legobaumes, auch gleich einen Künstlichen zulegen. Schon allein wegen der Nachhaltigkeit! Doch meine Leute wollen das nicht. Sie wollen einen richtigen Baum! Weihnachten sei schließlich nur einmal im Jahr. Ja, so funktioniert dann halt Demokratie: Drei gegen Einen – und am Ende wird gemacht, was die Mutti sagt.
Trotzdem fordert mich das. Entweder muss ich es aussitzen – oder ich muss viel darüber labern. Leider lässt meine Aura meine Kontrahenten nicht verstummen. Aber ich bin ja noch jung, ich reife also noch. In ein paar Jahren werde ich nur noch die Augenbrauen anheben und werde Nicken ernten.
Leute, für diesen Lernprozess brauche ich aber die ganze Frau. Deswegen, und wegen der Gründe oben, sage ich:
Bis demnächst, ihr lieben Hochverehrten!
Ich freue mich aufs Fest – Merry Christmas Euch allen!

Wie verhält sich das denn bei Ihnen, besitzen Sie einen Adventskalender?
Ich habe einen. Natürlich. Mein Mann auch und die Kinder sowieso. Unsere vier Adventskalender hängen an der Wand an ihren angestammten Plätzen. Für das Befüllen des traditionellen Vorfreudenzierrats sind unsere Kinder zuständig, ich kaufe lediglich die Schleckereien dafür ein. So läuft das bei uns jahrein jahraus, man kennt so was auch aus der frühkindlichen Pädagogik: Ruhe, Rhythmus, Rituale
Gestern Nachmittag kam Geflügels bester Kumpel zu Besuch. Er schien ein paar Tage nicht hier gewesen zu sein, denn nachdem er den üblichen Kontrollflug durch die Bude absolviert hatte, baute er sich vor meinem Schreibtisch auf: „Sag mal, Anke, wieso habt ihr denn dieselben Adventskalender wie letztes Jahr hingehängt??“
Hatte da wer mit mir gesprochen? Ich schaute von meiner Tastatur auf. Dann kratzte ich mir den Kopf und tauchte langsam auf. Schließlich fragte ich: „… Hä?“
„Na, die Adventskalender! Die hingen doch schon letztes Weihnachten hier!“
Geflügel verstand die Frage auch nicht: „Im Sommer haben wir die natürlich abgenommen. Auch wenn die meinetwegen das ganze Jahr über hängenbleiben könnten. Das schaut mit denen so gemütlich aus.“
Der Kumpel entrüstete sich: „Wie könnt ihr denn so langweilig sein?? Wir basteln uns jedes Jahr einen neuen Adventskalender! Einen riesengroßen! Meine Schwester, meine Mutter und ich, wir besorgen Papier und dann schnippeln und kleben und basteln und verzieren wir so lange, bis wir ein Dorf beisammen haben!“
Jetzt wo er das sagte, erinnerte ich mich, dass ich bei der Kumpelfamilie in der Adventszeit immer ein ganzes Sideboard voll Papphäuschen stehen sehe. Ich dachte allerdings, das sei jedes Jahr dasselbe. Bastelten die das Kaff etwa jeden Advent neu??
Innerlich war ich geschockt: Enthielt ich meinem Töchterchen eine wichtige gemeinsame ElternKind-Zeit vor? Würde sie mir das später übelnehmen? Sehr?
Ehe ich mich weiter ins schlechte Gewissen reinsteigern konnte, beschloss ich, die Sache auf eine analytisch-emotionslose Ebene zu hieven: „Da wüsste ich gar nicht, wo wir so eine Landschaft hinstellen sollten. Über so viel freie Ablageflächen verfügen wir gar nicht.
Der Kleine schaute sich um: „Stimmt. Auf den Esstisch könnt ihr die nicht stellen. Da müsstet ihr im Stehen essen …“
„Auf dem Küchentresen ist auch kein Platz, da klettere ich immer drauf rum“, informierte uns Geflügel.
„Dann eben nicht.“ Der Kleine zuckte die Schultern, schnappte Geflügel an der Hand und saust mit ihm durchs Treppenhaus nach oben in den Hühnerstall. Über mir polterte es, als würden die wilden Horden durchziehen: also alles wie immer.
Gerade wollte ich mich erleichtert an meine Arbeit rückwenden, als die kreischende Bagage erneut angeflattert kam. „WIR WISSEN WOHIN MIT DEM DORF!“, brüllten sie schon auf der Treppe. „Steh mal auf!“, forderte mich Geflügel auf.
Damit ich mich ein bisschen schneller drehte, zog mir der Kumpel den Bürostuhl unterm Hintern weg. Dann klappte Geflügel meinen Laptop zu und riss ihn schwungvoll vom Schreibtisch. „Hier!“ Beide Kinder zeigten freudig auf meinen eben freigewordenen Arbeitsplatz.
Noch ehe ich mich entrüsten konnte, gab Geflügel mir Bescheid: „Ich mag das eh nicht, wenn du so viel arbeitest!“
Der Kumpel pfiff zwei Bögen Bastelkarton auf die freie Fläche. Einen orangefarbenen und einen in Schweinchenrosa: „Lasst uns keine Zeit verlieren! Sonst wird der Adventskalender erst nach Weihnachten fertig!“
„Was sind das eigentlich für bescheuerte Farben …?“ Ich musste mich erst mal sammeln.
„Was anderes haben wir nicht gefunden. Du musst deiner Tochter mal gescheites Bastelmaterial kaufen! Aber meine Mutter sagt immer: Der Wille zählt!“

Als mündige Bürgerin informiere ich mich mal weniger und mal mehr was weltpolitisch ansteht – bei den lokalen Geschehnissen bin ich dafür aber top im Bilde.
So kam es, dass mir letztens nicht entging, dass vor meiner Haustür zwei Diebe geschnappt wurden, die sechs ergaunerte Fahrräder in ihren weißen Transporter mit ausländischem Kennzeichen luden.
Ein aufmerksamer Anwohner hatte die Polizei alarmiert, als das Duo auf einem Parkplatz mit dem Diebesgut hantierte.
Laut Redaktionsmeldung verfügten die beiden jungen Herren über keinen festen Wohnsitz; sie wurden erkennungsdienstlich behandelt und anschließend wieder auf freien Fuß entlassen.
Ich hoffe mal, den Herren war der Schreck mit der anrauschenden Polizei und den Fingerabdrücken lehrreich, sie sind jetzt geläutert, und dass das nicht noch einmal vorkommt!
Darauf kann man sich aber nicht verlassen, und außerdem weiß man ja auch nichts über deren Familienverhältnisse: Vielleicht haben sie Cousins oder Schwager, die noch nicht erwischt wurden und deshalb noch fröhlich durch die Gegend klauen. Lange Rede, kurzer Sinn: Ich bin besorgt um meine Fahrräder!
Als Bike-Fanatikerin besitze ich mehrere, für jeden Anlass das passende Zweirad. Stock-und Steinfahrten im Gelände, Hochgeschwindigkeitsrasen auf der Chausee oder gemächlich in der Stadt herumjuchteln: das mache ich nicht mit ein und demselben Fahrrad. Das verhält sich bei mir wie bei Frauen mit Schuhen – Schuhe besitze ich dafür weniger.
Weil mein sorgsam zusammengestellter Fuhrpark während meiner Radkarriere von Langfingern schon um insgesamt 3,5 Fahrräder erleichtert wurde – beschloss ich, Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen!
Gestern Nachmittag kam ich in der Dämmerung von einem Termin nach Hause. Ich war mit dem Rad unterwegs, schon allein wegen der Einbahnstraßen-, Baustellen- und Parksituation in der Mülheimer City. Mir blieb eine Dreiviertelstunde, bis ich wieder los musste, Geflügel bei einer Freundin abholen. Das Kleine war auch mit dem Fahrrad gefahren und im Dunklen lasse ich es nicht allein heimradeln.
In der Garage wollte ich mein Pferd für den Moment nicht unterbringen – normalerweise hätte ich es einfach in unserer Einfahrt stehengelassen. Aber der Zeitungsartikel ….
Zum ersten Mal, seit ich hier wohne, schloss ich also mein Fahrrad auf meinem eigenen Grundstück ab. Ich war stolz auf mich, ich hatte mich den Umständen angepasst und nicht wie gewöhnlich die empfohlene Trotzhaltung: Jetzt erst recht! eingenommen.
Als die Zeit ran war, war es draußen stockfinster. Beschwingt stürmte ich in die Nacht – doch ich erspähte die Hand vor Augen nicht mehr. Nun kenne ich mich daheim ja aus und so hangelte ich mich blind an den Mülltonnen entlang bis in die Ecke, in der ich mein Citybike vorhin gelassen hatte. Schien auch alles vollständig und ich tastete nach dem Schloss. Soweit klappte das – doch dann kriegte ich den winzigen Schlüssel nicht in das Miniloch gefummelt. Ich griff in meine Gesäßtasche – Mist! Handy im Haus vergessen, also nix mit Funzeln.
Ich knurrte, denn ich setze mich grundsätzlich erst kurz vor knapp in Bewegung. Mein Motto lautet: Das Leben ist zu kurz, um zu warten! Das half mir im Moment nicht weiter, ich musste ins Haus zurück und mir eine Lichtquelle besorgen.
Eilig griff ich in meine Jackentasche – doch da war kein Schlüssel! Der lag auch im Haus, auf der Treppe, verdammte Scheiße!
Die Situation war jetzt so ähnlich, als wäre mir das Bike tatsächlich geklaut worden. Ich schellte an der Haustür Sturm, indessen mein Pubi drinnen mit Kopfhörern Musik hörte. Der war sozusagen taub. Wie ich gerade überlegte, was jetzt zu tun sei – ich tendierte dazu, mich mittig auf die Straße zu stellen und: FEUER!, zu rufen, bog mein Mann in die Einfahrt. Gott sei Dank, ich würde wenigstens nicht erfrieren.
Ich schickte ihn dann auch gleich weiter, das Töchterchen abzuholen. Ist eh sicherer, wenn er das macht!

In Vorfreude auf den nächsten Sommer will ich Ihnen heute mal einen vom Teich erzählen.
So ein Gewässer ist nämlich eine tolle Sache! Besonders viel wert ist es, wenn sich das gleich an die Terrasse anschließt. Mal stürzt ein Gast direkt von der Kaffeetafel aus rein, ein andermal pfeift der Wind den Wäscheständer hinterher; die Goldfische hecken wie die Karnickel und eine eigene Mückenzucht bekommt man gratis obendrein.
Klingt abträglich?
Ganz im Gegenteil! Ich sehe da ausschließlich Vorteile!
So man ein Wasserspiel installiert hat, murmelt und plätschert es beschaulich; für schlechte Zeiten tummelt sich Fisch, der nur darauf wartet, geschlachtet zu werden; und mit Frischwasser bevorratet ist man außerdem.
Ich denke dabei an die 14Tage alten Hamster, die der Bundesregierung gehören. Weil von denen echt lange keiner mehr gesprochen hat, will ich die an der Stelle mal wieder erwähnen. Sollen ja nicht in Vergessenheit geraten!
Von der Fresserei ab, lässt sich am Ufer auch prima chillen.
Nach Feierabend und am Wochenend stiere ich regelmäßig ein Loch ins Algenwasser. Gucken ins Grüne erholt nämlich die Augen! Man braucht dann lange keine Brille. Alternativ reicht es aber auch, wenn man viele Möhren isst.
Um augenschonend auch ganz sicher zu gehen, stehen um unseren leuchtend grünen Teich herum hohe Bäume. Laubbäume wohlgemerkt. Sie ahnen, woher jetzt die Brücke zum Teich kommt?
Herbstlaub! Würden wir die Klassiker der heimische Flora ungehindert ins Wasser abhaaren lassen, wäre im nächsten Frühjahr Essig mit unserer plätschernden Teichfreude. Stattdessen würde ein großer Komposthaufen an unserer Terrasse grenzen. Das sieht nicht nur unschön aus, das stinkt auch.
Als junge Teichbesiter (mit dem menschlichen Alter hat das übrigens nichts zu tun) erlebten wir das nämlich schon einmal. Deshalb spannt mein Mann nun Alle-Herbste-wieder ein großes Fangnetz quer über den Teich. Ursprünglich sollte das den Fischreiher vom Fressen unserer Haustiere abhalten – weil dem das Hindernis aber egal war und er einfach pfeilschnell drunter herrannte, wenn er Hunger hatte, lauben heute nur noch die Bäume drauf ab. Die alten Blatthaare hängen dann den ganzen Winter über wie eine wärmende Mütze dicht über dem Wasser. Den Fischen gefällt das auch, denn seitdem friert der Teich nur noch im extrem kalten Winter zu.
Letzten Sonntag fiel meinem Mann beim Frühstück ein: „Mensch, wir haben ja Herbst …“
Pubi kippte sich gerade eine Schüssel voll Müsli: „Das weiß ich schon seit den Herbstferien. Die nennt man nicht umsonst so.“
Mir war die Jahreszeit egal, ich hatte einen Termin. Ich packte meine Sachen und überließ meine Blitzmerker sich selber.
Als ich am Nachmittag zurückkam, schwebte die IsolierMütze über dem Teich. Als hätten die Bäume nur darauf gewartet, endlich ihre Blätter abschmeißen zu dürfen, war von der Netzstruktur schon kaum mehr was zu erkennen: Eine dicke gelbe Matte Biomasse lag darauf.
Arm in Arm am Fenster betrachteten mein Mann und ich sein Werk. Zufriedenheit durchströmte uns, denn das Netz ist das letzte, was wir in jedem Gartenjahr tun. Danach halten wir es mit den Bauern und schlafen bis zum Frühjahr.
Plötzlich sagte mein Mann: „Scheiße!“
„Was ist los?“ Ob der Kombination der beschaulichen Herbstromantik mit der FäkalVokabel war ich irritiert.
„Das Gebüsch am Ufer steht noch. Hat irgendwie keiner zurückgeschnitten …“ Er sah mich strafend an.
So ein Mist, jetzt sah ich das auch. An der Wasserkante wucherte noch die undruchdringliche, grüne Wand des Sommers, bestehend aus Schilf, Farn, verblühten Staudengewächsen und Unkraut. Die gehört vor der Bespannung zurückgeschnitten, weil man danach nicht mehr herankommt.
„Und nun?“
Mein Mann winkte ab: „Das nehm ich nicht noch mal ab. – Vielleicht schafft‘s der Fischreiher ja auch nicht, durchzukommen.“
Nun sind wir jedenfalls gespannt, wie optimal sich der Schutzwall auf unsere Fischpopulation auswirkt.

Jeden Herbst erwacht bei meiner Freundin Micha das Pilzfieber. Sie scheint nicht viele Pilze zu kennen, denn sie fotografiert sie und fragt uns dann in der WhatsApp-Gruppe, was das für einer ist. Und ob er zu den Genießbaren zählt. Die anderen Mädels halten sich bedeckt, ich Landei bin die Pilzfachfrau. Eine Einäugige unter Blinden – Sie verstehen?
Meine Freundin schickt aber auch Kreaturen, ich sage Ihnen weiter nichts!
Wir hatten schon welche, da flatterten fleischfarbene Unterröcke auf dürren Spinnenbeinen im Wind. Oder schwindsüchtige Fingernägel, die sich um ein Fläschchen schwefelgrünen Lacks balgten. Letztens war einer dabei, der sah aus wie das Gehirn eines Affen. Bei den Fotos kann es einem Himmelangst werden. Unter den ShootingStars fand sich noch keiner, den man auch nur in die Nähe eines Kochtopfes lassen konnte.
Wie es der Zufall will: Just wenn bei Micha im Garten die Pilze sprießen, tun die das bei uns daheim auch. Allerdings mit einem diffizilen Unterschied: Unsere Pilze sind auf alle Fälle essbar! Wir haben Rotfußröhrlinge, im Volksmund auch Ziegenlippen genannt und Birkenpilze.
In den letzten Jahren kamen wir in Summe auf maximal drei Schwammerl pro Saison – doch in diesem Jahr knacken wir alle Rekorde! Im Moment wachsen 14 riesengroße Schirme gleichzeitig auf der Wiese. Alles Birkenpilze, fein verteilt unter dem namensgebenden Baum.
Mein Pubi schleicht nun täglich mit der Bratpfanne unterm Arm in den Garten und hofft, dass ich das nicht bemerke. Zu gerne möchte er sich ein schmackhaftes Pilzgericht einverleiben.
Allein ich untersage das strickt!
Unsere Pilze werden nicht gegessen!
Ich will, dass unsere Pilze Sporen werfen!
Ich will, dass wir eines Tages Pilze wie vom Acker ernten können!
Einfach eben das Abendessen reinzuholen, ohne dafür erst im Wald herumzustreunen und dort Hänsel und Gretel, dem bösen Wolf und anderem Geschwerl zu begegnen.
Mein Traum und der pure Luxus.
Dafür opfere ich auch Einiges. So ist bei uns jeden Herbst die Wiese für sämtliche Kinder gesperrt. Ich mache da keinen Unterschied, ob es sich um eigene oder um Besucherkinder handelt. Da bin ich eisern! Jeder Pilz soll die Zeit zum Reifen und Absamen bekommen, die er braucht. Macht man mit Männern ja auch so.
Genug von der Rahmenhandlung erzählt, werden wir mal szenisch!
Gestern hatte mein Gatte Grillbesuch geladen. Den Kindern wurde das Geschwätz der Erwachsenen schnell zu langweilig und so klauten sie sich in einem unbeobachteten Moment den Beutel mit dem MinigolfEquiment und verzogen sich nach hinten auf die Wiese.
Pubi hatte zusätzlich noch einen Hammer mitgenommen – soll er was helfen, weiß er nie, wo das Werkzeug liegt.
Erst ab dem ersten Schlag auf eines der Positionshölzchens kriegte ich die Sache spitz. „Ey, wat soll dat?“, brüllte ich in den Garten. „Die Wiese ist gesperrt!“
„Wir machen nichts kaputt“, vernahm ich Geflügels zartes Stimmchen von hinterm Schilf. „Wir sind ganz vorsichtig und spielen nur hier am Weg. Indianerehrenwort!“
Ich wollte gerade ansetzen, dass ich das kennen würde und jetzt Schluss mit der Gaudi wäre, doch mein Mann beruhigte mich: „Mach nicht so einen Stress. Die Pilze sind groß genug, die sind nicht zu übersehen. Da tritt keiner drauf.“
Mein Finger zuckte zur Schläfe und ich wollte meinen Gatten Bescheid sagen, doch der Besucher kam mir zuvor und nickte zustimmend: „Genau. Sie haben es außerdem versprochen.“
Was hätte ich da tun sollen?
Ich gab mich geschlagen.
Gegen zwei bornierte Männer kommt man mit mütterlicher Weitsicht sowieso nicht an.
Ich winkte also ab und begab mich in die Küche. „Will jemand Kaffee?“ Hausarbeit lenkt mich immer am besten ab.
Und richtig: Die Kaffeemaschine blinkte mir fröhlich einen Imperativ entgegen: Trester leeren!
Gerade wischte ich mit einem Küchentuch das matschige Kaffeepulver aus den Ecken des Auffangbehälters, als die Kinder ihres Spiels überdrüssig zur Terrasse zurückkamen.
„War‘s das schon?“, fragte der Besucher verwundert, während mein Mann vermittels Zeigefinger eine parente These an die Terrassentür nagelte: Auch wenn sich eine Sache als weniger aufregend entpuppt als gedacht, bleibt man eine Weile dabei und gibt ihr eine Chance!
Bei mir jedoch schrillten sämtliche Alarmbimmeln Sturm: „Was habt ihr angestellt??“
„Was sollen die angestellt haben?“, knurrte mein Mann. „Die haben keinen Bock mehr.“
„Quatsch“, knurrte ich zurück. „Wie viele Pilze?“ Ich sah Pubi scharf an.
„Du hast echt ‘n Knall mit deinem Pilztick!“, fauchte der Knabe und wollte sich an mir vorbei ins Haus zwängen. „Das wird sowieso nichts!“
„Wie viele?“
„Mensch, vier, wenn du es genau wissen willst!“
Schnell rechnete ich im Kopf durch. Die Verbliebenen würden es schwer haben: Dynastien zu gründen erfordert Disziplin!
Verbal weiter rumzuzicken brachte aber nichts, das schraubte den Gefallenen die Pilzmurmeln auch nicht wieder drauf. Erzürnt holte ich mir deshalb aus der Küche das schärfste Messer, das wir besitzen – und?
Schnippelte die Körper der vier Birkenschwammerl in hauchdünne Scheiben. Dann breitete ich sie sorgfältig auf vier Blättern Küchenkrepp aus, und stellte sie in die Sonne. Am Abend nahm ich sie mit ins Haus und rangierte sie liebevoll auf der Heizung.
Das wiederhole ich jetzt täglich; so lange, bis sie richtig schön prasselig trocken sind. Dann stecke ich sie in ein Schraubglas und im Winter kommen sie in die gute Suppe.
Im Ergebnis ist die Sache gar nicht so schlecht gelaufen. 🙂

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger!
Ich darf Ihnen stolz verkünden, dass wir unsere Rettungsmission „Pubi goes Ruhrpott!“ siegreich zum Abschluss gebracht haben!
Nicht nur die Alpenüberquerung per Elefant war so kurz vor dem ersten Schnee mit viel Verstand gesegnet – auch unseren riesengroßen Reisegefährten brachte ich Montagmorgen wieder klammheimlich in den Zoo zurück. Den anderen warf ich vorher pünktlich – wie das von mir als gute Mutter erwartet wird – mit dem Klingeln vor der Schule ab.
Wir wären eigentlich 20 Minuten früher dagewesen, doch wir standen in einer Umleitung im Stau. In Mülheim wird nämlich gebaut. Das ist nichts Ungewöhnliches, das ganze Land freut sich über die Konjunktur.
Wie sie das anderswo halten, weiß ich nicht, aber hier besteht die Herausforderung darin, an mehreren Einfallsrouten gleichzeitig die Straße aufzureißen. Mit dem Ziel, dass der Verkehr zu Stoßzeiten auch garantiert zum Erliegen kommt.
Das ist wirklich knifflig, denn der gewiefte Einheimische nimmt dann auch schon mal eine Einbahnstraße falschherum in Kauf. Das nützt ihm aber nichts, weil im Gegensatz zu mir bereiten die von der Baustellengenehmigungsplanung sich ausgiebig und detailliert darauf vor. Und so steht der Fuchs dann mit dem Elefanten, zack, vor dem nächsten weißen Plastikzaun.
Weit und breit ist nirgendwo ein Arbeiter zu sehen, auch kein schweres Gerät: Könnte also auch gut sein, dass die Sperrerei in Wahrheit einen anderen Grund hat.
Na, ich habe den Elefanten ja jetzt zurückgebracht, bestimmt gibt es in Mülheim ab morgen wieder freie Fahrt für freie Bürger!
Aber nochmal zurück zum Elefanten. Nach so einer langen Reise liegt es auf Hand, dass er ziemlich unter dem Trennungsschmerz leidet. Die erste heftige Attacke konnte ich mit einer Stiege Bananen lindern – die nächste bringe ich ihm morgen.
Ich muss mich bei meinen Besuchen allerdings verkleiden, denn ich will ja nicht im Nachhinein noch einkassiert werden. Morgen gehe ich als Weihnachtsmann, dem kann man immer schön was erzählen.
Welcome home and Merry Christmas!
Mülheim an der Ruhr: Siegreiche Mutter mit Lorbeerkranz

Hi Leute,
viele Grüße aus dem Bergen, Ihr wisst schon von wo!
Genauer will ich es nicht verraten, da ist ja noch die Sache mit dem geklauten Elefanten. Die hat ganz schön Wellen geschlagen: überall Kontrollposten, die irgendwelche Papiere sehen wollen. Für den Elefanten hatte ich ja nichts dabei, deswegen habe ich ihm einen Pass selbstgemalt. Bisher hat das keinen gestört. Ich will aber nichts riskieren und so kommen wir mit unserer Rettungsmission bloß langsam vorwärts. Wir reisen nur, wenn es finster ist. Die Zeitumstellung wirkt sich dabei gar nicht aus. Morgens ist es dunkel, abends auch. Wenn mich also einer fragt: Ich bin dagegen.
Übrigens schwankt so ein Elefant wie ein Kamel. Mir ist sau schlecht.
Zum Glück haben wir noch ein paar Tage Zeit, bis die Schule wieder anfängt! Ich denke, wir werden Mülheim Montagmorgen pünktlich 8:00 Uhr erreichen. Also mit dem Klingeln …
Drückt uns weiterhin die Daumen und gehabt Euch wohl!
Pubi-Hannibal und Mutter Müller
(Ansichtskarte von vorne: Postkutsche im Laubwald)

Donnerstags erzähle ich Ihnen ja immer einen. Mir ist sonst langweilig und außerdem frage ich Sie so gerne um Rat.
Aus Gründen von Herbstferien unterbreche ich das jetzt mal. Ich will mich ein bisschen mit meinen Mutteraufgaben befassen: Kinder herzen, geklaute Äpfel einmusen, Weihnachtsgirlande billiger handeln, Herbstlaub zum Nachbarn schieben – was man halt so tut, damit der Nachwuchs weiß, wie es später läuft im Leben.
Ein paar spießige Bürgerdinge gehören außerdem erledigt: Auto waschen, Bürgersteig fegen – vielleicht spritze ich auch mal die Fenster von außen ab, damit drinnen der Stromverbrauch sinkt. Da bin ich mir aber noch nicht sicher.
Ein Ding hält mich zusätzlich in Atem: Pubis Rückreis aus den Ferien! Er weilt nach dem 28. Oktober als AirBerlinFluggast in der Schweiz bei der Tante, Sie erinnern sich.
Dank Ihnen habe ich alle Optionen im Kopf durchgespielt: Dortlassen, Zurückwandern, Heimradeln oder einen Heißluftballon zusammennähen (als Ossi hat man damit Erfahrung).
Seit ich um das Problem weiß, habe ich zur gedanklichen Refreshung eine Badewanne voll Tee leergetrunken.
Im Moment bin ich dabei, einen Elefanten zu besorgen: Mit dem kommt Hannibal-Pubi Müller dann sicher und ohne Verluste über die Alpen, das hat schon einmal geklappt.
Tausend Dank an der Stelle an meine BloggerKollegin Ellen für diese grandiose Idee!
Weil es aber schwierig ist, den Zoo in Duisburg von der Herausgabe eines Elefanten zu überzeugen, muss ich nun meine SchwatzKompetenzen bündeln. Drücken Sie mir die Daumen und sehen sie unser familiäres ZusammenführungsUnterfangen wohlwollend!
Herzlichst und auf in Bälde,
Ihre Anke Müller

AirBerlin stellt zum 28. Oktober den Flugbetrieb ein.
Haben Sie es alle mitbekommen?
Normalerweise hebt mich das ja nicht an.
Weder steuert einer von uns ein Luftschiff, noch macht hinten einer die Saftschubse. Klempner oder Sesselfurzer in der Verwaltung sind wir auch keine – mehr fällt mir auf die Schnelle nicht ein, womit man bei einer Fluggesellschaft sein Geld verdient.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich finde das Ende tragisch!
Da ich aber nun mal nicht betroffen bin …
Doch jetzt kommt es!
Das finale Ende liegt in den Herbstferien. Schön mittig auf der Hälfte, am Samstag nach der ersten Woche. Und mein allerliebstes, entzückendes Pubertikel weilt in der Schweiz. Bei der Tante, die hat starke Nerven.
Der Hinflug geht klar – nur zurück kriege ich ihn nicht wieder.
Ich mache mir jetzt mal einen Tee und dann werde ich in aller Ruhe abwägen, wie schlimm das ist! 🙂
Mutter: „Dieses wunderbare Buch hilft mir dabei, zu entscheiden, ob ich Pubertikel anderweitig heimhole!“ 🙂

Wenden wir uns heute einer anderen romantischen Herbstweise zu: Spinnen!
Dicke, fette, schwarze Hausspinnenmännchen auf Brautschau. Kennen Sie?
Nur für denn Fall, dass dem nicht so ist: Kinderfaustgroße, lichtscheue Kellerbewohner mit acht dünnrohrigen HochgeschwindigkeitsTentakeln und starker Beinbehaarung. Nicht zu verwechseln sind die Liebestollen mit den schlaksig, zittrigen Weberknechten. Schon allein deswegen nicht, weil sich die Jungs untereinander nicht grün sind: Der Kleinere schätzt den Größeren als Delikatesse.
Weberknechte gibt es übrigens auch mit Flügeln, da nennt man sie Schneider.
Ja, ja, schon gut, ich höre schon damit auf! Eigentlich will ich eine Homestory erzählen, die Damen können sich also entspannt zurücklehnen. 🙂
Versetzen Sie sich in eine beschauliche Mülheimer HausflurSzene:
Zwei Grundschulfreunde besohlen sich ihre Füße, sie wollen nach draußen.
Aus Platzgründen hockt das Mädchen auf der Treppe, der Kumpel lümmelt quer davor.
Die Sache zieht sich, man hat sich viel zu erzählen.
Nach fünf Minuten hat die Maid immerhin schon einen Fuß im Schuh – der Knabe schwingt seine noch am Bandel im Kreis herum, so wie Thor seinen Hammer.
Theoretisch kann mir das egal sein, ich bleibe sowieso drinnen – praktisch aber nicht, denn vor der Tür warten noch zwei Menschlein. Um sich die Zeit zu vertreiben, ernten die derweil meine Tomaten ab. Da sie keinen Lärm veranstalten, ist ihnen die Schändlichkeit ihres Tuns bewusst.
Offensichtlich gönnt uns Thor das Gemüse ebenfalls nicht, denn er wendet sich plötzlich an mich: „Anke, weißt du eigentlich, dass drei Meter entfernt von jedem Menschen eine Spinne lauert?“
„Nein“, antworte ich wahrheitsgemäß, „ist mir neu.“
Weil ich unverwandt entspannt gucke, schickt der Kleine noch eine Info aus dem Kinderfernsehen hinterher: „In jedem Haus leben drei Spinnen.“
Ich nicke. „Kann ich mir gut vorstellen, ich weiß, wo die sitzen.“
Der Kleine starrt mich an. „Hier? In eurem Haus??“
„Zu einer habe ich Blickkontakt.“
Der Junge reißt die Augen auf.
„Willst du wissen, wo sie sich verstecken?“
Der Knabe bewegt sich nicht. So im Gegenlicht kann ich ihn halt schlecht erkennen – und ehe ich da noch dreimal nachfrage, gebe ich lieber bereitwillig Auskunft. Hätten Sie doch auch so gemacht?
Ich lege also los: „Eine ist in die Badewanne im Keller gefallen. Die zweite lauert im Treppenhaus an der Wand hinter dir – und die Dritte bewacht im Küchenschrank die Schokolade …“
Ich bin mit meiner Schokolade noch nicht fertig – vor allem habe ich noch nicht erwähnt, dass es sich bei der im Schokivorrat um eine Plastikspinne handelt – da wird der Knabe kreidebleich.
Den Farbwechsel sehe ich sogar bei den schlechten Lichtverhältnissen.
Der Junge kreischt los, reißt die Tür auf und stürmt schreiend nach draußen.
Geflügel springt ebenfalls auf: „Warte! Du hast deine Schuhe vergessen!“
„Ich bleib ohne“, bibbert es hinter der Mülltonne.
„Fürchtet der sich etwa vor Spinnen?“ Auf den Schreck muss ich mich erst mal setzen.
Nichtsdestotrotz fiel mir ob des Theaters nun aber endlich wieder die Spinne in der Badewanne ein! Mensch, das arme Vieh hockte da seit mindestens zwei Tagen und kam nicht vor und nicht zurück. Ich war bisher zu busy, um als Kammerjägerjungfer herumzurennen. Genaugenommen hatte ich auch jetzt keine Zeit. Doch zwei Tage ohne Essen und ohne soziale Kontakte …
„Pubi!“, rief ich ins obere Bad, wo es rumorte: „Schmeiß mal unten die Spinne aus der Wanne!“
„Kannst du vergessen“, gab der mir Bescheid, „die ist mir zu groß.“
„Ja und? Da nimmst du halt ein größeres Glas! Du wirst schon was Passendes finden.“
„Ums Glas geht‘s nicht, Mutter!“ Pubi klapperte hektisch mit dem Föhn.
Der wird doch nicht etwa … „Hast du etwa Angst vor der??“
Keine Antwort.
Eigentlich wäre es nun meine Aufgabe als Mutter gewesen, den Knaben bei der Hand zu nehmen, und mit ihm gemeinsam das Spinnentier an die Luft zu setzen. Eigentlich. Tatsächlich war es aber so, dass ich allzeit gestresste Mutter gleich einen Job hatte und wenn ich davon zurückkäme, die Spinne sowieso längst wieder vergessen hätte. Ich scheute also die Diskutiererei und nahm die Sache selbst in die Hand.
Vom Regal in der Küche schnappte ich mir das größte Trinkglas, das wir haben und von meinem Schreibtisch nahm ich ein DinA4 Blatt mit. Dann stürmte ich zur Spinne. Während ich in die Wanne kletterte, redete ich ihr gut zu: „Gleich erlöse ich dich …“
Die Spinne fand die plötzliche Nähe gar nicht lustig und nahm erschrocken die Beine in die Hand. Pfeilschnell sauste sie zum anderen Ende der Wanne und versuchte, mit Anlauf die Wand zu erklimmen. Wohl weil sie nicht genug Schwung hatte, rutschte sie nach einem drittel Höhe wieder herunter.
„Armes Ding“, sagte ich mitleidig und wollte das Glas geschwind über den zitternden Leib stülpen – doch in dem Moment drehte sich das Vieh blitzschnell um, und galoppierte mit Lichtgeschwindigkeit auf mich zu. Mich durchzuckte der heftige Impuls, laut zu schreien und die Wanne im Hechtsprung zu verlassen – allein der Gedanke an meinen schadenfrohen Pubi ließ mich tapfer weiterkämpfen.
„Du dusseliges Viech!“, brüllte ich mir Mut an. „Komm her jetzt, ich hab nicht den ganzen Tag Zeit!“
Meine Schallwelle muss die Spinne tierisch eingeschüchtert haben, denn sie verharrte stocksteif. Gerade dass sie sich nicht auf den Rücken fallen ließ und tot stellte.
Das war der Moment, indem ich fix das Glas über das Monstrum stülpte und das Papier darunterschob. Augenblicklich kehrte auch das Leben in die Spinne zurück. Ihre Röhrenbeine trommelten hörbaren Protest.
„Sei froh, dass ich kein Weberknecht bin …“, beruhigte ich sie und machte mich an den Ausstieg.
Nun ist das aber auf den griplosen Wannenstufen kompliziert, wenn man keine Hand frei hat. Irgendwie schwankte ich, eine Winzigkeit nur, doch immerhin so viel, dass das Blatt, das ich als Deckel über dem Glas hielt, ein wenig lupfte – und Zack: Entschlüpfte mir die Spinne. Mit einem Affenzahn sauste sie über den weißen Fliesenboden und verschwand zwischen den Bodengittern der Heizung.
„Scheiße!“, knurrte ich.
Was macht man denn in so einem Moment?
Kurz überlegte ich, ob ich das Glas hinterherschmeißen sollte.
Dann entschied ich mich für das einzig Richtige: Ich tat nichts.
Pubi, der im Flur an der Haustür auf mich wartete, meldete ich Vollzug.
Sollte der verliebte Achtbeiner wieder auftauchen, würde ich mich über den Informationsgehalt des Kinderfernsehens empören: Das mit den drei Spinnen im Haus stimmt hinten und vorne nicht! Das sind viel mehr!

Lassen Sie uns mal von Vögeln reden! (Gefiederte Tiere meine ich, ehe es zu Missverständnissen kommt!) Zur Einstimmung ein erweiterter Flügelschlag:
Es summseln nicht mehr so viele Insekten durch die Gegend, wie man das kennt. Mir fällt das immer auf, wenn ich über die Autobahn heize: Noch vor ein paar Jahren war es so, dass am Ziel Motorhaube und Scheinwerfer paniert waren wie Wiener Schnitzel – nur eben frisch mit Insektenklein eingeschleimt.
Heute fahre ich doppelt so schnell wie damals und am Ziel blitzt und funkelt mein Schlitten, als käme er gerade aus der Waschanlage – von einem zermatschten Nachtfalter an der Frontscheibe mal abgesehen.
Weil mir zuerst die Idee kam, dass das an der Geschwindigkeitsdopplung liegen könnte, besprach ich die Sache mit meinen Vater. Der weiß alles. Außerdem hat er mehr Zeit und fährt deshalb gemütlich – doch bei ihm verhält es sich ebenso: Die Kutsche kommt porentief rein nach Hause, wie frisch gewienert.
Generationsübergreifend kamen wir deshalb überein: Es flattert weniger Getier!
Just um unsere Theorie zu bestätigen, las ich kurz vor den Sommerferien einen Aufruf von Naturschützern, dass man Vögel eben wegen des Insektenmangels nun das ganze Jahr durchfüttern soll. Die Winterfütterung reiche nicht mehr aus, auch im Sommer gäbe es nicht genug Nahrung in unseren Sagrotan-geflegten Gärten.
Erschrocken begab ich mich sogleich zum ortsansässigen Baumarkt. Die führten, saisonal bedingt, aber nur Grillaustattung und Mittel gegen Buchsbaumzünsler. Wegen Vogelfutter sollte ich nach dem ersten Frost wiederkommen.
Bis dahin hungern lassen wollte ich meine Vöglein auch nicht – also landete ich im Online-Versandhandel. Da kriegt man das ganze Jahr über alles.
Nun bin ich aber ein Fuchs und startete erst mal mit Preisvergleich:
1 Kilogramm Sonnenblumenkerne für 3 EURO,
5 Kilogramm für 7 EURO
Versandkosten waren obendrein zu berappen und wenn bei uns künftig das ganze Jahr durchgepickt würde, käme ich mit fünf Kilo nicht weit.
25 Kilogramm war die nächste Chargengröße.
„Wie voluminös wird so ein Sack wohl sein?“, fragte ich meinen Mann.
„Egal, lagern wir in der Garage.“
Ich drückte also auf „Bestellen“ und vergaß die Sache sogleich, es passierte auch erst mal lange nichts. Die Vögelein schlugen sich derweil anderweitig durch. Lag auch kein toter Flatter vorm Haus, also ging es wohl noch.
Eines Tages in der Mittagszeit schnaufte ein schwarzer LKW den Berg herauf. Er hielt vor unserem Haus und die Laderampe surrte herunter. Ein schmächtiges Männlein hüpfte in den Auflieger und kam mit einem viereckigen Monstrum auf der Schulter wieder herausgewankt. Sah aus wie ein Sarg.
Was sollte das werden??
Wir sind doch hier kein Friedhof!
Ich stürzte nach draußen. „Guter Mann! Packen Sie Ihren Vampir wieder ein! Sie sind hier falsch!
Fast strauchelte das Männlein. „Sind Sie Frau Müller?“ Er schnaufte schwer und auf seiner Stirn quollen die Adern heraus.
„Ja …“ Mir schwante Übles.
„Dann habe ich eine Lieferung für sie.“ Er wollte mich beiseite schieben und das Erdmöbel in unseren Hausflur abkippen.
„Unterstehen Sie sich!“ Meine Lebensgeister erwachten und ich breitete abwehrend die Arme aus. „Stellen Sie das vor der Tür ab!“
Unser Hausflur ist so eng, da kommen zwei Leute gleichzeitig nicht aneinander vorbei. Stünde das Ding da rum, ginge es weder raus noch rein – bei offener Haustür wohlgemerkt.
Es rumpelte und pumpelte und das Gruftmobiliar krachte auf den Fußabtreter.
Das Männlein, seiner Last befreit, streckte sich, seine Wirbel im Rücken knackten einzeln, dann zückte es einen dieser lustigen Taschenrechner zum Unterschreiben und drückte ihn mir in die Hand. „Aber leserlich!“
Kaum war ich mit dem zweiten Kreuz fertig, entriss es mir den Konservator wieder, drehte sich grußlos um und verschwand.
Machen wir es kurz, es war Ihnen sicher schon klar: Der Totengräber hatte das Vogelfutter gebracht.
In der Garage fand sich kein Platz – übrig blieb nur der Vorratskeller. Dort gehört Vogelnahrung thematisch ja auch hin. Wir kommen jetzt bloß nicht mehr an die Kartoffel heran und an den Bierkasten auch nicht.
Wenn also bei einem von Ihnen Vogelfutter aus ist: Wenden Sie sich gerne vertrauensvoll an mich!
Bis dahin koche ich jeden Tag Nudeln – und mein Mann trinkt zum Feierabend einen Yogi-Tee.
Sind Engländer unter den hochverehrten Lesern? Kann man auch Sonnenblumenkerne aufgießen?

Im Futterhäuschen wird nun seit einer Weile täglich die Tafel gedeckt. Sämtliche Vöglein der Gegend scheinen das mittlerweile spitzgekriegt zu haben: Es geht zu wie in der Fußgängerzone.

Die Trauer um unsere von den gefräßigen ZünslerRaupen aufgefressenen Buxe eint uns, wir verharren und sind erleichtert, dass der Herbst gekommen ist. Mit Laubrechen, Brennholzsammeln und Äpfelklauen lässt sich gut die Zeit vertreiben.
Doch lassen Sie uns gemeinsam nach vorn blicken! Was machen wir mit den kahlen Standorten?
Dass diese Frage drohend und düster über den verwaisten Gärten baumelt, sehe ich jeden Tag, wenn ich meinen Berg erklimme. Ein Vorgarten dauert mich besonders: Eine tiefe, über die gesamte Grundstücksbreite gehende frische Schnittwunde markiert den ehemaligen Platz einer treuen Hecke.
Letztens verwickelte mich der Besitzer in ein Gespräch, mein mitfühlender Blick hatte ihm gutgetan. Die freie Sicht gefiele ihm nicht und er überlege, ob er stattdessen eine Ligusterhecke setzen solle. Allerdings störe ihn, dass die Krackel so schnell wuchsen und er häufiger schneiden müsse. Er sei ja auch nicht mehr der Jüngste. Obendrein wäre die Hecke im Winter kahl …
Was soll ich sagen? Ich verstand ihn!
Eine meiner Kolleginnen händelt die Nachfolge ihrer buxfreie Gartenzone mit dem Pflanzen von bunten Blumen. Leider käme sie aufgrund der kurzen Blühdauer auf drei Pflanzgänge pro Jahr, was zum einen ins Geld ginge, zum anderen verdammt viel Arbeit mache. „Der Rücken“, stöhnte sie.
Auch sie verstand ich.
Eine Freundin winkte ab: „Mir ist das egal, ich mache jetzt überall Rollrasen! Da muss ich nur ein, zwei Mal im Jahr drübermähen. – Oder ich betonier gleich und streich grün, mal sehen …“
Sie verstand ich nicht.
Deshalb lassen Sie uns gemeinsam zu meiner eigenen Buxliebhaberei schwenken!
Fangen wir beim Logischen an: Mein Gerippe auf der Mülltonne. Das behandelten wir diese Woche ja schon ausführlich: Es trägt nach wie vor Sack.
Nach hinten raus, auf der Terrasse, glänzte einst in einem Kübel eine gewaltige BuxPyramide mit einem blühenden Kragen aus Glockenblumen drumherum.
Die blauen Glöckchen blühen dort immer noch, nur in der Mitte trohnt jetzt ein Margeritenbusch. Sieht schön aus, zugegeben – weil der den Winter aber nicht übersteht, verhält es sich ähnlich wie bei der Kollegin und ich greife bald wieder in die Tasche. Allerdings bin ich bei Pflanzen genau so genügsam wie im Leben und wechsele die Bepflanzung unter der Saison nicht.
Der Wirtschaft ist der Zünsler zuträglich – dem Bürger geht er auf die Eier.
Weil das so auf Dauer nicht weitergehen kann, begab ich mich zwecks Fachmannrat in Mülheims renomiertestes Gartencenter. Die kannten mich da bereits, die standen mir seit Beginn der Invasion beiseite – vor allem bei den Folgekosten. Deswegen verwunderte es den fleißigen Gärtnersmann auch nicht, als ich ihn nach einer immergrünen dauerhaften Pflanzalternative fragte.
„Wird echt langweilig, wenn sie nicht mehr kommen“, grinste er und führte mich hinter ein Holzhaus zu einer Ansammlung von Kugeln mit kleinen sattgrünen Blättern.
„Guter Mann“, ich schüttelte den Kopf, „Ich will keinen neuen Bux! Ich such was Bleibendes!“
„Nicht doch“, der Gartenzwerg schwang den Zeigefinger, „das sind ZwergStechpalmen! Schauen aus wie Buchsbaum, verhalten sich auch so.“
Toll! Ich war begeistert – und linste auf den Preis.
Der war weniger toll.
Doch der beschürzte GärtnereiFachverkäufer verstand sein Handwerk: „Immergrün, schädlingsresistent, pflegeleicht und sehr robust – besonders auch für Leute ohne grünen Daumen!“
Beim Nachsatz grinste er richtig unverschämt. Mein Mittelfinger zuckte, doch ich bändigte ihn. Wo der Gartenzwerg recht hat …
Aufgrund der Lobpreisung erstand ich dann auch zwei von den Stechpalmen. Zu einem Preis, für den ich früher eine ganze Hecke Buchs bekommen hätte.
Aber, wissen Sie was?
Ich habe die ja jetzt schon ein paar Monate vor dem Haus stehen. Die beiden Töpfe sind tatsächlich ihr Geld wert!
Schauen doch schön aus, oder?
Hätten Sie erkannt, dass das kein Buchsbaum ist?

Über die Fakten brauche ich Ihnen nicht viel zu erzählen, Sie sind im Bilde. Mittlerweile hat sich die Invasion der aus Asien eingeschleppten gefrässigen Falterraupen bundesweit ausgebreitet. Sollte doch einer der hochgeschätzten Leser nicht verstehend die Stirn runzeln: Keine Sorge, es dauert nicht mehr lange.
Innerhalb nur eines Jahrzehnts gelang es den Scheißviecher, fast die gesamte deutsche Buchsbaumpopulation auszurotten.
Mit der Heimsuchung gingen wir alle unterschiedlich um: Ich zum Beispiel las die Raupen im ersten Jahr von den Blättern ab und zermalmte sie zwischen zwei Bruchsteinen. Weil man so viele gar nicht einsammeln kann, wie neue nachkamen, spritzte ich im zweiten Jahr Gift und im dritten schließlich gab ich auf.
Eine meiner Nachbarinnen rückte im ersten Jahr mit dem Kärcher gegen die Invasoren vor, im zweiten wechselte sie auf kochendes Essigwasser – und im dritten Sommer gab sie ebenfalls auf.
Wir hatten groß gekämpft und doch verloren.
Bei meiner Freundin Carmen mit altem Zierbuchsbestand verhielt sich die Sache ein wenig anders: In unserem Jahr Null hatten es die Zünsler noch nicht bis zu ihr in den Taunus geschafft und so schaute Carmen angstvoll zu uns ins Ruhrgebiet. Bei ihr fielen die Ausgeburten dann erst im Sommer darauf ein. Somit befindet sie sich im Augenblick im zweiten Jahr der Besatzung. Sie spritzt alle paar Wochen ein Zeug, was der Gärtner ihr empfohlen hat. Wie es dann im verflixten dritten Jahr bei ihr weitergeht, werden wir sehen.
Auf unserem Grund und Boden lief es sich jedenfalls so, dass mein Mann im Frühjahr die Faxen dicke hatte und die Gerippe unserer ehemals wohlgeformten Buchse einen nach dem anderen herausriss und in die braune Tonne entsorgte.
Entweder muss ihn dabei das Wetter überrascht haben oder er war schlicht von der Arbeit erschöpft und emotional angegriffen – er übersah eine Kugel. Die wuchs früher satt und grün und zufrieden auf dem Dach des Häuschens der Mülltonne.
Natürlich fiel mir beizeiten auf, dass der Bux-Torso mit der Herbstbelaubung noch dort rumkrakelte – aber meistens wollte ich entweder gerade gehen oder ich kam heim. In beiden Fällen war ich adrett gedressed und obendrein in Eile.
Die Sache zog sich also. Über den ganzen Sommer.
Am Wochenende entdeckte ich in einem Gartenratgeber die ultimativen Anti-ZünslerKampftechnik. Ökonomisch und biologisch einwandfrei noch dazu. Sie lautet wie folgt:
Stülpen Sie einen schwarzen Müllsack über Ihren Buxus!
Schnüren Sie unten fest zu!
Lassen Sie die Mittagssonne machen!
Klingt banal?
Unter dem schwarzen Sack würden sich die Temperaturen auf 60 – 70 Grad aufheizen. Die Raupen würden gegart; den Bäumchen hingegen schadete die Hitze nichts, die könnten das ab.
Da klang so unheimlich logisch, dass ich sofort euphorisierende Begeisterung verspürte. Sogleich fiel mir mein vergessenes Gerippe ein und ich stattete ihm auf seiner Mülltonne einen Besuch ab. Mein Ziel war es, herauszufinden, ob die gefräßigen ZünslerRaupen auf dem Weg zum winzigen Schmetterling genug Leben ihn ihm gelassen hatten, damit sich die Prozedur lohnte.
Hocherfreut stellte ich fest, dass zur Hausseite ein neues zartgrünes Blättlein spitzte. Doch drei fette, frech grinsende Raupen waren bereits im Stechschritt unterwegs zum jungen Grün. Eile war also geboten. „Euch werd ich‘s zeigen!“, knurrte ich grimmig.
Weil die Kugel für einen normalen Müllsack zu groß gewachsen war und ich außerdem vermutete, dass die kahlgefressenen Zweige sowieso tot wären, beschloss ich, die Gebeine kurz über dem Boden wegzuscheiden. Der geplagte Bux könnte dann in Ruhe neu austreiben und müsste sich nicht mit dem Totholz herumschlagen. Deshalb verstand ich auch nicht, wieso er das nicht mochte und sich tapfer gegen die Schnippelei wehrte.
Hätte er mal lieber bei den gefräßigen Viechern so herumgezickt!
Sei es, wie es wolle: Mit zwei Blasen an den Fingern obsiegte ich.
Anschließend zog ich dem Rasierten einen schwarzen Sack über den Schädel und schnürte unten am Hals fest zu, um das mal als Bild darzustellen.
Ich war gerade fertig, zupfte eben noch das Schleifchen vom gelben Band in Form, verdunkelte sich der Himmel.
Erst dachte ich mir nichts dabei, sondern war nur erfreut, dass ich beim Aufräumen nicht schwitzen würde. Doch dann blinzelte ich nach meiner Verbündeten: Clara hatte sich mit grauen Wolkendaunen zugedeckt. Nun gut: Dann mach deine Arbeit halt morgen. Ich nickte ihr freundlich zu und beeilte mich, ins Haus zu kommen, denn mich fröstelte bereits.
Das ist jetzt zwei Wochen her. Seit mein Bux den Sack über dem Kopf trägt, leben wir im Herbst. Es regnet, es stürmt, die Sonne hat sich verkrochen.
Bin ich jetzt etwa Schuld am Wetter?

Wie gewöhnlich reihte ich mich Freitag entspannt in den üblichen Feierabendverkehr ein. Zusammen mit den anderen Kraftfahrern schlich ich von eine Mülheimer Baustelle in die nächste, im Radio lief gute Musik, vom Himmel schiffte es beschaulich – was will man mehr.
Doch plötzlich wurde der Song von einer wohlklingenden Moderatorenstimme unterbrochen: Unsere Frau Kanzler hätte Stralsunder Grundschülern gestanden, dass sie im Deutschunterricht in der Schule geschummelt hätte. Wer mehr darüber wissen wolle, sollte dran bleiben.
Ich sofort hellwach und drehte das Radio lauter!
Genau in dem Moment, als die im Radio die Anekdote einspielten, kriegten sich aber vor mir zwei Autofahrer in die Haare. Sie waren sich wegen des Reißverschlussverfahrens uneinig. Nun konnte mir das eigentlich Brause sein, doch sie trugen ihren Hahnenkampf per Dauerhupen aus. Kurz überlegte ich, ob ich mitmischen und denen den Marsch blasen sollte, unterließ das aber. Stattdessen drehte ich die Lautstärke bis zum Anschlag.
So kam es, dass die Einleitung, in welcher es vermutlich um die Häufigkeit des reginalen Schulschwindels ging, an mir vorbeisauste und ich erst ab der Kanzlerin Beichte folgte:
„Als wir früher dicke Bücher lesen mussten, haben wir uns auch mal eins geteilt. Der Eine hat die erste Hälfte gelesen, der Andere die zweite. Dann haben wir, wenn uns unser Lehrer später gefragt hat, was drinnen stand, unser Wissen zusammengetragen. – Aber ihr lest ja aus Freude.“
Mit Verlaub: Wie soll denn das funktioniert haben?
Wenn der Lehrer im Unterricht die kleine Frau Kanzler fragte: „Was hat denn die Mutter gesagt, als Konrad mit dem Waschmachinenschlauch den brennenden Toaster löschte?“
Da kann die kleine Frau Kanzler doch nicht geantwortet haben: „Einen Moment, da muss ich mich erst mit dem Franz besprechen!“
Nun gehe ich ja so weit mit, dass es möglich ist, dass die Wissensabfrage nicht im Frontalunterricht, sondern schriftlich erfolgte: Doch da soll die kleine Frau Kanzler sich mal nicht bei erwischen lassen haben, wenn sie beim Franzl spickte! So ein Lehrer ist ja auch nicht blöd.
Kann auch sein, dass der uckermarksche Lehrer gar nicht herausfinden wollte, welches seiner Schäfchen lediglich zwei Wochen mit dem Buch Blümchen gepresst hatte. Kann ja sein, dass er seine inhaltlichen Fragen nur an die richtete, die sich meldeten. Dann wäre sie damit durchgekommen (Das widerspricht allerdings meiner Erfahrung als Schüler und Schülermutter).
Doch betrachtet man diese Leseteilung unter dem sozialen Aspekt, ist die ganz und gar nicht korrekt! Für die kleine Frau Kanzler mag das gegangen sein: Die hat mit dem Schinken einfach in der Mitte aufgehört – aber jetzt stellen Sie sich mal vor, Sie sind der arme Franz!
Der wusste beim Start seiner Lektüre nicht mal, dass Konrads Mutter einen Sohn gebar, dass sie einen verdammten Toaster nebst Waschmaschine besitzt und wieso es überhaupt einen interessiert, was es mit dem Bengel und der Alten auf sich hat. Ganz im Gegenteil, der hätte da ein Lehrbeispiel zur Volksweisheit erhalten: Den Letzten beißen die Hunde. Und das gehört sich ja wohl nicht, dass der arme Junge in der Schule in den Schrank gesperrt wird!
Ich war ja auch mal Schüler und außerdem bin ich Mutter zweier grundverschiedener Schüler. Ich las damals tatsächlich aus Freude. Noch vor jedem ersten Schultag hatte ich das Deutschbuch ausgelesen. Mein Geflügel liest brav, was man ihm in der Schule aufträgt – und mein Pubi macht eher nichts, der vergisst lieber seine Hausaufgaben. Wir drei bilden einen guten Querschnitt durch die Schulgesellschaft.
Ich bin dem Schummeln in der Schule ja auch nicht abgeneigt, aber wer sich solidarisiert, der soll sich das so wohl überlegen, dass mir nicht aus dem Stand die Argumente einfallen, warum das nicht zusammenpasst.
Habe ich eigentlich eine Möglichkeit übersehen, wie die Sache mit der Buchleseteilung gelaufen sein könnte?
Ich grübele da jetzt seit Freitag daran herum …