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Lateinerkeller

21. August 2014

In den Ferien schrauben GoodWords die Mindeststandards fürs Zusammenleben ganz weit nach unten: Man spuckt nicht in den Flur, maust kein Geld aus elterlichem Geldbeutel und Straßenbahn wird nur mit Ticket gefahren. So was in der Art.

Da schockierte es das GoodWordsche Pubertikel schon außerordentlich, als Mutter zu Ferienanfang bestimmte: „Du lernst Lateinvokabeln!“
„WAAS?? Wieso das denn?? Ich hab Ferien!!“
„Eben. Hast du mal richtig Zeit.“
„Ich bin doch nicht bescheuert! Ich kann das alles!“

Natürlich war ich auf diese Behauptung vorbereitet und wedelte mit dem letzten 6er-Vokabeltest. Mein Pubertikel tippte sich an die Stirn und verzog sich beleidigt in sein Zimmer.

Keine zwei Minuten später galoppierte er in die Küche, wo ich gerade gegen eine Pfanne Bratkartoffeln focht. „Okay, mach ich. Aber heute ist der erste Ferientag, heute muss ich mal chillen! Morgen fang ich an. Kann ich abhauen?“
Ohne Essen. Ich nickte. Er hatte ja Ferien.

Nächster Tag schwimmen; dann Tennis und was weiß ich. Kam auch Etliches an Besitz abhanden, siehe unsere „Siebensachensaldo“-Story. Ich brauchte halt auch mal meine Ruhe. Und die nahm ich mir. Bis zum letzten Feriensonntag.

„So, Kerlchen“, sagte ich, als ich kurz nach elf Uhr vormittags die Treppe zum Pubizimmer hinaufstieg und das Kind noch selig ratzte: „Wie schaut’s aus?“
„Ey, wat willst du denn?? Haste mal auf die Uhr geguckt??!“
„Latein, mein Großer.“
„Hab jeden Tag früh und abends Vokabeln gelernt. Kann jetzt alles.“
„Konntest du vor den Ferien auch schon …“ (Ich kann mir das einfach nicht verkneifen!)
„Klar, Mann, Mutter. Aber jetzt noch besser!“
„Gut, dann frag ich dich nachher ab.“
„Ich will aber Tennis spielen!“
„Liegst ja noch im Bett. – Nach dem Mittagessen überprüfen wir.“
Zwar straffte ich mich innerlich, doch mein Pubertikel widersprach nicht.

Auf dem ersten Treppenabsatz wartete Geflügelchen auf mich. Sie hatte gelauscht. „Mir gefällt nicht, dass mein Bruder nicht mit dir Schule spielen will! Er weiß doch, wie gern du das machst.“ Sie zuppelte am Saum meiner Bluse: „Wenn du möchtest, spiel ich mit dir.“
Sie zog mich in ihr Zimmer und drückte mich auf den Besucherstuhl vorm Kaufmannsladen. „Stell mir mal eine Rechenaufgabe!“

Ich dachte nach …
„Pass auf“, sagte ich: „Du hast 3 Euro und möchtest einen Ball und einen Badeanzug kaufen.“
„Will ich nicht!“, unterbrach sie mich. „Ich will einen Bikini!“
„Gut“, sagte ich: „Von deinen 3 Euro möchtest du einen Ball und einen Bikini kaufen.“
Meine kleine Henne nickte.
„Der Ball kostet 2 Euro, der Bikini kostet 2 Euro. Kannst du beides kaufen?“
Geflügel guckte traurig und schüttelte den Kopf. Doch dann huschte ein Sonnenstrahl auf die Hühnerstirn. „Du zahlst mit Karte, kriegen wir beides umsonst!“
Ich schüttelte den Kopf: „Karte verloren.“
„Um Gottes Willen, dann müssen wir doch verhungern!“ Spornstreichs schwammen die braunen Äuglein in einem See.
„Engelchen“, ich zog das Kleine auf meinen Schoß. „Ich habe meine Karte nicht verloren.“
„Dann sag das auch nicht …!“ Geflügelchen zog die Nase hoch.
„Ist gut. Ich habe sie daheim vergessen.“ Dann wiederholte ich: „3 Euro hast du. Der Ball kostet 2 Euro, der Bikini auch 2 Euro. Wieviel kannst du kaufen?“
„Was ist denn auf dem Bikini drauf??“
„Schatz …“, ich streichelte ihr übers Köpfchen. „Du wolltest doch rechnen. Ist ganz egal, was auf dem Bikini drauf ist! Er kostet 2 Euro. Der Ball auch. Wenn du beides willst, wieviel Geld brauchst du?
„4 Euro!“
Na bitte. Mutter wollte sich gerade lächelnd zurücklehnen, als das Kleine fragte: „Was ist jetzt nochmal auf dem Ball drauf??“

Die Zeit verrann und mir kam an diesem Sonntag – wie schon die ganzen Ferien – immer wieder etwas dazwischen. (Bin eben nicht nur Pubertikel-Mutter)

Irgendwann kreuzte mein Youngster auf. „Gleich bin ich weg. Bin mit Robin zum Tennis verabredet!“
„Und die Vokabeln??“
„Dann mach hin, ich hab nicht den ganzen Tag Zeit!“
Ich warf einen Blick in das aufgeschlagene Lateinbuch, sagte: „Tyrannus*?“, und rührte weiter in meinem Suppentopf.
Nach angemessener Bedenkzeit knurrte ich: „Weißt du nicht mal das erste Wort?? Mann, Wortstamm ‚Tyrann‘, da muss es einem doch klingeln!“
Keine Reaktion.
„Hallo??“ Ich drehte mich um. Keiner außer mir in der Küche. „Kerl, wo steckst du eigentlich??“
„Bin im Keller, hol mir eine Flasche …“, tönte es dumpf von Untertage.
Plötzlich eine Detonation!
Schrie keiner um Hilfe, ich hörte auch niemanden fluchen: Musste draußen gewesen sein.

„Bürschlein, geht das hier mal weiter??“, rief ich nach eine Weile.
„Kleines Malheur passiert …“
Also doch! Ich stürzte in den Vorratskeller.

Pubi hatte sich in die Ecke zwischen Regal und Sportzeug-Haufen gezwängt und beobachtete fasziniert die halbvolle Limoflasche, die in einer großen Pfütze schwamm. Gelbe Fontänen spritzten gleichmäßig aus dem Plastikgehäuse. Mit einem Blick erfasste ich, dass es der klebrigen Brühe gelungen war, wirklich jeden Winkel des Regals zu wässern.
„Du Rindviech!“, schimpfte ich los. „Was stehst du hier rum! Hol einen Eimer, Mensch!“
„Weiß nicht, wo einer ist.“
„Einen Schritt rückwärts und du sitzt drin!“

Ich wollte absolut nicht wissen, wie es ihm gelungen war, die Flasche in einen Springbrunnen zu verwandeln – wir reden jedoch von meinem Pubertikel und der wollte genau jetzt loswerden, was passiert war:

„Ich hab nichts gemacht!“ Er stellte sich zwischen mich und den Eimer. „Ich fummel die Flasche aus der Folie …“ Er bückte sich und griff nach der letzten Limoflasche. „Wie ich mich eben wieder aufrichte, hau ich mir den Kopf an der Türe an. Guck hier!“ Er zeigte auf die Verschlusseinrichtung der Kühlkammer. „Vor Schreck rutscht mir die scheiß Flasche aus der Hand … Guck, das war höchstens soviel überm Boden!“ Pubi stand leicht gebückt und die Flasche baumelte vergnügt von seiner Hand. Noch ehe er den Vorgang zu Ende erklärt hatte, geschweige denn wiederholt, wurde ich wild: „Mach das du hier raus kommst, oder ich dreh durch!!“

Pubi trollte sich. „Voll die Billigqualität“, nuschelte er. „Wie die sich erst aufgeregt hätte, wäre die dusselige Flasche in meiner Bude explodiert …“

Mit dem gelben Gesabber verfuhr ich, wie man das gemeinhin mit ungewollten Flüssigkeit macht: auftunken, dann nass abwischen.

Nach kurzer Zeit steckte Pubi erneut den Kopf in den Vorratskeller: „Wie’s hier aussieht, Mütterlein, brauchst du mindestens noch drei Stunden. Ich hau dann jetzt ab!“

So langsam kriegte ich einen zuviel! „Schnapp dein Lateinbuch und lass dich vom Papa abfragen!“, wetterte ich. „Und anschließend schwingst du in deiner Bude den Staubsauger!“
„Das mit dem Abfragen verstehe ich ja gerade noch“, empörte sich mein Pubertikel, „aber was haben diese dämlichen Latein-Vokabeln mit staubsaugen zu tun?!“
„Nichts“, stimmte ich zu. „Mutter wienert Keller; Pubi unterm Dach!“

Fünf Minuten später besuchte mich mein Mann: „Fertig.“
„Die ganze Lektion? Einschließlich Grammatik??“
„Er kann alles.“
„Klar …“ Ich stöhnte.
„Tipptopp sauber hier“, sagte mein Mann anerkennend. „Von mir aus kann er die nächste Flasche in den Heizungskeller schmeißen!“

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* tyrannus (lat.) = Gewaltherrscher

From → Kolumnen

66 Kommentare
  1. Ben Froehlich permalink

    Hach, ich kam schon länger nicht mehr dazu, bei dir zu stöbern und ich sehr auch gleich, was mir gefehlt hat. Die beste Sitcom! 😀

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  2. Ich hab auch geübt, will ’nen Tätschel!
    Meide den Keller wenn kein Jever dort lagert =
    Fuge ab ea cella, cum nihil seruabatur Jever

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  3. Nach dem der Pubertikel jetzt so fit in Latein ist – darf ich euch vielleicht mal ein paar lateinische Inschriften und Sprüche zuschicken, die in der Münchner Residenz zu finden sind? Ich kann nämlich kein Latein, würde aber sehr gerne wissen, was da geschrieben worden ist. 😉
    Liebe Grüße!

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  4. Wenn dein Pubi pfiffig ist, gibt er die Sprüche bei Gugle in das Übersetzungsprogramm ein und schon hat er das Ergebnis.
    Der Herr, der heute bei mir den Hund auf dem Schoß hat, hat als Junge so ähnlich reagiert, wenn er Russischvokabel lernen sollte. Seiner Meinung konnte er immer alles – er bekam auch auf dem Zeugnis eine 1, da er wohl als einziger in der Klasse das Alphabet konnte, was seine Kumpels nicht beherrschten. Und unter den Blinden ist der Einäugige König.

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  5. Oha, bei euch ist aber auch immer was los.
    Was hat er denn wieder alles verloren?
    Ein kleiner Schussel ist er wohl.
    Latein hat mein Vater mir gern abgehört. die konnte er wenigstens alle gut lesen, nicht so wie Französisch und Englisch.
    Na siehste, er kann es doch, super!

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  6. juttabaltes permalink

    Da kann man mal sehen, welche Folgen Lateinvokabel-Lernen haben kann! 🙂

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  7. Endlich biste wieder am Schreiben! Hab euch vermisst 🙂
    Ich habe es gehasst abfragen zu müssen dann noch in einer mir fremden Sprache oder gar Mathematik oder wie jetzt juristisches Zeugs,..hört das denn nie auf?

    Ganz liebe Grüße
    Sina

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  8. 😀 Ganz breites Grinsen! Ich liebe Blogs, die gegen meine Kummerfalten helfen 😉 Das ist ja wie bei uns! (Na gut, wie es bei uns mal war…)

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  9. Immer wieder herrlich bei euch zu lesen.

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  10. Ich bin ja auch dafür, das die Kids über die Sommerferien nicht alles vergessen, aber Lateinvokabeln pauken grenzt schon an Körperverletzung. Wie soll das pubertierende Gehirn denn da zur Erholung kommen??? Und Rechenaufgaben in den Ferien, nun, die lasse ich ja noch als praktische Lebenshilfe durchgehen.

    Sag deinem Pubertikel, ich fühle mit ihm, denn ich musste in den Ferien auch immer Vokabeln pauken, Latein und Englisch im Wechsel.

    Anna-Lena grüßt aus dem letzten Ferienwochenende 🙂 .

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    • Liebe Anna-Lena,
      lass dir verraten, dass wir es hier mit einem Schwank aus den Osterferien zu tun haben. 😉
      Ich hatte im Sommer so viel zu tun, dass ich nicht zum Ende kam.
      in den letzten sechseinhalb Wochen sah Pubi kein Schulbuch und vor allem keine Lateinvokabel. Eine herrliche Zeit für uns alle! 🙂

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  11. Kompliment! Dein Junge ist überaus kreativ! Kann sich spontan aus unangenehmen Situationen befreien und Gewaltherrscher in Schach halten 😀

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  12. *soifz* Ich brauch‘ ein Taschentuch! Was hab ich gelacht. Und du hast wirklich alles sauber bekommen? Deine Bande hält dich echt auf Trab, da kommt mal keine Langeweile auf. Aber im Ernst, was war denn auf dem Ball?? 😎

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  13. herrlich mal wieder – deine geschichte, danke!!! hier haben die schüler die möglichkeit, in den ferien zur schule zu gehen und fächer nachzuholen und noten aufzubessern. allerdings dauern hier die sommerferien auch viel länger. was der pubi wohl davon halten würde….

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  14. Molly L. permalink

    Neeeiiiin! Ich schmeiß! Mich! Weg!
    Alleine schon „Pubertikel“!: Herrlich!

    Oh, ich freue mich, hier demnächst mal so richtig rumzustöbern, liebe Anke! Erster Eindruck: Klasse-genial-will ich! 🙂

    Liebe Grüße,
    Molly

    PS: Bei mir gilt der Grundsatz: Wer pleddern kann, der kann auch aufwischen, das lernen die bei mir alle schon ab ca. 1! 😉

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    • Bleib bei uns, hier gibts immer was zum Feixen!
      Willkommen! :-))

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      • Molly L. permalink

        Dankeschön! Werde mich mit Freuden hier umschauen! 😉
        … Und gleichzeitg wohl interessante Eindrücke davon sammeln, was mir in ein paar Jahren blüht… 😀

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      • Du stürzt erst rein, ins Pubertikelzeitalter? Nun … 😀
        Könnte sein, dass du dich nach Knie zurück sehnst … 😀

        Schon gut, bin schon ruhig! 🙂

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      • Molly L. permalink

        Du, bei uns wird das Aaaaalles anders, unsere Kinder werden gaaaanz, äh, pflegeleicht sein, so etwas wird uns nieeeee passieren, *vormichhinträum* 😀

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      • Richtig, die sind absolut voll total brav!! 🙂

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  15. *lol* Herrlich beschrieben! Aber bestimmt weniger herrlich, wenn man mittendrin ist. 😉

    Die italienischen Kinder bekommen über ihre unendlich langen Sommerferien immer ganze Aufgabenbücher mit nach Hause, die am Schulanfang abgegeben und zensiert werden. Die werden von den Verlagen scheinbar schon so aufgelegt und auf Wiederholung ausgelegt. Mathe, Muttersprache, Fremdsprachen, Naturwissenschaften – alles dabei. Die Armen (Mütter)! .

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    • Da kriegst gleich am Schuljahresanfang den Faulheitsbonus reingedrückt? Oh Mann! 😀

      Aber so lange frei ist schon extrem schön …
      Könnten die bei uns auch einführen!
      Auch aus Gründen von Wetter. Wer nass in der Schule hockt, schnupft, und kann auch nicht lernen. So in der Art … 🙂

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  16. Ich schwanke immer zwischen weinen, lachen und Haare raufen! Du solltest wirklich mal ernsthaft über ein Buch nachdenken. – ich könnte Dich stundenlang lesen!
    Schön, dass die Good Word for Bad World Sommerpause zu Ende ist 🙂
    Liebe Grüße Peppa

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  17. Extrem amüsant! Danke. Grüße von einer Leidensgenossin mit 2 (Pubertikel)

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  18. Hallo Anke, ich freue mich schon darauf, wenn meine Jungs in das Alter kommen. Stehen mit der Einschulung von Nummer 1 ja erst am Anfang. Gruß aus dem Rheinland AC

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  19. Ach Du liebe Güte… Hilft Putzen gegen Ausrasten? 😉

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